Tina Dico und Helgi Jónsson sind in der Stadt. Das Zimmer im Berliner Michelberger Hotel besteht zu neunzig Prozent aus Bett, der Rest ist voll gepackt mit Instrumenten (zwei Gitarren, eine Posaune und ein Keyboard) und Taschen. „Zieht eure Schuhe aus und kommt aufs Bett,“ lädt Helgi uns deshalb ein. Bevor wir ins Gespräch abtauchen, das man schwerlich als Interview bezeichnen kann, wird die Tourmüdigkeit mit ordentlich Kaffee bekämpft und Helgis Song „Aurora“ zum Besten gegeben.
Ich wusste bis gestern gar nicht, dass ihr zwei heute zusammen auftreten werdet.
Helgi Jonsson: Tina ist so etwas wie der Überraschungsgast heute Abend.
Tina Dico: Glaube ich, ja.
Helgi: Ich meine, sie spielt ja in meiner Band.
Tina: Tue ich das?
Helgi: Oh. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Über die letzten Wochen hinweg?
Tina: Ja schon, aber so richtig, für immer?
Helgi: Ja, du bist jetzt ein Mitglied der Band. Na ja, lass uns mal sehen wie du dich heute Abend schlägst, dann gucken wir weiter.
Tina: Ich denke, es wurde einfach ein wenig geheim gehalten, weil wir das in Dänemark auch so gemacht haben, bei den Shows, die wir dort gerade gespielt haben. Helgi spielt so viel mit mir zusammen, da ist es wichtig, dass es nicht immer um mich geht und er sich selbst etablieren kann, außerhalb dessen, was wir zusammen machen.
Helgi: Tina ist in Dänemark ganz groß.
Tina: Also haben wir es in Dänemark geheim gehalten, damit nicht immer nur meine Fans zu den Shows kommen.
Helgi: Heute Abend wird Tina meine Vorband sein.
Tina: Ja, und ich bin sehr stolz darauf!
Helgi: Ich finde es unglaublich. Es war alles so einfach. Ich meine, vielleicht war es für dich nicht so einfach…
Tina: Nein, es war gar nicht so einfach, deine ganzen Songs zu lernen.
Helgi: Nein, aber es passiert alles sehr natürlich.
Tina: Bei meinen Shows war es immer so, dass Helgi zuerst auf die Bühne kam und ein paar Songs gespielt hat, während ich mit den Jungs hinter der Bühne stand, lachend und Witze reißend, während du draußen diese ernsten Songs spielst. Jetzt weiß ich, wie es ist, in einer Band zu spielen. Auch während der Show. Nicht diejenige zu sein, die alles tragen muss. Dir das zu überlassen. Das ist ziemlich unglaublich.
Helgi: Sie kann ja auch singen.
Tina: (lächelt) Ich versuche es. >>
Helgi, du hast gerade dein Minialbum „Blindfolded“ herausgebracht. Ursprünglich sollte es eine EP mit drei Stücken werden. Jetzt sind doch sieben daraus geworden.
Helgi: Im Sommer war ich so wahnsinnig gestresst, weil ich monatelang nur auf Tour gewesen bin. Da habe ich gemerkt, dass es nicht passieren würde. Ich musste mich entscheiden, mein Album noch nicht zu machen. Also habe ich gedacht, dass ich eine kleine Tour-EP mache, die ich den Leuten auf die Tour im Herbst mitbringen kann. Wir haben allein im Herbst um die 60 Shows gespielt. Nachdem ich mich dafür entschieden hatte und den Druck von mir genommen hatte, ein Album aufzunehmen, sind die Songs einfach zu mir gekommen. Ich hatte nie vor, sie wirklich zu veröffentlichen. Aber die Leute waren sehr glücklich damit und haben mich ermutigt, es zu tun. Also haben wir uns entschlossen, die EP als kleines Lebenszeichen zwischendrin herauszubringen, bevor im Herbst das nächste Album herauskommt.
Tina: Ich finde, diese EP ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie vielseitig das ist, was du machst. Sogar diese sieben Stücke zeigen sehr viele unterschiedliche Richtungen, sowohl deine rockige, radiofreundliche Seite als auch die eher seltsamen Sachen.
Du experimentierst diesmal mehr, das ist auffällig.
Helgi: Ja, tue ich. Ich mag diese Sachen. Vielleicht nehme ich das als Element in meine neue Musik mit hinein, ich weiß es noch nicht. Jetzt haben wir erst mal mit einer fünf wöchigen Tour angefangen, was toll ist, wir sind lange in Amerika unterwegs. Aber jetzt will ich eigentlich zurück ins Studio.
Tina: Wir werden sicher unterwegs aufnehmen.
Helgi: Wir werden unterwegs aufnehmen, ja.
Während der Tour? Habt ihr denn Energie dafür?
Tina: Normalerweise nicht. Aber ich glaube du wirst so inspiriert sein, dass du einfach nichts dagegen tun kannst.
Helgi: Es geht ja auch nur darum, Skizzen zu schaffen, nicht unbedingt etwas, das man am Ende verwenden wird. Wenn man etwas in einem Hotelzimmer aufnimmt wird der Sound wahrscheinlich nicht so, dass man es benutzen kann.
Tina: Ich habe viele Demos in Hotelzimmern aufgenommen. Im Bad.
Helgi: Richtig. Um mehr Sound zu bekommen.
Tina: Den Computer, den Verstärker, die Mikrofone einfach im Badezimmer aufbauen.
