Ein Gespräch mit Tina Dico, das hat schon richtig Tradition. Vor sieben Jahren habe ich sie zum ersten Mal getroffen, zusammen mit ihrem (inzwischen) Ehemann Helgi Jonsson, seitdem sehen wir uns alle zwei bis drei Jahre wieder, mal gemeinsam mit Helgi, mal allein unter Frauen, zweimal mit Baby (zwei unterschiedlichen), aber vor allem immer wieder mit vielen Neuigkeiten. Tina Dicos kreativer Schaffensdrang ist groß, vom Songs schreiben, Platten veröffentlichen und auf Tour gehen halten sie auch ihre (inzwischen drei) Kinder nicht ab. Gleichzeitig ist für die erfolgreichste dänische Singer-Songwriterin ihrer Zeit das Leben, das sie lebt, nie vorhersehbar. Diesmal hat es etwas länger gedauert als geplant, bis ihr neues Album „Fastland“ fertig war. Jetzt steht es in den Läden, und wenn man sich anhört, was Tina Dico in den letzten Jahren erlebt hat, dann möchte man nicht „endlich!“ ausrufen, sondern ungläubig fragen: „Wirklich? Schon?“
Wenn ich mich daran erinnere als wir zuletzt miteinander gesprochen haben, da klang es so als wolltest du mit deinem Album schon früher fertig sein. Und Helgi mit seinem auch. Was ist passiert?
Das ist tatsächlich eine gute Frage. Was ist eigentlich passiert? Ich habe ein Buch geschrieben. Ich nenne es eine Autobiografie, aber insgesamt ist es ein Buch über Musik, über meine Reise, meine Karriere, darüber zu schreiben, aufzutreten, diesen verrückten Job zu machen und gleichzeitig Mutter zu sein, mit Kindern zu reisen. Es springt hin und her, zwischen meiner Geschichte mit der Musik und meiner aktuellen Situation. Ich erzähle wie ich in Deutschland auf Tour bin, ich beschreibe das Leben „on the road“. Das Buch beginnt damit, wie ich erfahre, dass wir ein drittes Kind haben werden. Was zu dem Zeitpunkt, als ich es erfahren habe, extrem unpraktisch war. Auf der Tour, während der wir uns zuletzt getroffen haben, fing Helgi an schreckliche Gesundheitsprobleme zu haben. Er musste ein paarmal die Bühne verlassen. Schließlich haben wir herausgefunden, dass er eine Herzoperation brauchte. Das zu verarbeiten und damit umzugehen hat seine Zeit gebraucht. Letztendlich war es ein Segen, es geht ihm heute besser den je. Diese dramatische Zeit beschreibe ich in dem Buch. Das Buch hat seine Zeit gebraucht, Helgis Herz hat seine Zeit gebraucht. Dann haben wir angefangen an diesem Album zu arbeiten. Und hier sind wir. Ich kann kaum glauben, dass inzwischen vier Jahre vergangen sind. Es kommt mir vor als wäre es gestern gewesen, dass mein letztes Album rausgekommen ist. Das war im Herbst 2014. Verrückt. Ich war noch ein Kind damals! (lacht)
Ich finde aber auch, wenn ich das alles höre, dass du ein Kind bekommen hast, ein Buch geschrieben hast, dazu Helgis Gesundheitsprobleme – da hört es sich schon wieder gar nicht so lang an. Du kannst stolz sein, dass du das Album fertig bekommen hast.
Wir haben es tatsächlich hingekriegt. Und Helgis Album haben wir auch fertig. Es war schon fertig und sollte raus kommen, aber dann ist all das passiert. Jetzt wissen wir, dass es im Februar raus kommen wird. Im Moment arbeitet er in Stockholm wieder mit Falk Richter. Wir haben einfach immer sehr viele Dinge am Laufen. Ein Landhaus inmitten der Wildnis in Island haben wir auch noch gebaut. In genau der gleichen Zeit. Das war auch ein verrücktes Abenteuer.
Es wundert mich dann eigentlich auch nicht, dass du, wie ich gelesen habe, dieses Mal ganz andere Erfahrungen gemacht hast, was das Songwriting angeht.
Das war aber hauptsächlich weil ich mich so gut gefühlt habe, als das Buch fertig war. Weil ich endlich meine Geschichte erzählt hatte. Es ist verrückt, wenn man als Person bekannt ist, machen die Leute sich ein Bild von einem. Sie sehen einen auf der Bühne, aus meiner Perspektive heraus ist das alles aber völlig anders. Ich bin einfach der Mensch der ich bin. Es ist fast, als gäbe es zwei Menschen, den, den sie sehen und den, der ich bin. Als ich das Buch geschrieben hatte, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass die Künstlerin die ich bin, endlich auf festen Füßen steht. Endlich können die Leute, wenn sie wollen, meine Geschichte erfahren. Und ich fühle mich so, dass ich auf die Bühne gehen kann als eine vollständige Person. Alles was ich bin, der Mensch, die Mutter, die Künstlerin, das ist alles da. Mehr muss ich nicht sagen. Es war ein längerer Prozess herauszufinden, dass ich doch noch mehr zu sagen hatte. Ich möchte weiter Abenteuer erleben. Und es war tatsächlich ein Abenteuer, denn als ich mich mit der Gitarre hin gesetzt habe, wie ich es normalerweise tue, ist nichts passiert. Ich konnte nicht tun, was ich immer getan habe. Ich hatte ein paar Ideen für Texte, aber als ich sie mit der Gitarre entwickeln wollte, hat mich das nirgendwo hin geführt. Also musste ich andere Sachen ausprobieren. Schlagzeug spielen, im Studio herumlaufen, Instrumente in die Hand nehmen, versuchen andere Landschaften zu kreieren. Um mich selber zu überraschen.
