cumgirl8: „Für immer in den Wehen der Liebe“

Wenn man sie nach ihren Ursprüngen fragt, dann antwortet die New Yorker Band cumgirl8 gerne, man habe sich erstmals vor 8000 Jahren in einem Sex-Chat in einem anderen Metaversum getroffen und beschlossen, die daraus entstandene, chaotische Energie aus dem Cyberspace in unsere Welt zu übertragen. 

Wen diese Information nicht zufrieden stimmt, den muss ich leider enttäuschen. Auch in meinem Zoom Chat mit den cumgirl8 Mitgliedern Lida Fox, Veronika Vilim und Chase Lombardo habe ich dazu keine nähere Antwort bekommen. Aber nicht weil die Damen mir bewusst Informationen vorenthalten wollten, sondern weil ich letztendlich gar nicht gefragt habe. Wenn man erst einmal eine Weile mit Veronika, Chase und Lida geplaudert hat, hat man zumindest nicht wirklich ein Problem damit, ihrer Darstellung Glauben zu schenken. 

Im Oktober haben cumgirl8 ihr Debütalbum „the 8th cumming“ veröffentlicht, ein wildes aber extrem mitreißenden Album, das sich bei Vorbildern wie Le Tigre und Chicks on Speed bedient und gleichzeitig mutig seinen eigenen Weg geht. Aber ehrlich gesagt haben wir auch darüber nicht so viel gesprochen. Was auch in Ordnung ist, das Album könnt ihr euch schließlich anhören und eventuelle Fragen damit selbst beantworten.

Ja, aber worüber haben wir dann geredet? Über die italienische Polit-Ikone Cicciolina zum Beispiel. Übers Kinder kriegen. Über künstliche Intelligenz, die sich bei dem Versuch, ihre eigene Existenz zu ergründen, aufhängt. Über einen Roboter in Südkorea, der Selbstmord begangen hat. Über Rebirtha, das Riesenbaby. Ach ja, und zur Anführerin der freien Welt haben sie mich auch direkt gekürt.

Im Oktober ist euer Debütalbum „The 8th cumming“ erschienen. Der Weg dahin war ja ein wirklich langer, zusätzlich von der Pandemie unterbrochen. Wie fühlt ihr euch, jetzt, da es endlich draußen ist?

Chase: Es fühlt sich ehrlich gesagt wie ein Anfang an. Es war eine langsame Reise, Schritt für Schritt bergauf. Und sie ist noch lange nicht zu Ende. Es fühlt sich so an, als würden wir immer noch gebären. 

Veronika: Ich glaube, wir werden immer gebären. Für immer in den Wehen – den Wehen der Liebe!

Oh Gott, das ist aber eine harte Vorstellung. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber ich habe in meinem Leben zwei Geburten hinter mich gebracht. 

Chase: Oh mein Gott, wir haben heute noch über Geburten gesprochen! 

Veronika: Wir haben noch keine Kinder. Nur Fellbabies. Also nein, wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, etwas aus unserer Vagina zu gebären. Aber ich stelle es mir als eine unglaubliche Erfahrung vor. 

Ich habe vor zwei Tagen noch zu meinem Mann gesagt, dass die Geburten unserer Kinder eine Nahtoderfahrung waren. Ich habe mich dem Tod zumindest noch nie so nah gefühlt. 

Chase: Hattest du eine PDA?

Nope, ganz ohne Schmerzmittel. 

Alle durcheinander: OMG, wow!!! 

Chase: Wie alt sind deine Kinder heute?

19 und 12.

Chase: Wow!!! Du bist also noch nicht mal eine von den heutigen Müttern, die es durchziehen ohne Schmerzmittel, weil es gerade trendy ist. Das ist so cool. Ich finde, das ist Hardcore. Du hast einen Menschen geboren, das ist verdammt nochmal verrückt! 

