William Fitzsimmons im Interview: “Der Traurigkeit wohnt eine Schönheit bei, vor der wir viel zu oft weglaufen”

William Fitzsimmons, der US-amerikanische Singer-Songwriter mit dem markanten Bart und der samtweichen Stimme, meldet sich zurück. Am 21. September erscheint sein mittlerweile siebtes Studioalbum “Mission Bell”, ein Album, das eine ganz besondere Geschichte erzählt. An einem lauen Sommerabend nimmt sich der Folksänger bei einem hellen Kölsch Zeit für unsere Fragen und gibt uns Einblicke in sein Seelenleben.

Dein neues Album „Mission Bell“ wird in wenigen Tagen veröffentlicht. Wie geht es dir damit?

Es fühlt sich gut an. Ich bin wahnsinnig stolz darauf, denn ich mag die Songs sehr. Aber ich bin gleichzeitig auch sehr aufgeregt, da die Leute jetzt diese neuen Songs hören werden, die mir extrem viel bedeuten…

Erzähl mir doch ein bisschen was über den Entstehungsprozess des Albums. Du hast bereits im Sommer 2017 mit den Aufnahmearbeiten begonnen, doch dann hast du nochmal komplett von vorne angefangen.

Genau… Das Album wurde erst geboren, ist dann gestorben und am Ende wurde es nochmal neu geboren. Ich hatte nie die Absicht, dass das Album so klingt, wie es nun der Fall ist. Ich hatte die Arbeiten an dem Album schon einmal zuvor abgeschlossen und damals war ich davon überzeugt gewesen, dass alles stimmig ist. Aber das Universum hat seine eigenen Gesetze. Dinge passieren, die Leute treffen Entscheidungen – mache davon sind gut, manche schlecht. Wenn ich nun zurückblicke, bin ich auf eine gewisse Art und Weise dankbar, eher aus persönlichen als aus künstlerischen Gründen. Und ich kann sagen, dass mir das jetzige Album noch sehr viel mehr bedeutet als die Songs auf dem ursprünglichen Album. Es ist ehrlicher, schöner und tiefgründiger. Wenn man mir vorher gesagt hätte, was in den letzten anderthalb Jahren alles passiert, ich hätte es vermutlich nicht geglaubt. Aber das ist vollkommen in Ordnung so. Je mehr ich dazu bereit bin die Realität so anzunehmen wie sie ist, desto friedlicher und ruhiger werde ich.

Wie ist es dir gelungen, dem Albumprojekt gemeinsam mit dem Produzenten Adam Landry neues Leben einzuhauchen?

Da haben wir vor kurzem tatsächlich erst drüber gesprochen. Mir selbst war das zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst. Ich habe Adam über meinen langjährigen Manager kennen gelernt. Und es wurde schnell klar, dass er der richtige Mann für dieses Unterfangen war, so schwer es auch sein würde. In unserer allerersten Unterhaltung fragte er mich, ob ich die Songs, so wie ich sie bereits aufgenommen hatte, retten wollte oder ob ich nochmal bei Null anfangen wollte. Meine Antwort auf diese Frage war für ihn ausschlaggebend, ob er das Album gemeinsam mit mir machen würde oder nicht. Wenn ich ihm damals gesagt hätte: “Ach weißt du, wir nehmen einfach ein paar Sachen raus und ändern ein paar Dinge ab…” würde es das Album in dieser Form jetzt nicht geben, denn dann wäre er raus gewesen. Aber ich hatte mich dafür entschieden, komplett neu zu beginnen. Und das war Zeichen genug für ihn, diesen Weg mit mir zu gehen. Ich war mir sicher, dass es nur so gut werden könnte. Ich musste einfach etwas Anderes, etwas Neues schaffen und mich von den ursprünglichen Songs lösen.

Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Die neuen Songs klingen für mich alle sehr persönlich und echt. Bist du dadurch noch aufgeregter diese Songs nun mit der Welt zu teilen?

