Wissenswertes und Aktuelles rund um die 70. Berlinale

My Salinger Year © micro-scope

Wettbewerb und Eröffnungsfilm

Das Programm des diesjährigen Wettbewerbs umfasst 18 Filme aus 18 Ländern, 16 davon sind Weltpremieren. Aus Deutschland sind „Undine“ von Christian Petzold und „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani dabei. Der künstlerische Festivalleiter Carlo Chatrian kündigt an, dass die Themenkomplexe der Filme insgesamt eher düstere sind. Das liege daran, „dass die von uns ausgewählten Filme eher illusionslos auf die Gegenwart blicken – nicht, weil sie Schrecken verbreiten, sondern weil sie uns die Augen öffnen wollen,“ so Chatrian. 
Abgeschafft wurde unter der neuen Leitung die Rubrik „Außer Konkurrenz“. Stattdessen gibt es die Sektion Berlinale Special und Berlinale Special Gala, in der 20 Filme aus 19 Ländern gezeigt werden, 15 davon Weltpremieren.
Große Namen findet man in den Besetzungslisten der Wettbewerbsfilme dieses Jahr eher wenige. Am illustersten liest sich die Besetzung von Sally Potters neuem Film „The Roads Not Taken“, dessen Premiere Javier Bardem, Salma Hayek und Laura Linney auf den roten Teppich ziehen könnte. Carlo Chatrian hat außerdem verraten, dass unter anderem Roberto Benigni, Cate Blanchett und Johnny Depp erwartet werden. Das vollständige Programm des Wettbewerbs gibt es weiter unten.
„My Salinger Year“ von Philippe Falardeau wird am 20. Februar 2020 die Berlinale als Berlinale Special Gala Beitrag eröffnen. Darin spielt Margaret Qualley die junge, ambitionierte Schriftstellerin Joana, die als Assistentin der Literaturagentin Margaret (Sigourney Weaver) arbeitet. Ihr Job ist es, die Fanpost von Kultautor J.D. Salinger zu beantworten. Wir dürfen uns also mit Sicherheit darauf freuen, Sigourney Weaver auf dem roten Teppich zu sehen.

Nachhaltigkeit und Diversität

Die Berlinale setzt sich auch in ihrem 70. Jubiläumsjahr wieder für Nachhaltigkeit und Diversität ein und bekennt sich zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Dazu wird es unter anderem eine Präsentation in den Potsdamer Platz Arkaden geben. Unter dem Motto „Bring your own cup!“ wird es auch dieses Jahr keine Einwegbecher geben. Ein weiterer Gegenentwurf zum Wegwerftrend ist der rote Teppich selbst: Er besteht aus recycelten Fischernetzen und weiteren Kunststoffabfällen und kann über mehrere Jahre verwendet werden. Das Catering auf der Berlinale ist außerdem fast ausschließlich vegetarisch.
Auch die Themen Gleichberechtigung und Diversität stehen weiterhin auf der Agenda der Berlinale. Die Sektion Panorama legt seit den 80er Jahren verstärkt den Fokus auf schwul-lesbische, transgender und feministische Filme. Hinzu kommt die Verleihung des queeren Filmpreises, dem Teddy Award. Sechs der 18 Wettbewerbsfilme stammen in diesem Jahr übrigens von Regisseurinnen oder Co-Regisseurinnen. Das ist mit 33% ein leichter Abstieg zum Vorjahr (44%), aber immer noch ein Anstieg zu den vorangegangenen Jahren (2016 lag die Beteiligung von Regisseurinnen am Wettbewerb zum Beispiel bei mageren 11%). 