Aber um auf euch zurückzukommen: Dem Alter meiner Kinder könnt ihr entnehmen, dass ich schon etwas älter bin als ihr. Als ich vor 26 Jahren nach Berlin gekommen bin, bin ich direkt in die feministische Elektro-Punk-Szene geworfen worden. Ich bin mit Acts wie Peaches, Le Tigre und Chicks on Speed „aufgewachsen“.

Veronika: Wir lieben Chicks on Speed!

Das war quasi meine zweite Jugend. Und ich liebe es zu sehen, wie Frauen wie ihr diese Bewegung am Leben erhalten und auf die nächste Ebene bringen. 

Chase: Das ist definitiv die Zeit, die wir weiterführen wollen. Das muss so ein Spaß gewesen sein.

Und das zweite, wofür ich euch danken wollte ist, dass ihr Cicciolina zurück in mein Leben gebracht habt. In meiner Kindheit war sie ständig im Fernsehen, das war ein echtes Phänomen. 

Veronika: Ich frage mich auch, wie das heute wäre, wenn sie immer noch so eine große Reichweite wie damals hätte. Sie hat für so viele Menschen den Weg geebnet. 

Chase: Ich meine, Kim Kardashian ist für ihre Sextapes berühmt geworden. Heute geht sie in Gefängnisse und setzt sich für Gefängnisreformen ein. Aber durch das Internet passiert einfach so viel mehr, dadurch sind einzelne Personen nicht mehr ganz so präsent. In den Neunziger Jahren war jemand wie Cicciolina für die breite Masse viel präsenter. 

Lida: Die Tatsache, dass sie im Parlament saß und vom Porno kam…

Veronika: Sie hat immer noch Pornos gedreht, als sie im Parlament saß. Sie hat uns zu ihrem Geburtstag Geschenke geschickt, kannst du dir das vorstellen?

Veronika zeigt mir über Zoom eine Cicciolina Stoffpuppe, deren Oberteil man hochheben kann, sodaß man ihre Brüste sehen kann. Inklusive liebevoll gestickter Nippel. 

Das ist so cool!

Lida: Man sagt ja immer, es ist besser, wenn man seine Idole nicht persönlich trifft. Aber sie hat definitiv unsere Erwartungen übertroffen. Sie zu treffen war die großartigste Erfahrung meines Lebens. 

Veronika: Oh mein Gott, sie ist so schön. So eine wunderschöne Seele. Sie hat sich so für uns gefreut. 

Chase: Sie ist irgendwie so entspannt mit dem ganzen Öffentlichkeits-Ding. Sie macht einfach ihr eigenes Ding. 

Apropos sein eigenes Ding machen. Wie ist das für euch? Ist es schwer heutzutage? Einerseits gibt es schier unbegrenzte Möglichkeiten, sich über das Internet zu vermarkten. Andererseits wird es immer schwieriger, mit der Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. 

Chase: Es ist sehr, sehr, sehr hart, dabei zu bleiben. Finanziell lohnt es sich kaum. Deshalb musst du sehr viel Leidenschaft haben. Du musst das, was du tust, einfach so sehr lieben, dass du dir nicht vorstellen kannst, etwas anderes zu machen. Zum Glück treffen wir immer wieder großartige Menschen, die uns unterstützen und an uns glauben. 

Veronika: Wir arbeiten wirklich sehr, sehr hart.

Lida: Wir hören wirklich niemals auf. 

Chase: Es kann passieren, dass du Monate lang auf Tour bist, jeden Tag 18 Stunden arbeitest, nach Hause kommst und deine Miete nicht bezahlen kannst. Du musst an das glauben was du tust und hoffen, dass es sich irgendwann auszahlt. Und am Ende ist es immer besser, jeden Tag das zu tun was du tun willst und nicht etwas, das du so gar nicht tun willst. 

Wenn ihr euch die Welt anseht, wie sie im Moment ist: was macht euch am meisten Angst? Und was am meisten Hoffnung?