Oh, das ist eine sehr gute Frage. Ich schätze, das ist wirklich so. Ich habe als Künstler immer zwei Ziele: Meine Lieder sollen zum einen Tiefe haben und daneben aber auch nicht zu komplex sein. Das ist alles. Ich habe nicht die Absicht, besonders originelle Songs zu schreiben oder ein Album zu machen, das die Leute total überrascht. Wenn man so an die Sache herangeht, dann ist sie von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wenn es dann doch zufällig so kommen sollte, ist das toll und kann große Kunst sein. Aber wenn du dir beispielsweise vornimmst ein hundertprozentiges Rockalbum zu schreiben, dann wird das nicht gut klappen. Bei diesem Album habe ich das Gefühl, dass die Songs mehr Tiefe haben als meine älteren Sachen. Der größte Unterschied für mich ist nicht ein neuer Sound, der ist nur geringfügig anders, sondern das Album ist für mich gefühlsmäßig ein bisschen mehr ein Zwischending: Es ist nicht extrem traurig und aus einer Opferrolle heraus geschrieben und es ist auch nicht wütend oder macht Vorwürfe. Es siedelt sich vielmehr in jenem zweideutigen Raum an, wo sich ein jeder Hörer sein eigenes Bild machen kann. Während ein Fan bei einem Song vielleicht weinen wird und an ihren Freund denken muss den sie verloren hat, denkt ein anderer bei demselben Song an etwas Schöneres. Diese neuen Lieder bieten definitiv mehr Interpretationsspielraum als meine älteren Stücke.

Bist du gerade deswegen gespannt, wie die Leute bei Livekonzerten auf die neuen Songs reagieren werden?

Wir haben diesen Sommer bei den Festivals hier in Deutschland und in Holland einige der neuen Songs gespielt und bisher bin ich sehr zufrieden. Ich versuche, keine zu hohen Erwartungen zu haben. Man wacht nicht eines Morgens auf und sagt sich, das ist jetzt das Album, das alles verändern wird. Sondern man lässt das am besten einfach auf sich zukommen. Ich habe vor meinen Fans so große Achtung, dass ich es ihnen überlasse, wie sie mein Album erleben wollen. Einige werden es lieben, es werden neue Fans dazu kommen, andere wegfallen und einigen wird es gar nicht zusagen. Aber das ist völlig in Ordnung so. Denn ich habe erkannt, dass es gar nicht mein Job ist, dieses Ergebnis kontrollieren zu wollen. Sondern mein Job ist es, etwas zu erschaffen, was so brutal ehrlich ist wie möglich und es dann auf die Leute wirken zu lassen. Wenn ich da mehr rausholen wollte, wäre ich am Ende sehr unglücklich. Ich würde jede einzelne Rezension und all die negativen Kommentare auf Youtube lesen…

Oh ja, die Leute können online echt gemein sein…

Man möchte ja, dass den Leuten gefällt, was man macht. Aber das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, die Leute zu unterhalten. Ich gehe nicht auf die Bühne und versuche, die Leute traurig zu stimmen, auch wenn ich bei meinen Shows genau darüber Witze reiße. Ich sage dann, dass ich wohl lieber mal Taschentücher austeilen sollte. Ich möchte, dass die Leute auf meinen Konzerten Dinge empfinden, aber gleichzeitig möchte ich sie auch unterhalten. Die Musik soll genau so viel Entertainment Faktor haben wie sie bedeutungsvoll ist. Man versucht als Musiker am besten nicht, das beeinflussen zu wollen, sondern lässt es einfach seinen natürlichen Lauf nehmen.

Wann hast du denn angefangen, deine eigenen Songs zu schreiben?

Als ich die Graduate School besucht habe, hatte ich bereits einige Gitarren und hatte eigentlich fast mein ganzes Leben bereits Musik gemacht. Doch dann habe ich angefangen, die Musik noch einmal neu zu entdecken. Ich habe nicht mehr gegen die Musik meiner Eltern rebelliert, die ich davor etwas lahm gefunden hatte…Ich bin mit Folk Musik aufgewachsen – mit guter und sehr schlechter Folk Musik. Zum guten Folk zähle ich beispielsweise Jim Croce, Joni Mitchell oder John Denver, aber meine Mutter hat auch Sachen gehört wie Peter Paul and Mary, die mir nicht wirklich viel gegeben haben und mir nicht genügend Tiefgang hatten. Wie auch immer, als ich dann meine Phase überwunden hatte, in der ich hauptsächlich härtere Sachen wie Led Zeppelin und Metallica gehört habe, erkannte ich, dass ich tief in mir drin eigentlich sanftere Geschichten erzählen wollte. Zu dem Zeitpunkt habe ich dann wieder angefangen, die alten Folk Sachen zu hören, insbesondere Nick Drake und Joni Mitchell. Als ich dann zum ersten Mal das Live Album von John Denver gehört habe, habe ich mich direkt in meine Kindheit zurückversetzt gefühlt. So hatte ich mich 20 Jahre lang nicht mehr gefühlt und ich habe mich gefragt, wie toll es wohl wäre, wenn ich mich genau so auch mit meiner eigenen Musik fühlen könnte oder – wenn ich sehr großes Glück haben würde – vielleicht sogar anderen Leuten solche Gefühle vermitteln könnte. Die ersten Jahre war das ziemlich trostlos. Ich wusste einfach nicht, wie mir das gelingen sollte. Ich war damals bestenfalls eine billige Kopie der Dinge, die ich so sehr liebte. Aber es gab dann mit der Zeit doch immer mehr Songs, die eigentlich ganz cool waren und als ich genug solcher Songs geschrieben hatte, habe ich diese auf mein erstes Album gepackt. Ich habe das am Anfang nur für meine Freunde aufgenommen und habe ihnen gesagt: “Hört da mal rein. Ich habe ein Album gemacht.” Ich hätte mir damals nie im Leben erträumen lassen, dass ich jemals ein Record Label haben und Shows spielen würde. Ich war damals gerade dabei, Psychologie zu studieren, mein weiterer Lebensweg war im Prinzip schon vorgezeichnet…

