„Zeiten des Umbruchs“ von James Gray: Die Seifenblase vom Amerikanischen Traum

Man nehme eine scheinbar heile Familie, einen kleinen Jungentraum, New Yorks Gesellschaft der 80er Jahre, eine Handvoll Hollywoodstars und ganz viele Klischees – und mache einen Film daraus. Kann schief laufen, muss es aber nicht. Im Falle von „Zeiten des Umbruchs“ von James Gray wird aus diesen Elementen ein sehr tiefgründiges und bewegendes Gesellschaftsdrama, gepaart mit der herzzerreißenden Coming-of-Age-Story eines kleinen Jungen.

Zeiten des Umbruchs

Paul Graff (Banks Repeta) will unbedingt Künstler werden. Seine Eltern Esther (Anne Hathaway) und Irving (Jeremy Strong) halten allerdings nicht viel von diesem Plan. Lediglich von seinem Großvater Aaron (Anthony Hopkins) wird Paul ernst genommen und auch gefördert. Immer wieder geraten Paul und seine Eltern aneinander. Als Paul, nachdem er beim Gras rauchen auf der Schultoilette erwischt wurde, auch noch von einer öffentlichen in eine private Schule wechseln muss, bricht für den kleinen New Yorker Jungen eine Welt zusammen. Denn zu Beginn seines sechsten Schuljahres trifft Paul auf den sitzengebliebenen Jonathan Davis (Jaylin Webb), einen schwarzen, älteren Jungen, der allein mit seiner bettlägerigen Großmutter lebt. Gegensätzlicher könnte diese Freundschaft nicht sein. Aber sie funktioniert. Umso schwerer fällt es Paul, nach dem Wechsel auf die Privatschule Anschluss zu finden. Und dann gibt es ja auch noch Pauls strenge Eltern und eine Gesellschaft voller Rassismus und Vorurteile. Der amerikanische Traum von Paul scheint bald zu platzen.

Von Schönheit und Qualität

Allein die Cast-Liste mit Hathaway, Strong und Hopkins klingt vielversprechend. Dabei ist es aber hauptsächlich das Spiel des 2008 geborenen Banks Repeta, welches den Film auf voller Länge trägt. Besonders die Szenen zwischen Paul und seinem Großvater gehen unter die Haut. Bei „Zeiten des Umbruchs“ ist alles am rechten Fleck. Die schauspielerische Leistung von Hopkins und Banks Repeta ist eine der großen Stärken des Films. Die beiden Figuren im Zusammenspiel sind ein Segen. Aber was sind tragende Schauspieler ohne ein gutes Drehbuch? Oft passiert es in Filmen, dass Figuren flach geschrieben werden, ihr Innenleben den Zuschauenden nicht berührt oder sie nur zum Zweck einer Handlung existieren. Bei „Zeiten des Umbruchs“ ist dies nicht der Fall. Zwar werden Pauls Eltern nur sehr oberflächlich gezeichnet (man erfährt nur beiläufig ein paar Dinge über sie), allerdings wird dieses Makel durch die Figuren Paul, seinen Freund Jonathan und den Großvater wieder ausgeglichen.

Und dann gibt es da auch noch die elitäre amerikanische Gesellschaft der 80er Jahre, in der Pauls jüdische Familie versucht, sich einzugliedern, während Paul wiederum versucht, aus ihr auszubrechen. Der Alltag der 80er Jahre ist geprägt von systemischem Rassismus, dem vergangenen Holocaust und der bevorstehenden Reagan-Präsidentschaft. Mehr als einmal werden die gesellschaftlichen Unterscheide und deren Spaltung zwischen Weiß und Schwarz sowie Arm und Reich deutlich gemacht. Während Jonathan als schwarzes Kind an einer öffentlichen Schule kaum Aufstiegschancen hat, wird an privaten Schulen die zukünftige Elite des Landes ausgebildet. Allen Widerständen zum Trotz halten Paul und Jonathan an ihrer Freundschaft und ihrem gemeinsamen Traum auszubrechen fest. Großes Kino!

Fazit

„Zeiten des Umbruchs“ ist eine ruhige, gefühlvolle und autobiografisch angehauchte Geschichte eines kleinen Jungen, der davon träumt, aus elitären und gesellschaftlichen Zwängen der 80er Jahre auszubrechen und Künstler zu werden. James Gray bedient sich beim Erzählen am traditionell klassischen Hollywood-Kino. Nix Extravagantes oder großes TamTam ist zu finden, und doch hallt der Film im Gedächtnis der Zuschauenden nach. Vor allem die schauspielerische Meisterleistung von Hopkins als liebenden und verständnisvollen Großvater, im Zusammenspiel mit der Neugier und leisen Rebellion von Banks Repeta’s Figur Paul machen den Film einzigartig. Der Film verbindet eine Coming-of-Age-Stoy mit gesellschaftlichem Drama – und stellt dabei den amerikanischen Traum, dessen Gesellschaft sowie Rassismus zurecht mehr als einmal an den Pranger.

Foto © Focus Features