Warum wir dieses Jahr sehr viel von Liv Strömquist gelernt haben

Die Liebe zwischen Mann und Frau – das Thema ist so alt wie die Menschheit selbst. Und dabei, auch noch nach hunderten von Jahren menschlicher Zivilisation, so unergründlich wie eh und je. Entsprechend wird die Liebe auch immer eines der Hauptthemen jeglichen künstlerischen Diskurses sein, sei es in der Hoch-, der Populärkultur oder in den Dingen, die unter dem Ladentisch oder in dunklen Ecken stattfinden. All you need is love.

Bei der Liebe geht es aber um so viel mehr als um das berühmte Kribbeln im Bauch. Unser Leben dreht sich um Beziehungen, um Partnerschaft, um das Leben in einer solchen oder den Umgang mit ihrer Abwesenheit. In Beziehungen geht es auch immer um Strukturen, um Verhaltensmuster und Rollen, die wir darin einnehmen. Und damit automatisch auch um romantische Vorstellungen, denen wir nachstreben, weil sie uns als Idealbilder verkauft werden: im Film, in der Literatur, in der Werbung, aber auch im Freundeskreis, im uns umgebenden Celebrity-Universum und nicht zuletzt auch in der Geschichte.

Genau da setzt die schwedische Comickünstlerin und Politologin Liv Strömquist mit ihren feministischen Sach-Graphic-Novels an. Informativ, erhellend, unterhaltend und dabei so gnadenlos wie ein bissiger Terrier hält sie unserer Gesellschaft den Spiegel vor, wenn es um romantische Liebesfallen und historisch verkrustete Beziehungsstrukturen geht. Mit dem Zeichenstift gegen das Patriarchat, sozusagen. In ihrem aktuellen Werk „Der Ursprung der Liebe“ seziert sie das Konzept der romantischen Liebe. Wenn man Strömquists graphische Exkurse über „Sex and The City“, „Seinfeld“, „Two and a Half Men“ oder über die Beziehungen zwischen Prince Charles und Lady Diana oder Ronald und Nancy Reagan gelesen hat, bekommt die rosarote Brille einen gehörigen Knacks. Dazu, soviel sei vorweg gesagt, muss man schon bereit sein. Und tatsächlich begegnet einem, wenn man das Thema anschneidet, viel Ablehnung, vor allem im weiblichen Freundeskreis. Der Wunsch nach romantischer Verklärung, nach dem ewig gleichen Abarbeiten der männlich-weiblichen Beziehungsklischees, scheint tief zu sitzen.

Dabei geht Liv Strömquist hier nicht bösartig destruktiv vor, sondern mit scharfem Verstand und psychologischem Hintergrundwissen. So erklärt sie gleich zu Anfang sehr einleuchtend, warum Männer und Frauen oft automatisch die ihnen von der Gesellschaft zugespielten Positionen einnehmen (Mütter, lest hier genau!) und warum sich beide, bis zu einem gewissen Grad, in diesen auch wohl fühlen. Strömquist fragt einfach immer ein kleines bisschen weiter, und so fragt man sich unweigerlich mit ihr, ob es denn wirklich so romantisch ist, wenn Carrie ihre ganze emotionale Energie darauf verwendet, ihren Mr Big vor den Traualtar zu zerren – einen Mann, der ihr über viele Serienstaffeln hinweg hauptsächlich das Gefühl gibt, nicht so zu können wie er (oder sie) gerne wollte.

Liv Strömquist ist definitiv keine Männerhasserin. Sie versucht zu analysieren, warum wir alle so ticken wie wir ticken und hält uns Frauen dabei gleichermaßen den Spiegel vor. Dazu zieht sie eine Reihe interessanter feministischer Studien heran und versieht diese mit ihren pointierten, absurd witzigen Illustrationen. Was sie definitiv hasst, sind die verkrusteten Strukturen des Patriarchats. Sie zeigt uns, wie weit diese zurück reichen und wie sie unsere Gesellschaft und unsere Denkweise auch heute beeinflussen. Was hier an historischen Fakten aufs Tablett kommt ist zum Teil aberwitzig und manchmal sogar schwer zu ertragen.

