Julia Stone im Interview: „Wir ziehen das Küssen an“

Immer wenn ich erzähle, dass ich Julia Stone zum Interview getroffen habe, ist die erste Frage die kommt: Und wo war Angus? Um das direkt aufzuklären: die männliche Hälfte des musikalischen Geschwisterduos Angus & Julia Stone befand sich im Nebenzimmer und hat dort Interviews gegeben. Unter anderem, um den ohnehin schon pickepacke vollen Tag ein bisschen zu entzerren, denn obendrein war der arme Kerl auch noch krank. Dafür war Julia umso fröhlicher. „Mich kannst du einen ganzen Tag in einen Raum sperren und mit Leuten reden lassen, das wird mir nie langweilig“, erklärt sie mir, warum sie zur fortgeschrittenen Nachmittagstunde noch so voller Elan wirkt. Und erzählt mir Geschichten über das Leben, das Küssen und natürlich das aktuelle Album von Angus & Julia Stone, „Snow“.

Drei Jahre ist es jetzt her, dass wir uns zuletzt zum Interview getroffen haben.

War das zu unserem Rick Rubin Album?

Genau.

Seltsam, dass das schon wieder drei Jahre her ist. Es kommt mir gar nicht so vor. Die Leute fragen oft hey, was habt ihr seitdem gemacht? Und ich denke, das war doch erst gestern.

Aber man braucht doch seine Zeit, oder? Wenn man zwischendrin gar nicht lebt, worüber will man denn dann schreiben?

Absolut. Man muss auch mal Sachen erleben, die nicht in einem Tourbus stattfinden. (Singt) Ich bin in einem Tourbus. Mit meinem Bruder. Und einer Menge Jungs. Jungs, Jungs, Jungs überall… (lacht). Eigentlich ist das auch genau unser Rhythmus, alle zweieinhalb Jahre eine Platte. Okay, dazwischen noch drei Soloalben. Sechs EPs. Das ist schon recht produktiv.

Ich habe ja großen Respekt vor der Kunst des Songschreibens. Es erschließt sich mir gar nicht, wie das funktioniert. Es hat fast etwas Heiliges für mich.

Ich finde es wahnsinnig einfach. Ich weiß auch nicht, es fällt mir einfach sehr leicht. Wenn du mich bitten würdest dir heute Abend noch einen Song zu schreiben, gar kein Problem. Ich kenne die Strukturen, weiß wie es funktioniert und wie ich da hin komme, wo ich hin will. Ich fühle mich sehr wohl dabei. Aber was ich unfassbar schwierig finde, ist eine Geschichte zu schreiben. Oder einen Essay. Sprache effizient zu nutzen um etwas auszudrücken, dir zum Beispiel in 500 Worten zu erklären was ich sagen will, darauf zu vertrauen, dass der Leser versteht was du meinst… das finde ich wirklich wahnsinnig schwierig. Ich habe in der Zeit zwischen den Alben einen Kurs für kreatives Schreiben besucht, damit sich mir das mehr erschließt.

Und hat es geholfen?

Ich habe ihn nach einem Monat hin geschmissen (lacht). Ich dachte hey, ich werde niemals gut darin sein. Dann kann ich auch gleich aufhören. Das ist mein Lebensansatz! Wenn du nicht gut in etwas bist, hör am besten sofort wieder auf (lacht).

Also, was ist sonst noch passiert in den letzten drei Jahren, außer ein abgebrochener Schreibkurs? Im Winter 2014 habt ihr hier in Deutschland zuletzt Konzerte gespielt. Ich habe übrigens noch nie so viele knutschende Paare auf Konzerten gesehen wie bei euch.

Ich weiß! Die Leute küssen sich die ganze Zeit bei unseren Shows. Ich erinnere mich an eine Show, da hat uns jemand einen Zettel auf die Bühne gereicht. Er würde gleich seine Freundin fragen ob sie ihn heiraten will und ob wir dann einen bestimmten Song spielen würden. Angus hat den Zettel laut vorgelesen, alle haben gejubelt und jemand hat gerufen: Möchtest du mich heiraten? Da dachten wir gut, jetzt müssen wir auch den Song spielen. Und dieses Pärchen stand direkt vor der Bühne, wir haben ihnen gratuliert und den Song gespielt, da haben sie angefangen extrem leidenschaftlich zu knutschen – aber so richtig! Es war sehr schwierig zu spielen und ihnen dabei nicht zu intensiv zuzusehen (lacht). Sie haben sich nicht wirklich benommen als wären sie in der Öffentlichkeit.

