Stereo Total tragen seit 1993 den französischen Flair an die Berliner Spree. Als unzerstörbare Einheit treten sie seitdem mit ihrem schrulligen Elektro-Pop gegen den Rest der Welt an. Doch nach all den Veröffentlichungen, die schon lange nicht mehr an einer Hand abzählbar sind, stellen sie sich nun, zumindest was den Titel betrifft, gegeneinander auf. „Cactus versus Brezel“ wird Anfang Juni veröffentlicht und hat so einige Kampfansagen zu bieten. Da gibt es zum Beispiel „Die Frau in der Musik“ oder auch „Das Monstrum“. Im Interview mit den Beiden sollte sich dann aber herausstellen, dass Françoise Cactus und Brezel Göring auch sonst absolut auf einer Wellenlänge schwimmen und mit dem Titel ihres Albums wohl eher ein musikalisches Kräftemessen gemeint ist. Also keine bevorstehende Bandauflösung, noch mal Glück gehabt! Des Weiteren konnte man beim Gespräch, einen Tag nach dem 1. Mai in ihrer Wohnung, u.a. die Neugier in Bezug auf den Antrieb für ihre provokativen Texte, Aufnahmetechniken und letztlich auch die Eltern stillen.
Wie habt ihr den 1. Mai verlebt?
Françoise Cactus: Es ist eine Tradition, dass ein Freund von uns am 1. Mai eine Party bei sich veranstaltet. Er wohnt ganz oben in der Oranienstraße, von wo aus man das ganze Geschehen gut überblicken kann. Es war ein höllischer Krach in der Straße, ein unglaublicher Mischmasch an Musik. Aber wir sind nicht zur Demo gegangen oder so.
Brezel Göring: Ich habe mir erst ein Konzert angeguckt. Aber da waren mir nach einer Weile zu viele Leute, weshalb ich mit einem Freund runter an die Spree gegangen bin. Da hat es dann aber angefangen zu regnen, also sind wir wieder woanders hin. Ganz zum Schluss waren wir dann doch noch in der Oranienstraße. Eigentlich hielt man es da nur 5 Minuten aus, es war einfach zu viel Gedränge. Das ist eben so ein fieses Volksfest mit total viel schlechter Musik. Im Grunde genommen unerträglich.
Françoise Cactus: Ich kann diese Menschenmeuten auch nicht leiden. Ich habe wirklich eine halbe Stunde gebraucht bis ich bei meinem Freund war, obwohl er eigentlich nur ein paar Meter entfernt wohnt.
Wofür setzt ihr euch ein?
Françoise Cactus: Mit dieser Platte, wie auch sonst, ist es so ein feministischer Einsatz. Wir haben aber auch zum Beispiel so eine Art Benefizkonzert für das Rauch-Haus organisiert. Das wurde an Weihnachten angezündet und danach war es fast zerstört. Da wollten wir den Leuten helfen, es zu reparieren.
Brezel Göring: Es ist das erste besetzte Haus Berlins, was auch nach Georg von Rauch benannt wurde. Das ist schon so ein Politikum, weil es gerade erst 40-jähriges Bestehen hatte und kurz darauf angezündet wurde. Nur war nicht klar wer das gemacht hat, denn es gab auch nie ein Bekennerschreiben. Ich finde es gut, dass sich die Leute dazu entschlossen haben es selbst wieder aufzubauen und nicht auf irgendwelche Versicherungen hoffen. Deshalb hat Françoise ein Benefiz organisiert, wo viele Bands gespielt haben und so Geld gesammelt wurde.
Françoise Cactus: Es bietet sich immer etwas an. Leute fragen oft, ob wir ein Benefiz für sie machen könnten und wenn wir das gut finden, dann sind wir natürlich dabei. Das ist doch das, was man als Musiker machen kann. So direkt politische Texte schreiben ist da nicht so mein Stil. Aber zwischen den Zeilen hoffe ich schon, dass man hört in welche Richtung wir denken. Aber eigentlich ist alles klar, denn unsere Fans sind alle in Ordnung. Ich meine, es kommen keine Nazi-Schweine oder so auf unsere Konzerte.
Die Texte auf eurem neuen Album zeugen von einer messerscharfen Beobachtungsgabe. Woher kommt der Antrieb dafür, wo ihr doch sogar für die Aufnahmen nach Los Angeles gefahren seid und dort fern von dem nahen Stress ward?
