Todd Phillips‘ „Joker“: Shakespeare’sche Abarbeitung an der Rolle

Der Joker, so weiß man, ist der Gegenspieler des Batman. Weiterhin sicher ist: er hat grüne Haare, ein weißes Gesicht und einen großen, roten, grinsenden Mund. Doch schon zu der Frage, wie er zu diesem, seinem Joker Gesicht gekommen ist, ob durch einen Chemieunfall oder ganz einfach durch Schminke, dazu gibt es mittlerweile ebenso viele verschiedene Hintergrundgeschichten, wie es auch schon berühmte Joker Darsteller gegeben hat.

Von ersten, eher unbekannten, Serienschauspielern bis hin zu absoluten Hollywoodstars wie Jack Nicholson, Heath Ledger, Jared Leto und nun Joaquin Phoenix haben sich an dieser Rolle in den letzten Jahrzehnten einige ausprobiert, denen man neben einem herausragendem schauspielerischen Talent auch einen Touch abgründige Verrücktheit attestiert. Die Rolle des Jokers ist auch eine Fingerübung. Fast drängt sich der Vergleich mit den großen Shakespeare Rollen auf, an denen sich jeder große Schauspieler zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Karriere mal abgearbeitet hat. Rollen an denen man wächst, aber auch gnadenlos scheitern kann. Weil jeder Zuschauer und Kritiker weiss, wofür der Hamlet steht, Richard III oder King Lear. Doch was bei den Shakespeare Figuren hinreichend geklärt und durch ihre Einbettung in ein großes Drama mehr als ausreichend unterfüttert ist, bleibt beim Joker eher vage. Die Frage, worum es denn nun eigentlich geht.

Zum Film: Erzählt wird die Geschichte des Kleinkünstlers Arthur Fleck, der mit seiner Mutter in jeder Hinsicht eng zusammenlebt und der versucht, die beiden mit Jobs als Straßen- und Krankenhausclown durch zu bringen. 
Der gute Arthur, der sowieso schon sieben verschiedene Psychopharmaka einnehmen muss, muss viel einstecken. Auf der Straße von Jugendlichen verprügelt und in seinen Versuchen als Stand Up Comedian durch sein großes Idol, den Talkmaster Murray Franklin (Robert de Niro), öffentlich bloßgestellt, gerät er in eine Spirale der Demütigungen und Gewaltausbrüche, an deren Ende – so sicher wie die Titanic den Eisberg rammt – der fertige, der böse, der unberechenbare Joker stehen muss. 
Das passiert natürlich nicht von jetzt auf gleich. Wir haben ja Zeit. Aber wir wissen, was vor uns liegt und jede nun folgende Szene muss sich als Puzzleteil erweisen, das sich irgendwann – siehe da!- zum Gesamtbild Joker zusammensetzt. 

Natürlich sind da sehr eindrucksvolle Szenen dabei: Eine kleine Gruppe toxisch männlicher, betrunkener Anzugträger nimmt ihn, den lächerlichen, unkontrolliert lachenden Freak in der U-Bahn (wo sonst?) aufs Korn. Der Joker knallt sie alle drei ab und setzt damit ganz nebenbei eine Bewegung in Gang. Wir erfahren, schon mitten im Film und doch zum ersten Mal – es brodelt in Gotham City. Die Gewalttat wird zum Akt der Revolution der Armen gegen die Reichen, an deren Spitze nun der Joker steht. Doch wer diese Massen eigentlich sein sollen, die sich da – warum auch immer- erheben und irgendwann zum wütenden Mob auf Gothams Straßen werden, wird nicht erzählt.  Okay, die Müllabfuhr funktioniert nicht – wie auch im Vorbild New York der 70er Jahre. Aber eigentlich ist da nur das nebulöse Gefühl einer irgendwie unzufriedenen Masse, die offensichtlich nur darauf wartet auszurasten. Aber erklärt werden soll hier sowieso nur eins, und das möglichst wasserdicht, aber insgesamt viel zu vorhersehbar. Holt die Psychologie Lexika raus – wir bauen uns einen Joker. 

Es kommt einem fast ein wenig schäbig vor, einen Film, der in seiner Art so kunstvoll ist und dessen Hauptdarsteller sich mit (abgemagertem) Leib und (geschundener) Seele hineinwirft, wie kaum ein anderer, herunter zu brechen auf die Frage: was soll das alles? Aber ich fürchte, man kommt nicht drum herum. Der Film beantwortet Fragen, die niemand gestellt hat. Und ist dabei aber so unsicher und risikoscheu, dass er sicherheitshalber gleich mehrere Antworten liefern will. Der Joker ist erfolgloser Clown und als Kind missbraucht worden. Er lacht an unpassenden Stellen und liefert die Erklärung mit einer Art Visitenkarte direkt mit. Ja, wir erfahren sogar, warum er Joker genannt werden will. Der Film erklärt seine Hauptfigur zu Tode und unterwirft die komplett durchschaubare Dramaturgie dieser Maxime.

Zum Glück ist das Ganze keine völlige Zeitverschwendung, dafür ist Joaquin Phönix Naturereignis genug. Es hätte vielleicht gereicht ihn ein- oder zweimal mit nacktem Oberkörper zu sehen. Nach der achten Einstellung jedoch muss man sich den Vorwurf der Angeberei gefallen lassen. Aber auch das ist nicht die Schuld des Schauspielers. Er muss sich zeigen, er muss sich auf seinem Weg an die Grenzen völlig veräußern. Aber irgendwann muß sich bei den Dreharbeiten der Gedanke eingeschlichen haben: wir lassen ihn mal lieber machen, er spielt ja schließlich den Joker – völlig außer Acht lassend dass auch ein schauspielerisches Genie Führung braucht. Es ist wieder wie bei Shakespeare. Ohne einen guten Regisseur ist auch der beste Hauptdarsteller auf verlorenem Posten. Es ist nur gut, dass man beim Joker nicht so schnell merkt, dass man sich verrannt hat, wie zum Beispiel beim Othello. Anders kann ich mir die Begeisterungsstürme in Cannes für Todd Phillips „Joker“ nicht erklären. Bejubelt wurde ein Darsteller, der alles mitbringt, diesen Joker zu einem Meisterwerk zu machen. Der Rest des Filmes kann da leider nicht mithalten.

Kinostart: 10.10.2019

Fotos © Warner Bros