Ihr 2017 erschienenes erstes Werk „Der Ursprung der Welt“ geht was das betrifft noch einen Schritt weiter. Hier illustriert Liv Strömquist historische Monstrositäten über den Umgang der Gesellschaft mit der Frau und ihrer Sexualität. Sei es aus medizinischer, wissenschaftlicher oder schlichtweg rassistischer Sicht, das Kapitel „Männer, die sich zu sehr dafür interessieren was als ‚das weibliche Geschlechtsorgan‘ bezeichnet wird“ zum Beispiel geht zurück in die Antike zu Augustinus und erstreckt sich bis in unser Jahrhundert. Schon gewusst, dass man im Mittelalter glaubte, eine Hexe anhand von teuflischen Auswüchsen an der Vagina zu erkennen? Dass die konservierte Vulva einer afrikanischen Sklavin aus dem 19. Jahrhundert noch bis 1985 in Frankreich im Museum ausgestellt wurde? Strömquist gräbt hier so einiges an grauenvollen Abstrusitäten aus und man kann sie nur dafür bewundern, wie sie es schafft, diese auch noch mit dem für sie so typischen, bissigen Humor zu versehen, auch wenn einem das Lachen mehr als einmal im Hals stecken bleibt. Und dass erst dieser Tage auf Spiegel Online ein Artikel über den Trend zu vaginalen Schönheitsoperationen erschienen ist zeigt, wie verrückt und verblendet unser Umgang mit dem Thema zum Teil heute noch ist.

Liv Strömquist will uns die Liebe nicht verderben, im Gegenteil. Sie will uns mit ihren scharfsinnigen Analysen zeigen, dass es auch außerhalb romantisch verklärter Idealbilder ein funktionierendes Miteinander zwischen Mann und Frau geben kann. Sie zeigt uns den geschichtlichen Ursprung von heutzutage immer noch selbstverständlichen Dingen wie sexuellem Besitzanspruch und regt uns dazu an, unser Beziehungsdenken auch außerhalb der gängigen Muster anzusetzen. Sie appeliert für einen selbstverständlichen, selbstbewussteren Umgang mit der weiblichen Sexualität und zeigt damit, worum es im Feminismus heutzutage eigentlich gehen sollte. Dass wir uns viel zu oft verzetteln in Banalitäten wie der Frage, ob es als Mann heutzutage noch angebracht ist, einer Frau die Tür aufzuhalten. Es gibt in der Gesellschaft, auch in unserer westlichen, viele entscheidende Dinge, die im Umgang mit Frauen fehlgeleitet sind. Und das nicht nur immer noch, sondern wieder mehr denn je, wenn man die aktuellen politischen Strömungen bedenkt, die versuchen, die Heilung unserer Gesellschaft mithilfe eines traditionelleren Familienbildes zu propagieren.

Zum Glück gibt der Erfolg Liv Strömquist recht. „Der Ursprung der Welt“ und „Der Ursprung der Liebe“ sind inzwischen zu Bestsellern avanciert, ihre Lesetour durch Deutschland diesen Sommer sorgte für aus den Nähten platzende Säle. Wer sich trotzdem scheut, dem sei versichert: man kann wirklich eine Menge von Liv Strömquist lernen, sowohl als Frau als auch als Mann. Und: man wird dabei tatsächlich auch noch gut unterhalten. Deshalb ab unter den Weihnachtsbaum mit den Publikationen dieser wirklich beeindruckenden Frau.

Info: „Der Ursprung der Welt“ und „Der Ursprung der Liebe“ von Liv Strömquist sind im Avant Verlag erschienen, pünktlich zum Fest auch als Hardcover Doppelband. Den kann man hier käuflich erwerben. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.avant-verlag.de