Interview: Gabi Rudolph & Johanna Olde
Es ist immer so schön, Angus und Julia Stone zu sehen. Ein paar Wochen vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Cape Forestier“ kommen die beiden nach Berlin, um ihr Label zu besuchen und, wenn sie schon mal da sind, ein kleines Showcase zu spielen, das sich überraschend von einem kleinen Auftritt im Büro in einen richtigen Gig vor fast 200 Leuten verwandelt. Die Tatsache, dass die beiden eine weite Reise aus ihrer australischen Heimat antreten mussten, macht das Ganze zusätzlich besonders. Die Zuneigung beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit – die beiden betonen gerne, wie sehr sie Europa lieben und wie sehr sie sich hier geschätzt fühlen.
Wir sprechen über das neue Album, das mehr Einigkeit und Liebe auszustrahlen scheint als alle bisherigen Veröffentlichungen der Geschwister. Aber auch über die Nachwirkungen der Pandemie, die in Europa und Australien so unterschiedlich erlebt wurde, und, apropos Australien, über verrückte Tiere.
Viel Liebe für euch, die ihr den ganzen Weg hierher zu uns kommt. Es ist so weit weg!
Julia: Warst du schon mal in Australien?
Nein, noch nie!
Julia: Es ist eine lange Reise. Unglaublich, dass die Leute das früher mit Booten gemacht haben.
Angus: Wie lange würde das dauern, zwei Monate?
Julia: Zwei Monate oder so von Europa aus, ja. Damals gab es noch keine Motoren, man ist einfach gesegelt, war also auf den Wind angewiesen und hat gehofft, dass man etwas Rückenwind bekam. Unsere Urgroßeltern kamen in den vierziger Jahren aus Venedig nach Australien. Und dann kamen unsere Ururgroßeltern väterlicherseits aus Schottland. Ich meine, die meisten weißen Australier sind europäischer Abstammung. Also ja, seltsame Reisen damals.
Als wir uns zuletzt während der Pandemie unterhalten haben, Julia, schien die Entfernung irgendwie nochmal größer. Wir waren in so unterschiedlichen Situationen. Ihr in Australien habt große Veranstaltungen gemacht, als wir noch nichts dergleichen hatten. Ihr habt viel früher geöffnet, aber auch ein paar Mal wieder geschlossen. Wenn ich zurückdenke, frage ich mich immer, welcher Ansatz wohl schwieriger war?
Julia: Ja. Ich denke, es war für jeden anders. Ich war in Melbourne, einer der am stärksten regulierten Städte der Welt. Für mich waren diese kleinen Freiräume wahnsinnig wichtig. Ich verstehe, was du meinst: Vielleicht ist es besser, die Hoffnung auf Freiheit nicht zu haben und sie einem dann wieder zu nehmen, aber ich habe diese Momente geliebt, in denen man rausgehen und an den Strand gehen durfte. Das war wirklich etwas Besonderes. Ich hatte sogar einige Auftritte in diesen kleinen Lücken. Du erinnerst dich an diese seltsamen Shows, bei denen man alle Stühle auseinander gestellt hat. Man konnte nur vor 50 Leuten in einem Saal mit tausend Plätzen oder so spielen. Es war einfach so schön, unter Menschen zu sein.
Angus: War Berlin sehr strikt im Lockdown?
Ich erinnere mich an diese Spaziergänge mit meinem Mann, es war wie in einem dystopischen Film. Man konnte an all diesen touristischen Orten entlanggehen und es war niemand auf der Straße.
Angus: War die Polizei auf Patrouille?
Ja, manchmal. Ich weiß nicht, wie wir in ferner Zukunft über all das denken werden.
