Als ich Chris Cain und Keith Murray, das Herz der Band We Are Scientists treffe, um mit ihnen über ihr neues Album „Megaplex“ zu reden, schrammeln sie gerade auf der Gitarre und proben einen deutschen Song von Bela B. Was sie dazu bewegt und ob es heutzutage legitim ist, Songs zu schreiben, die einfach nur gute Laune machen und ohne tierschürfende Botschaft auskommen, haben die sympathischen New Yorker mir im Interview verraten.
Ich habe euch gerade den Bela B Song „Sie Hat Was Vermisst“ üben hören, wie kommt ihr auf ein deutsches Lied? Ihr spielt den fürs Radio, richtig?
Chris: Wir haben den schon mal in der Vergangenheit gespielt. EMI, unser Label, hat uns damals gefragt, sie haben mal eine Platte mit verschiedenen Bela B Coverversionen gemacht und wir haben eine B-Seite gecovert.
Habt ihr Bela B schon mal getroffen?
Chris: Nein leider noch nicht, wir haben mal seine Freundin kennengelernt, die eine TV-Moderatorin ist. Wir fanden sie total nett. Als wir dann gefragt wurden, dachten wir wenn sie so nett ist, dann ist er bestimmt auch OK. Als wir von Radioeins gefragt wurden, ob wir ein deutsches Lied covern könnten, haben wir uns wieder an den Bela B Song erinnert.
Wow, was für eine Herausforderung. Erinnerst du dich noch an den Text?
Cain: Nein, ich konnte den Text noch nie, ich habe ihn immer abgelesen (lacht).
Ihr habt gerade euer neues Album „Megaplex“ rausgebracht. Ist das nach 18 Jahren zusammen als Band immer noch aufregend oder wird das zur Routine?
Keith: Nein wir sind super aufgeregt, weil wir die Platte mögen.
Chris: Es wäre schlimm, wenn wir nicht mehr aufgeregt wären, das würde heißen, dass uns die Platte eigentlich nicht interessiert.
Wenn man euren Bandnamen googelt steht zu eurer Website: „A Rock Band – We Are Scientists“, muss das jetzt mit „A Pop Band“ geändert werden?
Chris: Wir haben schon immer sehr genreübergreifend gespielt. Wir haben uns nie wirklich um Schubladen gekümmert. Unser Set-Up live mit Bass, Gitarre und Schlagzeug macht aus uns eher eine Rock Band.
Keith: Wenn wir uns jetzt Pop Band nennen würden, dann würde sich der ein oder andere der zu unserer Show kommt, auf die falsche Fährte gelockt fühlen. Vielleicht würden sie sogar ihr Geld zurück verlangen (lacht).
Wie spielt ihr dann die neuen Songs live? Wie ihr schon gesagt habt ist euer Set-Up eher basic, einige eurer neuen Songs sind allerdings sehr Keyboard-lastig. Wie setzt ihr das um?
Chris: Es ist in der Tat eine totale Herausforderung. Wir versuchen gerade immer noch auszutüfteln, wie wir einen Song wie „My Heart Is A Weapon“ live spielen. Die Songs sind zum Glück nicht so kompliziert von ihrer Grundstruktur her und es ist nicht so schwer, die Keyboards einfach weg zu lassen.
Nehmt ihr einen Keyboarder mit auf Tour?
Chris: Nein, das werden wir nicht machen. Wir experimentieren gerade bei zwei Songs mit bereits aufgenommenen Keyboard-Spuren, was wir eigentlich nicht mögen, allerdings macht es bei einigen der neuen Songs Sinn. Du hast aber völlig Recht, es ist eine echte Herausforderung.
Habt ihr das schon im Hinterkopf, wenn ihr Songs schreibt, wie sie sich live spielen lassen?
Keith: Wir machen uns keine Gedanken darüber, manchmal wissen wir dass es schwer werden wird, den Song live zu spielen. Am Ende ist uns aber immer der selbst Song wichtiger.
Chris: Wir haben uns damit abgefunden, dass sich manche Songs live anders anhören oder dass wir manche nie live spielen werden. Das ist ok.
Chris, du hast gesagt mit dieser Platte möchtest du eine Spaß-Bombe platzen lassen. Glaubt ihr, dass es gerade heutzutage wichtig ist, wenn alles immer komplizierter, politischer und frustrierender ist, dass man den Menschen einfach ein bisschen Spaß und gute Laune zurückgibt, so ganz ohne Botschaft?