Aussetzung des Alfred-Bauer-Preises

Der nach dem ersten Leiter der Berlinale benannte Alfred-Bauer-Preis, der seit 1987 verliehen wurde, wird dieses Jahr ausgesetzt, nachdem die ZEIT in einem Artikel über die Vergangenheit des ehemaligen Festivalleiters berichtete. Recherchen der ZEIT nach belegen Dokumente dessen NS-Vergangenheit, er war demnach ein „hochrangiger Funktionär der NS-Filmbürokratie“. Alfred Bauer hat die Berlinale von ihrer ersten Ausgabe im Jahr 1951 bis 1976 geleitet. Im letzten Jahr wurde der Alfred-Bauer-Preis an die Regisseurin Nora Fingscheidt für ihren Film „Systemsprenger“ verliehen. Die Berlinale-Leitung kündigte an, die Festivalgeschichte mit externer fachwissenschaftlicher Unterstützung aufzuarbeiten.

Shirley © 2018 LAMF Shirley Inc.

Neue Sektion Encounters

Zum 70. Jubiläum wird es erstmals eine neue Sektion geben, die Encounters. Neben dem Wettbewerb und den Berlinale Shorts bilden die Encounters eine dritte kompetitive Sektion. Ursprünglich als Sektion für den Nachwuchs gedacht, weitete Encounters in der Entstehung sein Spektrum auf Filme aus, die nicht unter den gängigen Produktionsbedingungen entstanden sind. Unter den 15 ausgewählten Filmen finden sich Regisseur*innen, die der Berlinale bereits bekannt sind sowie spannende Neuentdeckungen. Mit dabei ist unter anderem das ungewöhnliche Biopic „Shirley“ von Josephine Decker mit Elisabeth Moss als Shirley Jackson, das kürzlich auf dem Sundance Festival Premiere feierte und von der Kritik umjubelt wurde. Das komplette Programm der Encounters gibt es hier.

Sonderprogramm „On Transmission“

Gebührend gefeiert wird der stolze, runde Geburtstag der Berlinale mit dem von Carlo Chatrian ins Leben gerufenen Sonderprogramm „On Transmission“. Er hat sieben der Berlinale bekannte Filmemacher*innen dazu eingeladen, jeweils eine*n Filmemacher*in auszuwählen, dem/der sie sich verbunden fühlen und mit dem/der sie über Film und Kino sprechen wollen. Der öffentliche Austausch wird gerahmt von jeweils einem Film der aufeinander treffenden Regisseure. So gibt es zum Beispiel ein Wiedersehen mit Ildikó Enyedi, die 2017 mit ihrem Film „Testről és lélekről (Körper und Seele)“ den Goldenen Bären gewann. Sie trifft auf die ebenfalls ungarische Regisseurin Zsófia Szilágyi. Das Programm von „On Transmission“ gibt es hier

Stateless © Ben King

Berlinale Series weiter auf dem Vormarsch

Die Sektion Berlinale Series wächst jedes Jahr stetig an Bedeutung. Acht Serienformate feiern dieses Jahr ihre Premiere auf der Berlinale. Es sind Produktionen aus Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Kanada, Österreich, den USA und dem Vereinigten Königreich vertreten. Aus Österreich/Deutschland ist die Netflix Produktion „Freud“ unter der Regie von Marvin Kren vertreten. Für internationale Starpower sorgt Cate Blanchett mit ihrem Herzensprojekt „Stateless“, an dem sie als Co-Creator, Executive Producer und Schauspielerin beteiligt ist. Und auch bei den Serien geht es inhaltlich besonders um gesellschaftliche Diversität und neue Perspektiven auf unser Zusammenleben. Das komplette Programm gibt es hier.

Das Forum wird 50

Zum 50. Geburtstag der Sektion Forum wird das komplette Programm des ersten Forum von 1971 wiederaufgeführt. 21 der Filme laufen während des Festivals, weitere 22 werden im Anschluss an die Berlinale im Arsenal Kino zu sehen sein. Damit wird eine Sektion gefeiert, die es sich zum Ziel gemacht hatte, Filme zu zeigen aus Ländern, die bis dato auf der Weltkarte des Kinos nicht verzeichnet waren sowie formale Experimente und nicht-narrative Filme. Die Wiederaufführung des ersten Forum Programms ist deshalb ein überaus spannendes Zeitdokument. Eine Übersicht über die Jubiläumsfilme des Forums während der Berlinale gibt es hier.