Julia: So seltsam. Es ist interessant, sich vorzustellen, wie es wird, wenn es wieder passiert. Es wird wieder eine Pandemie geben, gerade wurde bei jemandem die Vogelgrippe diagnostiziert. Was es sein wird, wissen wir nicht, aber wie wird die Menschheit dieses Mal auf die Beschränkungen reagieren, wenn wir wissen, was wir jetzt wissen? Das wird spannend. Es ist fast so, als hätten die Regierungen ihre einzige Chance gehabt und mussten sie irgendwie nutzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Virus auftaucht. Ich meine, ich bin kein Verschwörungstheoretiker und ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Aber mit so vielen Menschen in einem sich erwärmenden Klima, das ist wie eine Petrischale für Viren.
Wie war das Leben für euch beide in den letzten Jahren? Es ist so schön, ihr macht beide eure Solosachen, aber ihr kommt immer wieder zusammen (Julia lacht). Wir haben gerade darüber gesprochen, niemand von uns könnte so etwas mit seinen Geschwistern machen!
Julia: Nun, als wir angefangen haben, konnten wir uns das auch nicht wirklich vorstellen. Es war kein Traum für uns, wir haben einfach angefangen, zusammen zu arbeiten, und es ist dann so passiert. Ich glaube, wie in allen Familien war es am Anfang eine echte Herausforderung. Man hat all diese Muster und Dinge, mit denen man aufgewachsen ist, und da muss man sich durcharbeiten. Ich glaube, wir sind sehr stolz darauf, dass wir es immer wieder schaffen, eine neue Ebene in unserer Beziehung zu erreichen. Inzwischen haben wir eine gute Art der Kommunikation miteinander entwickelt. Wir reden offen darüber, was wir brauchen und was wir fühlen. Aber das hat gedauert. Familie ist eine ganz besondere Dynamik, es ist großartig, aber auch eine Herausforderung, wegen der Ehrlichkeit und der Geschichte, die man miteinander hat. Ich weiß es nicht. Ich glaube, wir kommen immer wieder zusammen, weil wir uns gegenseitig Raum geben. Wir brauchen diesen Freiraum. Wir wissen, wann es Zeit ist, wegzugehen und unsere eigenen Abenteuer zu erleben. Alle Beziehungen brauchen diesen Freiraum. Und dann ist man wie: Oh, ich vermisse dich! (zu Angus) Du hast mich vermisst, stimmt’s? (lacht)
Was hat diesmal den Ausschlag gegeben? Wie hat dieses Album angefangen?
Angus: Was war der Auslöser? Weißt du das?
Julia: Angus meint, ich hätte ihm eine SMS geschickt (lacht).
Angus: Ich hatte Dope Lemon und Julia ihr Soloalbum „Sixty Summers“. Um kreativ zu sein, muss man diesen Drang haben, zusammen in einem Raum zu sein und gemeinsam immer wieder etwas Besonderes zu machen. Ich glaube, es hat sich einfach so ergeben. Wir sind zusammen gekommen. Wir haben einen Song gemacht, und wenn dieser eine Song stark genug ist, wird er zum Katalysator, und ein Album entsteht. Und es ist cool, wenn so etwas passiert, weil es bedeutet, dass etwas stark genug ist, dass man es durchziehen kann. Es ist schwer, zu wissen, woher es kommt, was es ist. Aber wenn überhaupt, dann könnte man es auf das Gefühl zurückführen, dass die Zeit gekommen ist…
Julia: …um einen Weg einzuschlagen, ja.
Ihr habt jetzt euer eigenes Studio, in dem ihr das Album aufgenommen habt…
Julia: Angus hat ein tolles Studio, Sugar Cane Mountain Studios. Er hat dieses erstaunliche alte Haus aus den Siebzigern gekauft, mit Blick auf die Zuckerrohrfelder und die Berge, oben in New South Wales. Es ist wie eine erstaunliche Zeitkapsel, ein völlig unberührtes Haus aus den Siebzigern, und er hat es in ein unglaubliches Aufnahmestudio verwandelt. Er hat dort ein paar Dope Lemon-Platten aufgenommen, und dann habe ich mir das Studio angesehen und wir haben angefangen, ein paar Sachen zu schreiben. Ein Teil dieser Platte entstand also in Sugar Cane Mountain. Das war wirklich cool, weil es so schön ist, wie ein tropisches Paradies. Ich denke, dass letztendlich jeder Ort, jeder Raum die Möglichkeit bietet, Musik entstehen zu lassen. Wir glauben fest daran, dass man einen Song in einem Hotelzimmer oder Backstage schreiben kann, es spielt keine Rolle, wo. Es gibt überall Songs. Aber es ist schön, in einer solchen Umgebung zu sein, weil es Geschichten gibt, die an den Wänden hängen. Die Tapete und der Teppich, sie alle erzählen Geschichten. Wenn man hinhört, kann man sie hören. Das Haus ist sozusagen in der Platte eingefangen.
