Gelesen: Jeff Tweedy „Let’s Go (So We Can Get Back)“

Gleich auf den ersten Seiten seiner Autobiografie „Let’s Go (So We Can Get Back)“ gibt Jeff Tweedy einen todsicheren Geheimtipp für trübe Tage. Er dirigiert uns Leser zu einer Live-Aufnahme der Formation Rich Kelly & Friendship, die sich auf YouTube finden lässt und die wie er sagt, für ihn ein Garant für gute Laune ist. Man lege dabei besonderes Augenmerk auf das bei Minute 1:35 einsetzende Tanzsolo des Bassisten, und Jeff Tweedy verspricht nicht zu viel – es funktioniert, versprochen!

Wer einen Blick für derartig wunderbaren Unfug der positivsten Sorte hat, dem fällt es nicht schwer, mein Herz bereits auf Seite 11 zu erobern. Und das obwohl, ich muss es ganz offen vorweg schicken, ich vorher nicht besonders bewandert in der Welt von Wilco und Uncle Tupelo war, den Bands, mit denen Jeff Tweedy in den vergangenen fast 30 Jahren zu einer der wichtigsten Ikonen der Alternative Country Szene aufgestiegen ist. Die Bedeutung von Wilco, sowohl für die internationale Musikszene als auch für Musikliebhaber auf der ganzen Welt war mir natürlich schon früher bewusst. Tatsächlich lese ich aber sehr gerne Autobiografien von Künstlern, mit deren Leben und Schaffen ich mich bis dato gefühlt zu wenig beschäftigt habe. Und im besten Fall funktionieren sie als Initialzündung für eine intensivere Auseinandersetzung mit demjenigen.

Jeff Tweedy erzählt in „Let’s Go (So We Can Get Back)“ die Geschichte seiner Kindheit und Jugend als jüngstes von vier Kindern in Belleville und wie aus dem Jugendlichen, der leidenschaftlich auf Konzerte und in Plattenläden ging schließlich der Musiker wurde, der zuerst die Band Uncle Tupelo und später Wilco gründete. Er spricht offen über seine Tablettensucht, über das Verhältnis zu seiner Frau und seinen Söhnen, über Migräneanfälle und Panikattacken, über die ungewöhnlich symbiotische Beziehung zu seiner Mutter und den schmerzhaften Tod seines Vaters und natürlich über seine komplizierte Freundschaft und Zusammenarbeit mit Jay Farrar, mit dem er gemeinsam Uncle Tupelo gründete und nach dessen Ausscheiden aus der Band schließlich Wilco entstand. Das besondere an Jeff Tweedys Buch ist dabei vor allem wie er erzählt. Herz und Humor halten sich stets ganz wunderbar die Waage. Nie wird es zu rührselig, nie zu klamaukig. Und obwohl Tweedy sowohl was sein Privatleben als auch seine Karriere angeht so manches einstecken musste, ergeht er sich nicht in Selbstmitleid. Über allem liegt ein Augenzwinkern und gleichzeitig ein feines Gespür für das Leben, in dem sowohl die positiven als auch die negativen Erlebnisse ihre Berechtigung haben.

Inhaltlich gibt es natürlich auch so einiges zu entdecken. Wer gerne genauer wissen möchte, wie es zur Trennung von Uncle Tupelo und zur Gründung von Wilco kam, der wird es erfahren (zumindest Tweedys Seite der Geschichte). Immer wieder streut er wunderbar verrückte Anekdoten ein. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass es zu Jeff Tweedys Jugend einen Club gab, in dem unter 21 jährige in einer Art Käfig den Konzerten beiwohnen durften, damit sie nicht in der Lage waren, Alkohol an der Bar zu bestellen? Solche Geschichten sind pures Gold. Aber auch wenn Jeff Tweedy über Themen wie Kreativität und Sucht reflektiert offenbart sich jedes Mal, was für ein kluger, sensibler Kopf er ist. Und wie sich zum Ende hin der Kreis schließt und der Titel des Buchs seine Erklärung findet, ist regelrecht herzzerreißend.

Ich kann also aus Erfahrung sagen: man muss kein großer Wilco Fan sein, um an Jeff Tweedys Autobiografie seine Freude zu haben. Und da er nunmal über Musik schreibt, kann man gleichzeitig auch sehr gut in die Musik von Wilco, Uncle Tupelo und auch Tweedy (ein Projekt, das Jeff Tweedy gemeinsam mit seinem Sohn Spencer ins Leben gerufen hat) eintauchen. So habe ich gleich auf den ersten Seiten angefangen eine Playlist zu machen mit den Songs, die bei ihm Erwähnung finden. Seien es Kindheitserinnerungen, frühe Inspirationen oder eigene Stücke. An dieser dürft ihr an dieser Stelle gerne teilhaben. Ich bin jetzt, alles in allem, sehr glücklich vertweediet.

„Let’s Go (So We Can Get Back)“ von Jeff Tweedy ist in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.

Gelesen von: Gabi Rudolph

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