Alle Wettbewerbsfilme im Überblick:

Berlin Alexanderplatz
Deutschland / Niederlande
von Burhan Qurbani
mit Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król, Annabelle Mandeng, Nils Verkooijen, Richard Fouofié Djimeli
Weltpremiere

DAU. Natasha
Deutschland / Ukraine / Vereinigtes Königreich / Russische Föderation
von Ilya Khrzhanovskiy, Jekaterina Oertel
mit Natalia Berezhnaya, Olga Shkabarnya, Vladimir Azhippo, Alexei Blinov, Luc Bigé
Weltpremiere

Domangchin yeoja (The Woman Who Ran)
Republik Korea
von Hong Sangsoo
mit Kim Minhee, Seo Younghwa, Song Seonmi, Kim Saebyuk, Lee Eunmi, Kwon Haehyo, Shin Seokho, Ha Seongguk
Weltpremiere

Effacer l’historique (Delete History)
Frankreich / Belgien
von Benoît Delépine, Gustave Kervern
mit Blanche Gardin, Denis Podalydès, Corinne Masiero
Weltpremiere

El prófugo (The Intruder)
Argentinien / Mexiko
von Natalia Meta
mit Érica Rivas, Nahuel Pérez Biscayart, Daniel Hendler, Cecilia Roth, Guillermo Arengo, Agustín Rittano, Mirta Busnelli
Weltpremiere

Favolacce (Bad Tales)
Italien / Schweiz
von Damiano & Fabio D‘Innocenzo
mit Elio Germano, Barbara Chichiarelli, Lino Musella, Gabriel Montesi, Max Malatesta
Weltpremiere

First Cow
USA
von Kelly Reichardt
mit John Magaro, Orion Lee, Toby Jones, Scott Shepherd, Gary Farmer, Lily Gladstone
Internationale Premiere

Irradiés (Irradiated)
Frankreich / Kambodscha
von Rithy Panh
Weltpremiere / Dokumentarische Form

Le sel des larmes (The Salt of Tears)
Frankreich / Schweiz
von Philippe Garrel
mit Logann Antuofermo, Oulaya Amamra, André Wilms, Louise Chevillotte, Souheila Yacoub
Weltpremiere

Never Rarely Sometimes Always
USA
von Eliza Hittman
mit Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, Ryan Eggold, Sharon Van Etten
Internationale Premiere

Rizi (Days)
Taiwan
von Tsai Ming-Liang
mit Lee Kang-Sheng, Anong Houngheuangsy
Weltpremiere

The Roads Not Taken
Vereinigtes Königreich
von Sally Potter
mit Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Laura Linney
Weltpremiere

Schwesterlein (My Little Sister)
Schweiz
von Stéphanie Chuat, Véronique Reymond
mit Nina Hoss, Lars Eidinger, Marthe Keller, Jens Albinus, Thomas Ostermeier, Linne-Lu Lungershausen, Noah Tscharland, Isabelle Caillat, Moritz Gottwald, Urs Jucker
Weltpremiere

Sheytan vojud nadarad (There Is No Evil)
Deutschland / Tschechische Republik / Iran
von Mohammad Rasoulof
Weltpremiere

Siberia
Italien / Deutschland / Mexiko
von Abel Ferrara
mit Willem Dafoe, Dounia Sichov, Simon McBurney, Cristina Chiriac
Weltpremiere

Todos os mortos (All the Dead Ones)
Brasilien / Frankreich
von Caetano Gotardo, Marco Dutra
mit Mawusi Tulani, Clarissa Kiste, Carolina Bianchi, Thaia Perez, Alaíde Costa, Leonor Silveira, Agyei Augusto, Rogério Brito, Thomás Aquino, Andrea Marquee
Weltpremiere

Undine
Deutschland / Frankreich
von Christian Petzold
mit Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz
Weltpremiere

Volevo nascondermi (Hidden Away)
Italien
von Giorgio Diritti
mit Elio Germano
Weltpremiere

www.berlinale.de