Was inspiriert dich denn beim Songwriting?

Am allermeisten bin ich inspiriert durch Momente, in denen ich starke Gefühle empfinde und das kann viele verschiedene Quellen haben. Es können andere Songs sein, die mich berühren, Filme, Bücher…Traurigkeit ist für mich ein sehr universelles und inspirierendes Gefühl – Es fühlt sich nicht gut an, aber traurig zu sein ist für mich fast schon zur Normalität geworden, es ist ein so alltägliches Gefühl, über das wir nicht immer gern sprechen. Es gibt viel depressive Musik, das stimmt, die gab es schon immer. Die Psalmen in der Bibel beinhalten genauso viel Traurigkeit wie Hoffnung. Traurige Songs können gleichzeitig aber auch sehr schön sein, das schließt sich für mich nicht aus. Der Song “Lovely” auf meinem Album erzählt beispielsweise die Geschichte einer Nonne, die ihr Leben opfert, um ihre jungen Schüler zu beschützen, die missbraucht wurden. Sie hat das im Endeffekt mit dem Leben bezahlt. Das ist für mich wahnsinnig traurig und tragisch, aber ist es nicht auch irgendwie schön? Jemand opfert sein Leben, um jemand anderen am Leben zu halten. Der Traurigkeit wohnt eine Schönheit bei, vor der wir viel zu oft weglaufen. Dabei ist gerade dieses Gefühl unendlich wertvoll. Glücklich zu sein ist toll, aber davon lernt man rein gar nichts. Es hilft uns aber dabei, besser mit den traurigen Momenten umgehen zu können.

Diese Formulierung gefällt mir. Ist “Lovely” denn auch der Song, der dir am nächsten geht auf dem Album?

Oh, das ist eine gute Frage. Da ich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen kann, wie meine persönliche Story ausgeht, fällt es mir schwer, diese Frage zu beantworten. Ich weiß nicht, ob meine Frau und ich verheiratet bleiben werden oder nicht, aber das ist okay. Denn manchmal ist das Leben ein einziges Fragezeichen. Man muss lernen, mit diesem Unsicherheitsfaktor zu leben. Es hängt daher sehr davon ab, wie die Geschichte für mich im echten Leben weitergehen wird… Es ist wahrscheinlich entweder “Never Really Mine”, ein Song darüber, dass etwas, von dem ich immer dachte es sei die Wahrheit, genau das nicht war oder “Angela”, ein Song darüber, dass man immer füreinander da ist, egal, was kommt, bis ganz zum Ende. Es wird entweder in die eine oder in die andere Richtung gehen…

Du gehst sehr bald in Deutschland auf Tour. Hast du denn schon eine Setlist im Kopf?