Chris: Das ist absolut wichtig aus unserer Sicht.
Ich glaube man kann gerade zwei Extreme beobachten, entweder geht es nur noch darum eine Botschaft zu transportieren und sich politisch zu positionieren, oder man möchte einfach nur Spaß verbreiten. Ich habe Flaming Lips gesehen, da hat Wane Coyne Konfetti geworfen und ist auf einem Einhorn durch die Menge geritten. Seine Botschaft war, er möchte dass die Menschen glücklich sind und mit einem Lächeln nach Hause gehen.
Chris: Ja, diese Band ist ein super Beispiel. Es ist total berechtigt, wenn mit Musik eine politische Position bezogen wird. Allerdings gibt es momentan viele Bands, die das gerade machen weil es angesagt ist. Dabei sagen sie aber nichts wirklich Wichtiges. Darauf reagiere ich allergisch. Wir sind nicht gut in politische Songs schreiben, man würde uns das glaube ich auch nicht abnehmen. Zudem sollte Musik auch ein Teil der Kunst sein, die einfach nur Freude bereitet. Man darf schließlich auch nicht die schönen Seiten des Lebens vergessen. Meine Frau zum Beispiel regt sich jeden Tag über Trump auf, sie kann es einfach immer noch nicht fassen, dass er gewählt wurde. Genau für solche Menschen ist es umso wichtiger, etwas zu haben, was sich nicht um Politik dreht.
Keith: Daher ist es wichtig, dass wir den Social Media Feed mit unseren unsinnigen und lustigen Videos unterbrechen. Da ist all das Negative, und dann kommen wir und plötzlich lächelst du wieder.
Da hast du in eurem letzten Video zu „My Heart Is A Waepon“ einen ziemlich guten Job gemacht und dich gleich mal nackt ausgezogen. Was das deine Idee?
Keith: Ist das nicht eine großartige Ablenkung? Verstörend auf eine ganz andere Art als Trump (lacht). Es war natürlich nicht meine Idee, ich wurde überredet. Und die Verpixelung ist wesentlich größer, als dass was man eigentlich sehen würde.
Chris: Wir tragen also dazu bei, dass man auch mal abschalten kann. Man kann ja nicht ständig darüber nachdenken, wie man die Welt rettet.
In eurem Company Intelligence Report….
Chris Cain: Oh man shit, der sollte doch geheim bleiben (lacht)!
… tja er ist an die Öffentlichkeit geraten und auch in meine Hände. Da stand drin, dass ihr euch selbst als „Musical Entertainment Group“ bezeichnet. Was macht euch zu mehr als eine Band?
Keith: Wir wollen mit unserer Musik unterhalten.
Chris: Es gibt viele tolle Bands, die einen Song eher wegschmeißen würden, wenn sie das Gefühl haben er hat eine simple eingängige Melodie und ist damit einfach nur ein Stück, das Spaß macht. Manche Bands nehmen dieMelodien lieber zurück als zu eingängig zu sein, da geht es immer um Tiefe. Das würden wir niemals tun.
Ist das aber nicht gerade schön, vor allem live, wenn das Publikum mitsingt und die Melodie kennt? Das ist doch eigentlich ein super Feedback.
Keith: Ja absolut, das ist großartig. Darum geht es uns und das genießen wir auch auf einem Konzert. Das sind für uns die richtigen Vibes.
Ich war letzte Woche erst bei Arcade Fire, am Ende spielen sie immer „Wake Up“ und wirklich jeder, bis in die hinteren Ränge singt mit. Es gibt kaum einen besseren Gänsehaut-Moment wenn eine ganze Halle in einem Song vereint ist, inklusive der Band.
Keith: Bei Arcade Fire ist lustig, dass sie immer versuchen eine Botschaft zu transportieren, aber der Song bei dem alle mitsingen ist eine total eingängige Melodie und alle singen nur: „Ohh Ohh Ohh ….“ (fängt an „Wake Up“ zu singen).
Ich glaube es funktioniert aber, dass man eine eingängige, fast triviale Melodie haben kann und trotzdem ist darin eine Botschaft verpackt, die das Publikum auch mitbekommt und versteht.