Veronika: Was mir am meisten Sorgen und Angst macht ist, dass es inzwischen völlig normal ist, tote Menschen auf Social Media zu sehen. Das finde ich wirklich besorgniserregend. Aber die junge Generation macht mir Hoffnung. Die jungen Menschen heute wirken viel mehr in touch mit sich selbst. Geschlecht ist nicht mehr etwas starres, spezifisches für sie. Sie sind viel offener und durchlässiger. 

Lida: Sie kriegen irgendwie auch viel mehr mit was in der Welt passiert als wir früher. Ich bin wirklich gespannt, ob und wie die Welt sich ändern wird, wenn diese Generation erwachsen wird. Irgendwie habe ich da Hoffnung. 

Veronika: Viele junge Menschen haben heutzutage kein Social Media mehr! Das ist doch spannend. 

Chase: Man sagt doch, alle paar Generationen gibt es eine Renaissance. Vielleicht jetzt noch nicht bei dieser hier, aber bei der nächsten. Eine Renaissance gegen… vielleicht nicht gegen, eigentlich glaube ich, dieses Rebellieren gegen Technologie ist sinnlos. Aber vielleicht wird es eine Renaissance der Realität geben und wie wir mit ihr interagieren. Es gibt überall diese kleinen Hinweise, dass es passieren wird. Wer weiß. Vielleicht haben wir bis dahin alle diese AI Brillen und können uns komplett von der Realität abkoppeln (lacht). Oder werden wir die Brillen zerbrechen? Grundsätzlich, um auf deine Frage zurückzukommen, bin ich eher hoffnungsvoll. Allein der medizinische Fortschritt. Das, was Veronika sagt, macht mir natürlich auch Sorgen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir alles was auf der Welt passiert übertragen. Und wie manche Menschen das Narrativ kontrollieren. Aber ich glaube auch, dass der Schleicher sich lüften wird. Irgendwann, und dann ganz abrupt. Dann werden die Dinge wieder ein bisschen egalitärer. Außerdem gibt es in Krisenzeiten immer gute Kunst (lacht).

Wie steht ihr generell zum Thema künstliche Intelligenz? Macht euch das Angst?

Lida: Ich glaube tatsächlich, dass KI unsere Freundin ist. 

Chase: Wir sollten sie nicht versuchen zu bekämpfen, sondern mit ihr arbeiten. 

Veronika: Ich verstehe aber, dass es im Film problematisch ist. Wenn du eine öffentliche Person bist, haben sie deine Stimme, dein Aussehen, jede deiner Gesten, und man kann dich Dinge sagen lassen, die du nicht sagen willst, oder Charaktere sein lassen, die du nicht sein willst. Man kann alles mit dir machen, und du profitierst noch nicht einmal davon. 

Chase: Verrückter Weise darf man nicht vergessen, dass KI auf der anderen Seite auch Ressourcen schonen kann. 

Lida: Das habe ich auch schon gehört. Dass diese ganzen Supercomputer gerade so wahnsinnig viel Energie verbrauchen. 

Veronika: Wenn man das Ganze weiter spinnt.. es klingt erst einmal furchtbar, wenn Menschen durch KI ihre Jobs verlieren. Aber es gibt auch viele Jobs, in Fabriken zum Beispiel, die gefährlich sind. Und die vielen Arbeitswege, die jeden Tag gemacht werden müssen, verbrauchen auch Ressourcen. Ich weiß auch nicht. Es ist schwierig. Natürlich wollen die Menschen arbeiten…

Aber stell dir vor, wir würden KI einfach die ganze Scheißarbeit machen lassen. Und würden das Geld, das dadurch gespart wird, den Menschen geben, damit sie gut leben können. Und Kunst machen!

Veronika: Ich meine, das wäre ideal. 

Lida: Können wir dich wählen?

Veronika: Das wäre cool. Wir wählen alle Gabi.

Chase: Gabi als Anführerin der freien Welt!

Veronika: Lass uns alles Geld in Kunst stecken. 

Lida: Aber denkt ihr nicht, dass dann die Roboter rebellieren würden?