Wir sind gerade dabei, diese aufzustellen. Wir nutzen zum einen unsere Proben zu Hause, um ein bisschen herumzuprobieren und zum anderen nehmen wir auch die Erfahrung der Festival- und Radioauftritte mit. Welche Songs haben die größte Wirkung auf uns und auf das Publikum? Hier geht es mir nicht in erster Linie um den Applaus, denn das ist nicht der alleinige Erfolgsindikator. Wenn meine Band und ich auf der Bühne einen solchen Moment erleben, der nicht von dieser Welt ist, dann spüren wir das einfach. Das klingt jetzt ein wenig kitschig, aber so fühlt es sich nun einmal an, wenn der Moment alles überragt und wir alle merken, dass da gerade etwas passiert. Wir haben alle schon transzendente Momente erlebt, das kann zum Beispiel auch ein wunderbar intimes Erlebnis zweier Liebender sein. Und genau nach solchen Momente sehnen wir uns. Sowas passiert nicht immer bei denjenigen Songs, wo man es vorher vermutet, das kann bei ganz anderen Songs der Fall sein. Daher versuche ich, sehr offen zu sein. Im Prinzip spielen wir, was sich für uns richtig anfühlt, wir erzwingen es nicht. Sonst kann das nur ein Reinfall werden, selbst wenn der Song eigentlich gut ist. Manchmal verlangt ein Song einfach nicht danach, gespielt zu werden, sondern möchte ruhig bleiben.

Zu welchem Song habt ihr als Band denn diese besondere Verbindung aufgebaut?

“I Don’t Feel It Anymore” vom “Sparrow And The Crow” Album. Es macht mir nach wie vor unendlich viel Spaß, diesen Song live zu performen, denn er ist sehr echt und “raw”. Egal, zum weivielten Mal ich ihn spiele, er hat immer noch eine Stimme und ist relevant. Mein Job ist es hierbei, als Dirigent zu fungieren. Denn ich bin davon überzeugt, dass jeder Song eine Art Eigenleben hat und man muss ihnen Raum geben, sich zu entfalten. Und solange mir das so ergeht, werde ich diesen Song immer wieder spielen. Es kann auch sein, dass das Publikum einen Song hören will, und ich performe ihn dann, auch wenn ich mich dazu emotional nicht wirklich in der Lage fühle. Das ist dann aber trotzdem in Ordnung. Es muss sich für mich nicht immer gut anfühlen. Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich happy bin, sondern ich werde dafür bezahlt, die Leute zu unterhalten. Und ich habe mit nunmal für eine Dienstleistung entschieden, die ab und an auch Tränen und schwere Momente beinhaltet. Aber das okay für mich und ich mache das gerne.

Was ist denn deine Lieblingserinnerung, die du mit Deutschland verbindest?

Oh, das ist schwer! Ich habe so viele tolle Erinnerungen. Es gibt einen Moment bei meiner allerersten Tour, den ich niemals vergessen werde. Wir waren damals während der Weihnachtszeit in Heidelberg und wir waren dort auf dem Weihnachtsmarkt mit Glühwein, den kleinen Buden und – oh Gott, das ist jetzt furchtbar kitschig – aber das hat sich angefühlt wie im Märchen. Das war ein ganz besonderer Moment. Ich war vor dieser Tour nicht wirklich viel herumgereist und ich hatte mir niemals erträumen lassen, dass ich mal nach Europa oder genauer gesagt nach Deutschland reisen würde. Und dieses Gefühl, zwar weit weg von zu Hause, aber gleichzeitig auch sehr sicher und willkommen zu sein, war einfach sehr besonders für mich. 

Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Welche Songs sind denn aktuell auf deiner Playlist vertreten?

Das Album, dass ich die letzten Monate wohl am häufigsten gehört habe ist Aimee Manns Platte “Mental Illness“. Sie hat dafür kürzlich ihren ersten Grammy Award gewonnen. Dieses Album hat mir sehr geholfen, die letzte Zeit durchzustehen. Außerdem ist bei mir das Album “Black Mile To The Surface” von Manchester Orchestra rauf und runter gelaufen. Ganz besonders haben es mir deren Songs “The Gold” und “The Alien” angetan. Phoebe Bridgers hat vor kurzem erst ein wahnsinnig schönes Cover von “The Gold” gemacht. Der Song fühlt sich einfach hundert Prozent richtig an, ich kann das jetzt gar nicht genau in Worte fassen, woran das liegt. Manchmal findet man einen Song und denkt sich, der trifft einfach direkt ins Schwarze und ich muss ihn jetzt sofort hören. So ergeht es mir mit “The Gold”. Diese beiden Alben waren im letzten Jahr meine Freunde.

Vielen Dank für das tolle, tiefgehende Interview und viel Erfolg mit deinem neuen Album!

William Fitzsimmons Live 2018:

02.10.  Dresden, Beatpol
04.10.  München, Technikum
08.10.  Stuttgart, Im Wizemann
17.10.  Hamburg, Grünspan
24.10.  Berlin, Heimathafen

williamfitzsimmons.com
http://www.facebook.com/williamfitzsimmons

Fotos: Shervin Lainez, Grönland Records