Chris: Das ist perfekt, wenn du es schaffst, eine starke Melodie zu kreieren, die eine Aussage noch verstärkt. Dann hast du alles richtig gemacht. Schau dir Radiohead an, die Musik wirkt oft sehr schwermütig und trotzdem kann sie total Spaß machen. Ähnlich ist es bei Arcade Fire, die transportieren was und es macht trotzdem Spaß. Im Vergleich dazu 30 Seconds To Mars, das ist für mich nur so eine pseudo vordergründige Aussage. Eigentlich gibt es da nicht viel Inhalt, sie tun aber immer so. Da höre ich eher nur auf die Songs satt auf eine Aussage, die immer die Gleiche ist: „Wir werden alle kontrolliert“. Es ist völlig OK, wenn es einfach nur Spaß macht, man sollte dann aber nicht versuchen, mehr daraus zu machen.
Was ist der größte Unterschied zu eurem letzten Album? Seid ihr die Aufnahmen anders angegangen?
Keith: Wir hatten eine sehr klare Vorstellung davon, wie die Aufnahmen laufen sollen, wir waren ziemlich gut vorbereitet, daher ging es auch ziemlich schnell. Die eigentliche Aufnahme ist der Part im ganzen Prozess, den wir am wenigsten mögen. Wir lieben das Schreiben und bei uns zu Hause daran rum zu basteln.
Chris: Das Problem heutzutage ist, dass die Produktionsstandards so hoch geworden sind, dass es ewig dauert, bis man den perfekten Sound ausgetüftelt hat. Dazu ist die Gefahr groß, dass man Songs überproduziert. Es gibt eine Menge an technischem Kram, der uns nicht wirklich interessiert. Wir mögen lieber den Teil, bei dem wir einfach Spaß haben und einspielen, egal ob es perfekt klingt oder nicht. Manchmal ist nicht perfekt gerade gut.
Keith: Es dauert oft eine Ewigkeit, bevor wir überhaupt einspielen können, alleine den richtigen Sound fürs Schlagzeug zu finden dauert Ewigkeiten. Das kann zwei Tage dauern.
Wie einflussreich konnte da noch euer Produzent Max Hart sein?
Chris: Er hatte einen sehr großen Einfluss. Wir haben uns mit ihm aber schon im Vorfeld ausgetauscht, bevor wir ins Studio kamen. Wir haben Takes hin und her geschickt, dann hat er gesagt er mag es oder nicht. Für die letzte Platte, die wir auch schon mit Max gemacht haben, haben wir für drei Monate ein Studio gemietet. Dann haben wir jeden Tag dort gesessen und diskutiert. Jetzt hatten wir die Diskussionen schon vorher.
Spielt ihr daher auch so gerne akustik, weil das gerade heraus ohne vielen technischen Schnick Schnack ist?
Keith: Ich mag an diesen Versionen besonders, dass sie immer einzigartig sind. Man läuft nicht einer bereits aufgenommenen Version hinterher, sondern spielt frei heraus. Zudem ist es intimer, was auch mehr Nähe erzeugt.
Ihr habt massenhaft Songs für das neue Album geschrieben. Wie schwer ist es, die richtigen auszusuchen?
Keith: Es gibt viele Songs die ich auch gut finde und bei denen es schade ist, dass sie nicht auf dem Album sind. Wir haben aber sehr instinktiv ausgesucht. Es hat einfach im Ganzen Sinn gemacht.
Wie kompliziert ist es heutzutage eine Single auszuwählen? Früher war eine Single super wichtig, heute mit dem ganzen Streaming und der Digitalisierung verwässert das alles irgendwie.
Chris: Es ist immer noch wichtig, im Sinn von hinter welchen Song setzt du Marketing Aktivitäten. Eine Single ist eine Art, die Leute auf die Platte neugierig zu machen. Wenn man auf unsere Streaming Statistiken schaut, dann liegen die Singles meisten am höchsten, ich glaube nicht, dass es daran liegt weil es die besten Songs sind, sondern weil sie gepusht werden. Das verdammt dann manchmal die anderen Songs dazu, dass man sie nicht so oft anhört.
Die Arctic Monkeys zum Beispiel bringen vor Veröffentlichung ihres neuen Albums keine einzige Single raus. Ist das nicht auch eine Art den Spannungsbogen zu erhöhen und das Album mehr in den Vordergrund zu stellen?