Françoise Cactus: Die Inspiration für die Lieder kommt von überall her. Ich plappere mit Leuten, ich gucke hier und da. Ich habe überhaupt keine feste Idee davon worüber ich schreiben sollte. Mir kommt einfach der Gedanke, dass ich zum Beispiel mal über die Frau in der Musik schreiben sollte, weil es so nicht weitergehen kann. Ich wollte einen Text dazu machen, weil scheinbar alle denken, dass jetzt wieder alles paletti ist mit der Darstellung der Frau. Aber es ist gar nichts in Ordnung. Das wird dann aber nicht so eine ich intellektuelle Analyse, sondern ich sage das, was ich zu sagen habe. Wir waren elf Tage in Los Angeles und die meiste Zeit im Studio. 8 Stunden haben wir am Tag aufgenommen und gemischt. Abends sind wir ein bisschen ausgegangen, aber die Situation ist dort dieselbe wie hier. Es gibt einfach mehr Typen, die Musik machen als Frauen und sie haben auch mehr das Sagen. Zwar gab es eine Zeit, in der es in Amerika viel besser war mit der Riot-Grrrl-Bewegung und so was. Aber jetzt ist es schon wieder wie früher. In einer Band gibt es vielleicht eine Gitarristin oder Bassistin, aber meistens sind es Typen. Deswegen wollte ich das Lied schreiben. Und ich hatte es bereits in Berlin geschrieben.
Wie sah der Dialog mit Gus Seyffert aus?
Françoise Cactus: Es lief sehr gut. Er ist sowieso ein Freund von uns und ein ganz toller Musiker und Produzent. Wir waren sehr froh darüber, in seinem Studio sein zu können. Das Besondere an seinem Studio ist, dass es ein ganz altmodisches Ding ist, wo man analog mit großen Bandmaschinen und altmodischen Mikrofonen aufnimmt. Dabei kann man nichts reparieren, es klingt genau so wie man es spielt. Wenn man dagegen mit einem Computer aufnimmt, kann man immer alles korrigieren. Trotzdem fühlten wir uns freier. Immer diese Suche nach Perfektion, die ist einfach lästig! Bei kleinen Fehlern dachten wir uns eher, dass es nicht weiter stört und haben es so gelassen. Das ist viel lustiger so aufzunehmen.
Brezel Göring: Analog klingt immer sofort richtig. Selbst als wir die Stücke ungemischt gehört haben, hatte ich das Gefühl, dass der Song schon fertig klingt. Man fängt auch ganz anders an, als wenn man einen Computer mit diesem klaren, nichtssagenden Klang, den man noch formen muss, vor sich hat. Man kann am Computer zwar alles machen, muss aber dann auch immer wieder Entscheidungen treffen. Analog ist alles vorgegeben. Es ist einfach so wie es kommt.
Françoise Cactus: Ich kann mich noch daran erinnern wie es war, kurz nachdem die Dinger erfunden wurden und ich im Studio war. Da fragte mich der Techniker des Studios, welchen Sound ich auf meiner Snare haben wolle, ob Garage, Tunnel, auf dem Dach oder so. Aber ich wollte nichts davon! E sollte so klingen wie es nun mal klingt. Genau so. Fertig. Keine Effekte drauf, bitte nicht! Es gibt so viel Auswahl bei den Programmen, dass man sich verzettelt und es klingt auch nicht wirklich gut. Analog klingt viel wärmer.
Brezel Göring: In den vergangenen Jahren habe ich sehr viele Bands aufgenommen und da ist mir aufgefallen, dass sie oft nicht wussten, wie man aufnehmen kann. Sie haben ihre Stücke so wie im Proberaum gespielt und genauso habe ich sie dann auch aufgenommen. Selbst wenn sie sich verspielen, klingt es so wie es klingen sollte. Das ist für mich ein sehr realer Zugang zur Musik. Alles andere ist künstlich und führt zu weit weg. Eigentlich mag ich alles, was künstlich und falsch ist. Aber es ist auf so eine arbeitsintensive, teure Art und Weise künstlich, die auch noch versucht Röhrengeräte, Tonbandmaschinen und so was zu simulieren. Das könnte man doch sowieso haben. Nur ist die Prämisse, dass man sich alle Möglichkeiten aufhalten muss.
Françoise Cactus: Man will einfach alles kontrollieren können. Manche Sänger lassen ja sogar mit einem Computerprogramm ihre Stimme gerade rücken, wenn sie wie eine Ente gesungen haben. Manchmal fragt man sich auch wieso man überhaupt ins Studio geht. Sollen die doch alles mit der Maschine machen und fertig! Dann bleibe ich zu Hause und gucke TV. Also nee… Analog ist viel lebendiger. Da kann man ganz anders Erinnerungen hervorrufen. Da gab es eine schöne Geschichte bei den Aufnahmen mit Gus…
Brezel Göring: Ja, die Ex-Freundin von Gus hat sich so einen Riesenhund gekauft.
Françoise Cactus: Einen Labradoodle!