Ich erinnere mich, Julia, du hast mir schon von dem schönen Farmhaus erzählt, das Angus besitzt.
Julia: Ja, ein altes Cottage, in der wir unser Album „Snow“ aufgenommen haben. Das ist ein bisschen mehr lo-fi.
Angus: Es wird komplett mit Solarzellen betrieben, nachhaltig durch die Sonne und eigene Wassertanks. Das hat seine Tücken, aber es war cool zu wissen, dass wir mit den Elementen arbeiten konnten und die Energie auf diese Weise bereitgestellt wird.
Julia: Es ist wirklich mitten in der Wildnis. Ich erinnere mich, dass wir uns einen Song angehört und überlegten haben, welcher Text wohin gehört, und dann nahm Angus seine Kopfhörer ab und sagte: „Da ist eine Schlange in der Küche…“
Ich muss zugeben, Australien ist sicher ein großartiges Land, aber ihr habt all diese verrückten Tiere! Seid ihr total entspannt, was das angeht?
Angus: Das kommt darauf an, wo man ist. Wenn eines im Haus ist, ist das nicht sehr entspannt. Vor allem, wenn man eine Schlangenhaut unter dem Bett findet, ist das sehr beunruhigend. Wenn man eine bestimmte Art von Haut findet, ist es nicht gut, sie im Haus zu haben… aber wenn es eine Python ist, dann ist es in Ordnung. In Europa fragen die Leute oft nach den Tieren. Es geht eher darum, dass man sich seiner Umgebung bewusst ist. Man läuft nicht im hohen Gras oder abseits des Weges. Das ist cool, denn so hat man ein besseres Bewusstsein dafür, wo unser Platz ist und wo der der Tiere. Genauso ist es mit den Tieren im Meer. Auf dem Meer vom Boot zu springen ist riskant, ich weiß nicht, wie die Leute das machen. Ich tue das nicht. Ich schwimme nur in der Bucht, wo es ruhig ist. Aber man muss wirklich zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Keiner muss sich Sorgen machen, es ist alles gut. Es ist sehr selten, so, als würde man vom Blitz getroffen.
Julia: Ich glaube, in Australien sterben genauso viele Menschen an einem Schlangenbiss wie an einem Blitzschlag. Und es gibt Gegengifte. Angus wurde eines Nachts gebissen… erinnerst du dich an die Spinne?
Angus: Ja. Ich wollte auf der Farm eine Pizza kaufen. Ich fuhr hin und es regnete in Strömen. Ich stieg aus dem Auto aus, und der Pizzabote stand am Tor, einem dieser alten Viehtore, zu denen man runterlaufen und sie öffnen muss. Er reichte mir die Pizza und ich rannte im Dunkeln zurück. Ich hatte keine Schuhe an und plötzlich biss mich etwas in den Fuß und es tat so weh. Ich sprang zurück ins Auto und fuhr zu meinem Haus auf dem Hügel, es tat einfach nur weh. Ich dachte, es ist okay, ich esse die Pizza und wenn es dann immer noch da ist, gehe ich ins Krankenhaus. Und dann wurde es richtig schlimm, ich konnte nicht mehr atmen, und was auch immer es war, es fing an, meinen Herzschlag zu stoppen. Es war ziemlich beängstigend. Also kam ein Krankenwagen und sie brachten mich in die Schlangenabteilung eines Krankenhauses, wo sie mir einen Haufen Zeug spritzten. Sie wussten nicht genau, was es war, aber sie dachten, es sei etwas Schlimmes, also mussten sie ein paar Sachen ausprobieren. Aber es war in Ordnung.
