Gelesen: Sonja Heiss „Rimini“

Was für ein furchtbares Buch. „Rimini“, der Debütroman der Filmregisseurin Sonja Heiss, erzählt sehr klug und bildhaft die Geschichte einer ganz normalen dysfunktionalen Familie im Hier und Jetzt, deren ungünstiger Stern bereits in einer verunglückten Hochzeitsreise der Eltern in Rimini in den 60er Jahren aufgeht. Schon hier wird klar dass die Mutter, Barbara, ihren überforderten Angetrauten, Alexander, bestenfalls possierlich und nett findet, auf keinen Fall jedoch attraktiv oder gar anziehend. Trotzdem, offenbar kommt man ein Leben lang so leidlich miteinander aus und bleibt zusammen. Man hofft geradezu, dass Alexanders übertriebene Anhänglichkeit und Barbaras tagelange, depressive Schlafattacken Verrücktheiten des Alters sind. Irgendwann müssen sie doch auch mal glücklich gewesen sein? Denn schließlich haben die beiden vor Jahren zwei Kinder in Welt gesetzt, Hans und Masha. Hans, Anwalt, reich, cholerisch und auf dem absteigenden Ast, hat auch zwei Kinder, aber seine Ehe fliegt gerade auseinander. Masha, Schauspielerin, nach anfänglichen Erfolgen auch zunehmend glückloser, lebt in einer langjährigen Beziehung, wünscht sich nun, kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag, plötzlich Kinder – und dann fliegt ihre Beziehung ebenfalls auseinander. Sie kann ihren Freund plötzlich, von einem Moment auf den anderen, buchstäblich nicht mehr riechen. Was ein sehr gutes und treffendes Bild ist. Denn das ist das Auffälligste an dieser Familie: eigentlich können alle ihre Partner auf einer sehr fundamentalen Ebene nicht riechen. Es fehlt ein sinnliches Verständnis füreinander.
Warum du lieber Himmel, seid ihr alle zusammen? Möchte man rufen. Warum tut ihr euch das an? Nicht, dass man als erwachsener Leser sowas nicht auch schon mal erlebt hätte. Aber das hier ist größer. Die familiären Umstände sind so grundlegend verkorkst, wer sich hier auf die Suche nach dem Warum macht, ist schnell mittendrin im alle Beziehungen und familiären Strukturen in Frage stellendem Eingemachten.
Viele Rezensionen schreiben nun über „Rimini“ das Buch sei lustig. Das stimmt wohl auch. Aber es ist ein bitterer Humor, der über dem Roman liegt. Ein Witz, dessen Pointen sich die Figuren durch ein schrecklich empathieloses Leben erkaufen müssen. Alle haben ihr Beziehungen auf Sand gebaut und wir dürfen genußvoll beim Abrutschen zuschauen. Darin liegt die Grausamkeit und gleichzeitig die Größe dieses Buches. In dieser großen Leichtigkeit, mit der Sonja Heiss von diesem nervenzerfetzenden Schlachtengemetzel erzählt, das sich hier Familie nennt.

Wie gesagt, es ist ein furchtbares Buch. Was nicht heißt, dass man es nicht gelesen haben sollte.

Info: Sonja Heiss ist Regisseurin und Autorin. Für ihren Kinofilm „Hedi Schneider steckt fest“ gewann Laura Tonke 2016 den Deutschen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin. Heiss‘ Debütroman „Rimini“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kann hier käufliche erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Rüdiger Rudolph

www.kiwi-verlag.de