Helgi: Ich habe ein paar Videos von dir in Hotelbadezimmern gemacht.
Tina: Auch das stimmt. (nach einer kurzen Pause) MUSIKvideos. (Gelächter)
Helgi, als ich dich 2009 das erste Mal getroffen habe warst du ja sehr überzeugt davon, dass du das Album im folgenden Jahr herausbringen würdest.
Helgi: Das war mein Plan. Ich habe es absolut gesehen, aber es ist einfach nicht passiert. Ich habe im letzten Jahr über 100 Shows gespielt. Wahrscheinlich sogar eher um die 150. Da war einfach keine Energie übrig, es zu tun.
Tina: Dieser Druck, mit einer Deadline im Hintergrund kreativ zu sein, kann einen ganz schön erdrücken.
Helgi: Ich habe ein kleines, eigenes Studio, in dem ich jetzt sehr viel gearbeitet habe, wo ich die „Blindfolded“ Platte aufgenommen habe. Dieser Arbeitsprozess hat irgendwie für mich und meine Musik, zumindest zu diesem Zeitpunkt, sein Limit erreicht. Ich musste also irgendwo anders hin und mit Leuten zusammen arbeiten, viele Leute um mich herum haben, Spaß haben, Musik machen.
Tina: Es war dieser Sommer, du warst die ganze Zeit in deinem Studio, ohne Fenster. Du bist richtig ein bisschen verrückt geworden.
Helgi: Total. Ich war nicht glücklich. Ein paar Sachen haben mich zu der Zeit ganz schön fertig gemacht.
Die Stücke auf „Blindfolded“ sind auch sehr emotional.
Helgi: Ja. (überlegt lange) Es war auch eine große Arbeit für mich in Bezug auf die Texte. Das war bisher vielleicht nicht meine stärkste Seite, beziehungsweise, es fällt mir nicht leicht, Texte zu schreiben. Ich brauche Tage um Tage, um in Fluss zu kommen, aber wenn ich einmal dort bin, habe ich das Gefühl, dass ich etwas erreichen kann.
Der erste Song, „Make Me Fall“, ist bereits auf deinem ersten Album erschienen. Wie kam die Entscheidung, ihn noch einmal zu veröffentlichen?
Helgi: Mein erstes Album ist in Deutschland und Österreich herausgekommen, aber es ist nicht viel damit passiert. Die Wahrheit ist, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit war, um zu touren. Ich war noch nicht in der Lage, wirklich gute Live-Shows zu spielen und hatte noch nicht die Infrastruktur, eine richtige Tour zu buchen. Also wissen die Leute nicht sehr viel über diese Musik. Leute, die Radio machen und diesen Song kennen haben mir gesagt: „Es ist ein guter Song, warum tun wir nicht etwas für ihn? Warum machst du nicht eine neue Version davon? Dann kann man versuchen, ihn ins Radio zu bringen.“ In Dänemark spielt ihn jetzt eine der größten Radiostationen.
Tina: Die größte Radiostation.
Helgi: Er unterscheidet sich natürlich sehr vom Rest der Platte. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob er den anderen Liedern gerecht wird oder ob er ihnen im Weg steht, aber dann habe ich gedacht, nein, es ist doch nur ein Song! Wenn die Leute ihn nicht mögen, können sie ihn ja überspringen. Aber er scheint ihnen zu gefallen.
Ihr habt ja sicher schon eine Menge unglaublicher Dinge zusammen erlebt. Könntet ihr euch einigen auf einen ganz besonderen Moment, vielleicht den besten, aufregendsten überhaupt?
Tina: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben uns Mitte 2008 getroffen und seitdem bestimmt 300 Shows zusammen gespielt. Total verrückt. Das Unglaublichste für mich ist, dass wir immer besser werden. Und die Möglichkeit zu haben, jemanden zu treffen, auf einer musikalischen Ebene, auf diese Weise… manchmal weiß ich nicht, bin ich es die singt oder du. Das macht für mich jede Show, die ich spiele zu einer noch größeren Erfahrung.
Helgi: Wir habe gerade eine riesige Tour in Dänemark gemacht, große Hallen mit vier bis fünftausend Leuten, 20 Shows, alle ausverkauft. Wunderschönes Publikum.
Tina: Aber die größten Shows waren für mich die kleinen. Wenn alles zusammen passt und es nur wir zwei sind. Wenn es ganz intim ist und wir uns richtig hören können, das ist sehr magisch für mich.
Helgi: Es ist wirklich schwer, etwas herauszupicken, weil alles zu einem großen, mysteriösen Ganzen zusammen kommt. Ich weiß es nicht… natürlich auch Momente, wenn wir nicht auf der Bühne sind, da passieren uns auch verrückte Sachen. Aber…
Tina: Ich weiß es nicht. Das ist eine ganz schön schwere Frage.
Helgi: Vor zwei Wochen hatten wir ein wahnsinnig gutes Yatzi Spiel, ich habe 343 Punkte gemacht. Sehr aufregend… (Gelächter)
Tina: Wenn Helgi Yatzi spielt, das ist unglaublich. Er ist so gut darin. Ich denke dann manchmal, vielleicht muss ich doch ein spiritueller Mensch werden.
Helgi: Ich bin schon einer. Ich rufe dann immer nur: „Seht euch all diese sechsen an!“ (Gelächter) Hm. Ich glaube aber, wir haben deine Frage nicht beantwortet.
Aber sie nicht beantworten zu können ist vielleicht auch eine Antwort.
Helgi: Das ist wahr…
Interview: Gabi Rudolph