Euer Video zu „Snow“ passt da gut rein. Da wird sich ja auch viel geküsst.

Das stimmt! Da habe ich noch gar nicht drüber nach gedacht. Aber ja, wir ziehen das Küssen offensichtlich an. Im Video zu „Chateau“ wird sich auch geküsst, aber nicht ganz so viel. Nur ein bisschen.

Jetzt sind wir aber vom Weg abgekommen. Wann habt ihr mit den Arbeiten an eurem neuen Album angefangen?

Letztes Jahr im April wurde uns eine Show in der Schweiz, in Zermatt angeboten. Da hat quasi alles angefangen. Das war großartig, eine wunderbare Erfahrung. Angus und ich waren zu der Zeit getrennt voneinander unterwegs und wurden nach Zermatt für diese Show eingeflogen. Das Konzert fand in einem Zelt statt, mitten im Schnee, eine wunderschöne Nacht. Es gab Kerzen auf der Bühne und Felle über den Stühlen. Sie haben uns angeboten, danach noch übers Wochenende zu bleiben, zum Snowboarden und Skifahren. Wir haben in diesem unfassbar schönen Chateau gewohnt. Es war wirklich die unglaublichste, wunderschönste Zeit, die man sich vorstellen kann. So viel Schnee, das ist für Australier wie uns sehr ungewöhnlich. Die Berge sind so riesig! Sie haben uns mit einem Helikopter durch die Gegend geflogen und oben auf den Bergen abgesetzt. Angus und ich hatten endlich wieder die Möglichkeit, entspannt Zeit miteinander zu verbringen. Die Band ist wieder abgereist, es waren nur wir beide und die Leute von dort. Wir haben ganz entspannt die Zeit genossen und irgendwann gedacht hm, vielleicht sollten wir wieder etwas aufnehmen, wenn wir Zuhause sind. Eine Woche später haben wir mit der Arbeit am Album angefangen. Es gab immer wieder Unterbrechungen. Angus war zwischendurch mit seinem Projekt Dope Lemon unterwegs, ich habe unter anderem gelernt zu meditieren – was mir sehr schwer fällt (lacht). Ende Juni war das Album dann fertig.

Das klingt alles sehr aufregend. Und nach viel Arbeit, im positiven Sinne.

Es ist viel Arbeit, und es ist anstrengend. Aber ganz ehrlich, das Leben an sich ist anstrengend, für jeden. Alle Menschen sind verdammt beschäftigt. Ich stelle mir vor, wenn man dann auch noch Kinder hat… meine Freunde, die Kinder haben, sie haben so unfassbar viel um die Ohren! Hast du Kinder?

Ja, zwei.

Siehst du? Dann hast du mehr zu tun als ich. Immer wenn mich jemand fragt: oh, bist du im Stress? Dann sage ich: mir geht’s gut, ich habe keine Kinder (lacht). Ich schlafe wann ich will und niemand braucht mich.

Ich habe diese kleine Doku gesehen über die Aufnahmen zu „Snow“. Ihr seid dort auf einer Farm, die Angus gehört. Das sieht ja schon wieder so unverschämt schön aus.

Es ist auch ein unverschämt schönes Leben, das wir führen. Aber in den Videos zeigen wir auch nicht die schlechten Tage, an denen wir ungewaschen sind und uns anschreien (lacht). Diese Farm ist ein sehr cooler Ort – so Angus! Er ist so integriert in diese Landschaft. Ich bin sehr glücklich für ihn, dass er diesen Ort gefunden hat, an dem er so glücklich ist. Und dass ich als Nebenprodukt seines Glücks daran teilhaben darf. Er hat ein kleines Gästehaus gebaut, in dem ich gewohnt habe. Morgens sind wir aufgewacht, am Strand schwimmen gegangen, haben gefrühstückt, sind ins Studio gegangen und haben angefangen aufzunehmen. An manchen Tagen hatten wir eine gute Arbeitsethik, haben hart gearbeitet, an anderen nicht. Ich liebe es zu kochen, also habe ich für uns gekocht. Diese Zeit in unserem Leben wird mir immer als etwas ganz Besonderes in Erinnerung bleiben. Australien ist ein wunderschönes Land und dieser Flecken Erde ganz besonders. Wenn man morgens aufwacht ist der Boden nebelig und die Kängurus stehen im Garten. Es gibt dort Kühe und Pferde, Koalas, kleine Füchse. Alles was im Leben wichtig ist, findet man in der Natur: Frieden, Ruhe, Stillstand. Die Tiere machen ihr Ding, sie haben kein Lebenskonzept, keinen Plan, wo sie morgen sein sollen. Gut, es gibt auch andere Naturaspekte dort. Schlangen, kleine hektische Tiere, ich flippe aus, wenn ich ihnen begegne. Abends gehe ich dort ins Bett und denke, greift mich bloß nicht an (lacht). Aber es ist in Ordnung. So ist die Natur, wild, unvorhersehbar und wunderschön. An so einem Ort Musik  machen zu können ist sehr wichtig für uns.