Keith: Für die Arctic Monkeys ist das nicht sonderlich mutig. Sie können einfach alles machen, weil sie die Arctic Monkeys sind. Trotzdem werden alle sofort das Album kaufen. Aber stimmt schon, es erhöht die Spannung. Die Arctic Monkeys leben einfach außerhalb der normalen Marketing Mechanismen. Genauso wie Radiohead mit ihrem „Zahle was du willst“-Album.
Keith: Wenn wir die Arctic Monkeys wären, würden wir auch keine Singles veröffentlichen (lacht).
Hat sich euer Musikgeschmack über die Jahre stark geändert?
Keith: Es hat sich eher die Art geändert, wie wir Musik machen wollen. Unser Musikgeschmack hat sich so verändert, wie man es erwarten würde in 18 Jahren. Obwohl sich heute immer mehr neue Musik anhört, als wäre sie 2004 entstanden. Wir diskutieren auch oft neue Musik zusammen.
Was hört ihr momentan gerne?
Chris: Die neue MGMT ist super. Obwohl sie starke 80er Anklänge hat, klingt sie total frisch und zweitgemäß.
Keith: Ich höre die Dua Lipa Platte total gerne.
Chris: Mein Sohn steht gerade total auf Lil Pump. Das läuft zu Hause bei uns rauf und runter, jetzt mag ich ihn auch.
Keith: Und ich kenne ihn immer noch nicht (seufzt).
Chris: Ja, er hat einen ziemlich aktuellen Rap-Stil mit sehr modernen Ideen Songs zu produzieren. Wenn du Lil Pump zum ersten Mal hörst, verstehst du definitiv kein Wort (lacht). Er wurde mir quasi aufgedrängt und jetzt mag ich ihn so langsam auch.
Es ist witzig, wie sich das Blatt auf einmal dreht und man durch die Kinder neue Musik kennen lernt.
Chris: Ja, mein Sohn ist jetzt 12 und jetzt fängt es so richtig an, dass er neue Sachen nach Hause bringt. Er steht nicht so auf Videospiele, eher auf Musik.
Keith: Ich erinnere mich noch, wie er vor ungefähr vier Jahren mit Twenty One Pilots ankam und ich dachte nur uhhhh was ist das für ein Mist. Und drei Jahre später fand ich Twenty One Pilots dann richtig gut. Da hat es bei mir wohl etwas zu spät gezündet (lacht).
Wie schafft man es, über fast 20 Jahre eine Band am Leben zu erhalten? Heutzutage hört man von so vielen Bands, die sich trennen. Hat das auch was mit dem Spaß zu tun, den ihr gemeinsam habt?
Chris: Wenn es für uns einfach nur ein Job wäre, hätten wir sicher schon aufgehört. Wenn man ehrlich ist, ist so ein Musikerleben echt anstrengend, sowohl körperlicher als auch emotional. Man ist so viel unterwegs und die meiste Zeit weg von der Familie. Es gibt sicherlich wesentlich einfachere Jobs.
Keith: Allerdings machen die auch weniger Spaß. Vielleicht wäre Wasserrutschentester noch ein ähnlich lustiger Beruf. Natürlich nur, wenn man wegen dem Spaß testet, nicht wegen der Sicherheit.
Apropos Spaß, habt ihr ein Lieblingsevent, an das ihr euch gerne zurück erinnert?
Chris: Wir hatten mal in Deutschland einen Auftritt auf einem Festival, das hieß „Obstwiesen“. Das war so klein, dass wir Headliner waren. Die hatten ein Feuerwerk am Schluss. Das war so schlecht umgesetzt, dass immer nur einzelne Feuerwerkskörper geflogen sind und die Asche auf das Publikum gefallen ist. Wir mussten so lachen, dass wir kaum noch spielen konnten.
Keith: Es war beides zugleich, sehr verrückt und sehr lustig, wir werden uns ewig daran erinnern.
Viel Spaß bei eurer kommenden Tour, ich hoffe, dass ihr dort auch viele erinnerungswürdige Momente habt!
We Are Scientists Live:
18.05.2018 Hamburg, Knust
19.05.2018 Berlin, Lido
25.05.2018 München, Strom
29.05.2018 Wiesbaden, Kesselhaus
30.05.2018 Köln, Gebäude 9
Interview: Kate Rock
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