Brezel Göring: Der Hund wurde nach antiautoritären Gesichtspunkten erzogen. Er ist riesengroß, total gut gelaunt und man kann ihn einfach nicht bändigen. Und den hat sie dann einmal während der Aufnahmen mitgebracht. Das ist ein schlaues Tier, der hat zuerst auf den Schal der neuen Freundin raufgepinkelt, der irgendwo in der Ecke lag und ist auch sonst die ganze Zeit im Studio unterwegs gewesen. Als ich gerade „Chopin Ou Quoi?“ auf dem Piano gespielt habe, ist er dann auch noch so zwischen meine Beine durch. Der Song ist auf kleinen Tasten eh schon irre schwer zu spielen und da rannte der Hund auch noch inmitten der Aufnahmen umher. Aber wir haben den Song trotzdem nur einmal aufgenommen, weil es sich gut anhörte. Jedes Mal, wenn ich nun die Schwankungen höre, muss ich an den Hund denken. Und auch beim ersten Song „Jaloux De Mon Succés“ hat Françoise etwas Kompliziertes versucht. Nämlich so ein Schlagzeug, das sich anhört wie ein permanenter Verspieler. Dann habe ich immer noch Gitarre und Orgel gleichzeitig gespielt, was wahnsinnig schwierig zu kontrollieren ist. Aber es war für mich der Spaß der Minute, das direkt so aufzunehmen. Außerdem ist das so ein einfacher Effekt, den sich niemand trauen würde.
Worin müsst ihr besser werden?
Françoise Cactus: Ich muss wirklich meine Trompete üben! Gott sei dank gibt es auf dieser Platte keine Trompete, weil ich das wie ein Elefant spiele. Dann habe ich jetzt auch ein neues Instrument, das nennt sich Kaossilator. Damit muss ich auch noch üben. Na, und meine Stimme ist wie sie ist. Da kann ich nichts dran ändern, das klappt irgendwie nicht. Aber vielleicht sollte ich mal meine Texte auswendig lernen. Das ist mir manchmal peinlich, wenn ich mit meinen Heften ankomme und sehe, dass es die Leute im Publikum besser können als ich.
Brezel Göring: Das stimmt. Sie hat immer so sieben Hefte dabei, die mit Lesezeichen aufgeschlagen sind. Das dauert dadurch immer wahnsinnig lang, ist allerdings dadurch auch so ein bisschen Teil des Ganzen.
Françoise Cactus: Naja, eigentlich kenne ich meine Texte schon. Nur ich mag es gerne auf der Bühne viele Sachen um mich herum zu haben. Da fühle ich mich besser. Außerdem war ich einmal so müde bei einem Konzert, dass ich komplett alle Texte vergessen habe. Das ist aber schon sehr lange her. Ich musste jedenfalls die ganze Zeit improvisieren und die anderen Musiker haben mich alle schräg angeguckt. Nun habe ich so einen Horror davor, dass das noch einmal passieren könnte, dass ich lieber meine Heftchen mitnehme. Und was möchtest du besser machen Brezel?
Brezel Göring: Ich hatte mir bei dieser Platte im Vorhinein total viel vorgenommen. Ich wollte weniger kontrollieren und auch los lassen können. Wenn man lange Zeit mit Computern arbeitet, möchte man alles sichern und fortwährend Kopien anfertigen. Aber die Entscheidung auf Band aufzunehmen, dieses Vergängliche dabei hatte schon viel mit Loslassen zu tun. Da wir wussten, dass wir nur für 11 Tage in Los Angeles sein würden, fand eine echte Fokussierung und Konzentration statt, wo man eben nicht später nachbesserte. Dieses Gemisch ist nun unsere Platte. Damit kann man jetzt leben oder nicht. Für mich war das echt eine Herausforderung. Es gab kein Sprungtuch, auf welches man sich verlassen konnte. Wenn man hingefallen ist, ist man hingefallen. Ich dachte also, dass ich in einer guten mentalen Verfassung sein muss, so dass mir auch all das einfällt, was ich mir vorgenommen hatte.
Françoise Cactus: Diesen Gedanken, dass man es jetzt schaffen muss, fand ich auch mal ganz gut. Man war zwar konzentriert bei der Sache, hat aber trotzdem nicht zu viel an den Einzelheiten gefeilt. Das ist sehr spannend, fast so wie ein Konzert. Dabei geht es ja auch darum in dem Moment das Beste zu geben.
Brezel Göring: Wenn ich andere Bands aufnehme, sage ich ihnen oft, dass bereits die ersten Aufnahmen gut sind und sie es nicht nochmal machen müssen. Denn gerade das der Bassist in der Strophe schräg gespielt hat, klingt gut. Die Reibung ist das Besondere. Aber als Musiker ist man darauf getrimmt es besonders gut zu machen und hat nicht den Abstand dazu. Da fiel mir eben auf, dass ich bei meiner eigenen Musik anders verfahre. Als wir nach Los Angeles fuhren, hatte ich mir also vorgenommen ein bisschen Chaos und Unkontrollierbarkeit zuzulassen, um zu einem guten Ergebnis zu kommen.