Als ich das Video gesehen habe dachte ich, dass man an so einem Ort vielleicht auch im Kreativen besonders friedlich wird. Da finde ich es interessant, dass „Snow“ ein paar richtige Upbeat Nummern hat.

Das ist interessant, stimmt. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie wir zu dem Song „Who Do You Think You Are“ gejammt haben. Es war nachmittags, das Licht ist durch die Fenster quasi in den Raum geschossen. Ein goldenes Licht, Räucherstäbchen haben gebrannt, das war schon ein sehr erhebendes Gefühl. Aber ich denke, es gibt auch etwas Dunkelheit auf diesem Album. Es klingt beim ersten Hinhören vielleicht fröhlich, aber es hat auch seine Traurigkeit. Aber auch so ist das Leben. Wir sind sehr glückliche Menschen, aber das Leiden, das damit einher geht, ein Mensch zu sein, das wird man nie ganz los. Das Leben mag eine zeitlang sanft dahin segeln, man denkt alles ist in Ordnung, aber dann passiert wieder etwas. Musik ist, wie jede Form von Kunst, ein Weg sich auszudrücken und mit diesen Dingen umzugehen.

Ich mag ja diese Ehrlichkeit in eurer Musik. Und ihr seid sehr offen und emotional, wirkt aber trotzdem angenehm gesund dabei. Nicht als würdet ihr euch selber weg schmeißen, um allen eure Seele zu offenbaren.

Das ist ein sehr schönes Kompliment. Vielen Dank! Auf eine verrückte Weise glaube ich, dass genau diese Offenheit dazu beiträgt, dass man als Mensch, als Seele gesund bleibt. Wenn ich versuche etwas zu verbergen oder vorgebe etwas zu sein, das ich nicht bin, in welcher Situation auch immer, nicht nur musikalisch… wenn ich mich krampfhaft bemühe, dass man mich für etwas mag, das ich vielleicht selber gar nicht bin, das verursacht sehr viel Leiden für mich. Ich habe das auf eine sehr schmerzhafte Weise lernen müssen. Die Wahrheit ist nicht das, was am Ende weh tut. Musikalisch ist es der absolute Traum, so ehrlich sein zu können. Den Raum zu finden, in dem man sich so wohl fühlt, dass man es zulassen kann. Mein Traum ist, einfach immer so sein zu können, jeden Tag im Leben. Sich nie wieder zu verstellen. Egal wie seltsam das wird. Für viele Leute wäre es für eine lange Zeit sehr, sehr seltsam. Was für eine Stille! (lacht) Ich glaube, die ganze Welt müsste geschlossen in Therapie. Ich meine, wie viele Menschen haben ihren Eltern nie das gesagt, was sie ihnen sagen wollten. Aus Angst heraus, es könnte sie zu sehr verletzen. Aber dann gibt man demjenigen auch nie die Chance zu reagieren oder wenigstens darüber nachzudenken. Sag was du sagen willst, was auch immer. Lasst es einfach raus! (lacht).

Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem die Leute anfangen sich zu küssen.

Ja! Die totale Freiheit. Wie wunderschön wäre das. Aber auch erschreckend. Sich verlieben ist so unglaublich „no bullshit“. Mich erschreckt es, die Vorstellung diese Verletzlichkeit zuzulassen. Ich habe immer großen Respekt wenn ich miterlebe, wie zwei Menschen bereit sind, sich derart aufeinander einzulassen. Das ist eine große Sache!

Angus and Julia Stone sind im Herbst bei uns auf Tournee. Wenn ihr Lust habt, mal wieder ausgiebig zu knutschen, kommt vorbei. Alle Termine findet ihr hier

Interview: Gabi Rudolph

www.angusandjuliastone.com