Ich finde es toll, wie gelassen du das alles sagst! „Ja, es war ziemlich schlimm…“
Angus: Es war nicht lustig, um ehrlich zu sein. Es war nicht die beste Nacht (lacht).
Nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit, was ist für euch das Besondere an diesem Album?
Julia: Für mich ist das Besondere an diesem Album die Leichtigkeit, mit der es gemacht wurde. Ich weiß, es klingt irgendwie kitschig, aber es fühlte sich an, als ob es gemacht werden wollte. Bei manchen Alben… es ist nicht so, dass es harte Arbeit ist, es macht wirklich Spaß, aber bei dieser Platte hat sich alles so leicht angefühlt, wie wir Entscheidungen treffen und Dinge ausprobieren konnten. Wir haben uns beide einander wirklich offen gezeigt, es fühlte sich an, als ob alle unsere Ideen funktionieren würden. Für mich ist diese Platte deshalb etwas Besonderes, weil ich denke, dass sie zumindest symbolisch diesen Punkt in unserem Leben repräsentiert, an dem die Dinge langsam… Ich will nicht „bequem“ sagen, denn die Dinge sind immer schwierig und verändern sich im Leben. Aber es hat etwas mit Selbstakzeptanz zu tun, das spüre ich jetzt ganz deutlich. Und ich kann es bei Angus spüren. Ich glaube, wir sind besser zu uns selbst, als wir es früher waren. Und das ist eine wirklich große und wichtige Veränderung für uns, für mich.
Wie fangt ihr an, einen Song zu schreiben? Habt ihr eine Idee und jammt dann einfach dazu?
Angus: Du kennst doch diese 8 Balls, die man schüttelt und die sich drehen? Manchmal macht man das, man stellt dem Magic 8 Ball eine Frage. Ich glaube, es ändert sich ständig. So wie sich jedes Gespräch ändert, so wie deine Stimmungen. Die Jahreszeiten können sich darauf auswirken, wie man sich den Tag über fühlt. So ist es auch beim Songwriting. Wenn du loslässt und nichts erzwingst, wirst du etwas bekommen. In deinem Unterbewusstsein wird etwas auftauchen, das du dir selbst sagen oder das du ausdrücken möchtest. Das sind die Momente, in denen man wirklich coole kleine Schätze findet, die dann zu Songs werden.
Darf ich sagen, was ich besonders finde? Die Art und Weise, wie eure Stimmen zusammenkommen, wie du einen Song anführst, dann du einen Song anführst, dann ihr beide zusammen singt, das ist absolut bezaubernd auf diesem Album. Besonders, wenn ich das sagen darf, wenn ihr beide zusammen singt.
Julia: Danke schön! Ja, es ist in dieser Hinsicht eine ziemlich ausgewogene Platte. Es gibt drei Songs die Angus singt, vier die ich singe und fünf, auf denen wir zusammen singen. Es fühlte sich wirklich sehr schön verteilt an. Und es war wirklich einfach zu wissen, wer jeweils die Geschichte erzählen musste. „My Little Anchor“ war so ein Stück, es fing damit an, dass ich den Song anführte, und als Angus anfing zu singen, war es so klar, dass es eigentlich für ihn gedacht war, zu singen. Es ist einer meiner Lieblingssongs, er ist so schön. Und noch einmal, ich denke, das ist der Punkt, an dem wir jetzt sind. Es gibt kein Ego, es ist mir egal, ob ich singe oder ob er singt. Wir wollen beide nur, dass der Song so gut wie möglich wird. Es spielt keine Rolle, wie wir das erreichen. Also danke, dass du das sagst.