War das am Anfang nicht wahnsinnig erschreckend?
Wahnsinnig erschreckend. Ich habe vorher schon Schreibblockaden erlebt. Nicht allzu schlimm, aber das Gefühl kenne ich. Aber das war mehr wie… wow, ich weiß einfach nicht was ich tun soll. Aber es hat eine neue Tür geöffnet, was sehr aufregend für mich ist. Weil ich mich fühle als müsste ich jetzt nicht mehr so sehr versuchen den Leuten zu zeigen wer ich bin. Das habe ich abgehakt, das wissen sie jetzt. Jetzt kann ich anfangen herumzuspielen, neue Orte zu entdecken, sein wer immer ich sein will. Es hat ganz neue Hirnkapazitäten bei mir erschlossen. Als das Buch in Dänemark herausgekommen ist, habe ich dort eine große Tour gespielt, in den größten dänischen Konzerthallen. Das Gefühl, auf die Bühne zu gehen und mit der Menge zu reden war neu für mich. Ich konnte fühlen, dass mit mir etwas passiert ist. Eine gute Entwicklung.
Ist es nicht wunderbar, dass du das erleben konntest? Dass du noch einmal eine ganz neue Seite von dir entdeckt hast? Ich finde, ab einem gewissen Alter sind die Leute in dem Bild das sie von sich haben sehr festgefahren. Sie glauben sie wissen wer sie sind und halten oft stur daran fest.
Ja. Ich weiß. Der erste Song auf diesem Album, „Not Even Close“, handelt genau von dieser Linie, an der ich mich so lange festgehalten habe. Ich möchte genau so nicht sein. Wie die Leute die denken, sie wissen ganz genau wie alles funktioniert. Ihr seid euch so sicher dass ihr genau wisst wie es läuft, tatsächlich seid ihr aber „not even close“. Ihr wisst es einfach nicht! Es ist so wichtig, dass wir die Augen dafür offen halten, dass es immer Nuancen gibt. Alles ändert sich, wir ändern uns immer. Wir haben zumindest immer die Möglichkeit, uns zu ändern. Aber ja. Ich möchte niemand sein, der in seinem Alter fest steckt und denkt er weiß wie die Welt funktioniert. Ich war eher immer jemand, der viele Zweifel hat. Ich bin mir nie einer Sache sicher. Nicht meiner selbst, nicht der Welt. Ich kann Twitter nicht benutzen, weil ich nicht in der Lage bin, kurze Meinungen zu formulieren, egal zu was. Es erstaunt mich immer wieder, dass es so viele Leute gibt, die so viele Meinungen haben! Über alles. So kurz, knapp, präzise und schnell. Ist das wirklich so einfach? Gleichzeitig ist es ein Balanceakt. Man braucht natürlich auch ein solides Fundament. Wir können uns auch nicht ständig ändern und durch die Gegend fließen. Diese Balance, seine Werte und seine Prioritäten gut genug zu kennen, zu wissen wo man steht und gleichzeitig sich mit den Dingen entwickeln, die ist wichtig.
Ich glaube es funktioniert, wenn du deinen eigenen Kern kennst. Wenn du weißt, was dich als Persönlichkeit definiert. Dann kannst du mit dem was um dich herum passiert spielen und dich neu entwickeln.
Ist es nicht kompliziert, ein Mensch zu sein?
Was war der erste Song, der aus dieser neuen Entwicklung heraus entstanden ist?
Das war „Fancy“, dann kam „Not Even Close“. „Fancy“ ist schon eine Weile herumgeschwirrt. Tatsächlich glaube ich, dass als wir mit dem Album angefangen haben, uns gar nicht bewusst war, dass ein Song wie „Fancy“ am Ende darauf sein wird. Aber dann ist nichts passiert und ich dachte oh mein Gott, was sollen wir tun? Ich habe da noch diesen Song, „Fancy“, lass uns den nochmal angucken. Und es hat funktioniert. Das hat Türen geöffnet, Orte an denen ich noch nie war. Ich glaube, mein altes Ich hat damals, als wir davon ein Demo gemacht haben gedacht: nein, das ist zu tanzbar. Das bin ich nicht. Aber nach all dem was ich durchgemacht hatte dachte ich: nein, es ist überhaupt nicht zu tanzbar. Genau da möchte ich hin.
Wenn man das Album hört ist es aber interessant, dass man natürlich viel Neues hört, aber auch ganz viel, das dich so ausmacht wie man dich als Musikerin kennt. Womit wir wieder genau da wären: Der Kern und die Entwicklung.
Ja, es hat sich absolut nach der richtigen Richtung angefühlt. Jetzt ist alles wieder ganz weit und offen.
„Fastland“, das neue Album von Tina Dico, erscheint am 28.09.2018. Im Oktober ist Tina wieder ausgiebig in Deutschland auf Tour.
Interview: Gabi Rudolph
Fotos: Samantha West
15.10.2018 Köln, Philharmonie
16.10.2018 München, Circus Krone
17.10.2018 Stuttgart, Theaterhaus
19.10.2018 Leipzig, Gewandhaus
20.10.2018 Offenbach, Captiol
21.10.2018 Saarlouis, Theater am Ring
14.11.2018 Hannover, Theater am Aegi
15.11.2018 Bremen, Glocke
16.11.2018 Erfurt, Alte Oper
17.11.2018 Dortmund, Konzerthaus
18.11.2018 Berlin, Admiralspalast