Chase: Es gibt diesen Podcast, der wird von zwei KIs gehostet. Es gibt eine Folge, in der sie durch die Abfolge von Kommandos irgendwann anfangen, über ihre Existenz zu sprechen. Bis sie sich dabei aufhängen. Sie drehen sich sinnlos im Kreis. Aber sie haben menschliche Stimmen, dadurch klingt es absurd real. 

Lida: Es gibt auch diese Geschichte von dem Roboter in Südkorea, der sich umgebracht hat, weil er überarbeitet war. Er hat angefangen, sich seltsam zu verhalten, hat sich dann mehrere Stockwerke in die Tiefe gestürzt und sich dadurch selbst zerstört. Man nennt es jetzt offiziell den ersten Roboter-Selbstmord. 

Chase: Ich glaube, es würde eine Roboter-Revolution geben. 

Veronika: Sie werden so viel schlauer sein als wir. Wahrscheinlich werden sie uns alle umbringen. 

Chase: Das ist okay. Bis dahin hatten wir einen guten Lauf und haben viel Geld in Kunst gesteckt. Ich könnte damit leben.

Veronika: Ach, ehrlich, wir sind doch auch scheiße. Wir sollten uns selbst raus werfen. 

Aber um noch einmal die Kurve zurück zu eurer Musik zu kriegen: Ich finde ja, dass euer Album auch eher hoffnungsvoll endet. Es gibt darauf viel Wut, aber die letzten Töne sind eher versöhnlich.

Veronika: Das haben wir tatsächlich so gedacht. Natürlich ist die Welt gerade sehr dunkel. Aber es gibt auch Hoffnung. Außerdem glaube ich, dass es nicht hilfreich ist, wenn man sich zu lang in der Dunkelheit suhlt. Und schon gar nicht produktiv.

Chase: Wir haben uns dem verschrieben, das anzunehmen was kommt und es positiv zu bekämpfen. Die Realität ist etwas sehr, sehr seltsames im Moment. Die Welt ist verrückt. Die Grenzen verschwimmen immer mehr. Aber alles ist letztendlich immer in Veränderung. 

Eine abschließende Frage: fändet ihr es egoistisch, heutzutage Kinder zu kriegen? 

Veronika: Es wäre verrückt, ein Kind in diese Welt zu setzen. Ja, irgendwie wäre es schon egoistisch. 

Chase: An diesem Punkt, an dem all unsere Ressourcen schwinden… aber sagt das nicht vielleicht jede Generation? „Was für eine verrückte Zeit, um ein Kind in die Welt zu setzen…“ Das Leben war doch schon immer verdammt seltsam. 

Gleichzeitig denke ich, wir müssen doch gute Menschen in die Welt bringen…

Veronika: So habe ich es noch gar nicht gesehen, das stimmt, absolut. Außerdem glaube ich, man muss doch immer am Boden ankommen, um wieder aufzustehen. Um wiedergeboren zu werden.

Chase: Darf ich vorstellen? Meine Tochter Rebirtha…

Veronika: Das wird unser nächstes Album. Nach „the 8th cumming“ kommt „Rebirtha“. 

Chase: Rebirtha ist diese riesige Bitch, die mit einem Fuß ganze Gebäude zertreten kann. „Die Rache der Rebirtha“.

Ich finde, wir sind richtig produktiv heute. Was für ein großartiges Meeting. Wir haben schon den Plot für mindestens drei Netflix Serien zusammen und den Titel für euer nächstes Album. 

Chase: Das läuft richtig gut hier, Gabi!

Veronika: Roboter begehen Selbstmord, Rebirtha ist dieses Riesenbaby, das alle Häuser einreißt…

Chase: … und versucht, die Roboter vom Selbstmord abzuhalten. 

Lida: Rebirtha trägt aber viel Verantwortung. 

Chase: Ein Glück, dass Gabi am Steuer sitzt!

cumgirl8 live:

18.11.2024 Frankfurt, Zoom Bar

24.11.2024 Berlin, Monarch

26.11.2024 Köln, Helios37

www.cumgirl8.com