Auf diese Weise kann man wahre Individualität erschaffen. Man bringt seine Persönlichkeit viel direkter in die Musik ein und kann somit in der Masse von Veröffentlichungen noch auffallen.
Brezel Göring: Auf der einen Seite gibt es so wahnsinnig viel Musik und trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Ideen nicht mehr geworden sind. Sie verteilen sich nur auf mehr Platten. Dann gibt es da auch noch so eine komische Klangwelt, die sich auf vielen Veröffentlichungen gleicht.
Françoise Cactus: Na wenn die alle dieselben Programme benutzen, ist das doch klar!
Brezel Göring: Früher war es so, dass jeder den gleichen blöden Drum-Computer verwendet hat und jetzt geht es noch viel weiter. Insofern denke ich, ist es im Moment einfach anders zu klingen. Und noch nicht einmal teuer. Die Sachen, mit denen ich aufnehme, kann man sich für ungefähr 400-500 Euro besorgen. Aber dann hat man auch alles komplett – vom Aufnahmegerät, einem Mischpult bis zum Mikrofon. Es ist also keine so große Investition, sondern eine intellektuelle Entscheidung.
Françoise Cactus: Auf den anderen Platten hatten wir manche Stücke sogar nur mit einem Vierspurgerät aufgenommen. Zum Beispiel „I Love You, Ono“. Unser Ziel ist es nicht wie Profis zu klingen. Wir mögen den Trash-Aspekt.
Brezel Göring: Analog ist ja auch eine bestimmte Art von Selbstzensur. Manche Musiker wissen von vornherein wo es hingehen soll und fällen ästhetische Entscheidungen so, dass sie einem bestimmten Format gerecht werden. Aber ich finde, man sollte alles ignorieren was es draußen gerade so gibt. Man sollte sich auf das konzentrieren, was einem selber gut gefällt. Dann wird man ja später feststellen, ob es irgendwo reinpasst oder nicht. Manchmal höre ich Musik und denke, dass das schon so formalisiert ist.
Seid ihr so geworden wie euch eure Eltern haben wollten?
Françoise Cactus: Meine Eltern sind nicht ein einziges Mal auf ein Konzert von mir gekommen. Also denke ich mir, dass sie sich etwas anderes für mich vorgestellt haben. Mein Vater hat mal zu mir gesagt: ‚So ein begabtes Mädchen und jetzt so ein Lotterleben als Musikerin!’ Das war gar nicht so angenehm. Aber ich mag das nun mal. Meine Neffen stehen zum Beispiel viel mehr auf meine Musik als meine Schwestern oder meine Eltern. Deshalb mache ich auch immer Tests mit ihnen. Ich spiele ihnen ein paar Lieder vor und gucke, wann sie tanzen und wann sie gähnen.
Brezel Göring: Meine Eltern haben sich wahrscheinlich auch was ganz anderes erhofft, aber darauf kann ich nun auch keine Rücksicht nehmen. Es muss sehr schockierend für meine Eltern gewesen sein, dass ich Musiker und dann auch noch mit solcher Musik geworden bin. Manchmal spiele ich aber auch mit einem Barockorchester zusammen, wo ich dann so Elektronik-Kram dazu mache. Neulich waren meine Eltern bei einem dieser Konzerte. Sie schienen das Orchester sehr zu genießen und haben sich meine Sachen dann eher mit Kopfschmerzen und zusammengebissenen Zähnen mit angehört. Aber da ich ihr Sohn bin, würden sie niemals etwas Schlechtes sagen.
Françoise Cactus: Sie sind schon öfters zu Konzerten gekommen.
Brezel Göring: Ja, das stimmt schon. Sie kommen auch zu Lesungen und so was. Sie interessieren sich, aber es ist ihrem bürgerlichen Bildungshorizont schon wahnsinnig fremd.
Françoise Cactus: Die wollen wohl alle, dass wir im Büro sitzen! Warum wünschen sie sich so was? Soll das ein schönes Leben sein? Ich bin eigentlich auch Lehrerin, aber ich habe das nie ausgeübt. Aber das war es, was meine Eltern wollten. Das hätte ihnen gut gefallen. Stattdessen: abhauen und Musik machen. Nicht so cool für sie. Aber Pech gehabt! Meine Geschwister sind da schon braver und machen alles, wie man das machen sollte. Wenn ich die einzige Tochter wäre, wäre das wahrscheinlich noch nerviger für sie.
Brezel Göring: Ich bin auch immer froh, dass meine Geschwister das alles so ordentlich machen und es insofern bei mir nicht so auffällt. Hund, Kind und Haus. Alles passt.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg