Im März 2020 erschien das Debütalbum der Londoner Band Sorry und fiel damit unerwartet in eine sehr ungünstige Zeit, um sich als junge Band Gehör zu verschaffen, geschweige denn, sich dauerhaft zu etablieren. Zweieinhalb Jahre später sind Sorry mit ihrem zweiten Album „Anywhere But Here“ zurück und beweisen darauf, dass sie trotz aller Hindernisse nicht nur immer noch da sind, sondern sich auch hörbar weiter entwickelt haben. „Anywhere But Here“ hat einen organischeren, wärmeren Sound als das elektronisch angehauchte Debüt „925“, es steht in der Tradition des britischen Indies sowie gleichzeitig des klassischen, amerikanischen Singer-Songwriter-Tums. Inhaltlich packt es die großen Themen des Lebens an: Liebe, Selbstreflexion, Einsamkeit, Geburt und Tod. Die kommen auch direkt auf den Tisch, als ich mich mit Asha Lorenz unterhalte – eigentlich über ihre Musik, aber dann doch noch über einiges mehr.
Euer Debütalbum ist 2020 erschienen. Eines der schwierigsten Jahre überhaupt, um ein Debüt rauszubringen…
Ja. Es war komisch. Aber irgendwie hat jeder das Gleiche erlebt, deshalb haben wir uns nicht so schlecht dabei gefühlt. Es war auf jeden Fall schön, dass die Leute einen Zugang zu unserem Album gefunden haben, allein dadurch, dass sie die Musik hören konnten. Davor sah unser Leben so aus, dass wir drei bis viermal die Woche Shows gespielt haben. Das Ausmaß des Ganzen ist uns erst acht Monate später bewusst geworden, da wurde das Bedürfnis, Leute zu treffen so richtig groß. Es war komisch, aber wir haben es geschafft, und das ist cool.
Weißt du, was ich besonders an eurer Musik finde? Ich finde sie super energetisch und gleichzeitig irgendwie entspannt.
Ja? Cool und sexy vibes? (lacht) Das ist so ziemlich genau das, worauf wir hinauswollen. Nein, im Ernst, danke. Uns ist es einfach wichtig authentisch zu bleiben und Sachen rauszubringen, die uns selbst gefallen. Das ist wichtig. Ich möchte keinen Mist veröffentlichen und mir lieber selbst treu bleiben. Ich finde es auch wichtig, dass man sich weiterentwickelt. Wenn man einmal herausgefunden hat was funktioniert, das ständig wiederholt und damit Geld macht, das ist nicht cool. Da bin ich lieber drei Jahre lang scheiße und habe plötzlich den Riesen Hit (lacht). Dann sieht man, woher du kommst. Ich mag es nicht, wenn Dinge einfach da sind und keine Substanz haben.
Was war für euch die größte Weiterentwicklung als Band, vom ersten Album zu diesem?
Wir haben für das erste Album ziemlich lang gebraucht, um zu verstehen wer wir sind und wo wir hin wollen. Die Songs sind also über einen langen Zeitraum hinweg entstanden. Diesmal war alles ein bisschen straffer, das Songwriting ist klassischer, insgesamt finde ich das Album in sich irgendwie zusammenhängender. Wir hatten von vorne herein eine klarere Vorstellung, wie es sein sollte. Der Aufnahmeprozess war auch anders, wir sind das Ganze quasi verkehrtherum angegangen. Alles, was man normalerweise in der Postproduktion macht, haben wir zuerst gemacht. Dadurch hatte das Ganze ein Konzept, wir wollten nicht, dass am Ende irgendetwas aus dem Rahmen fällt, sondern dass alles im Fluss bleibt.
Findest du es schwierig, in den Zwanzigern zu sein? Ich habe das Gefühl, dass sich inhaltlich vieles in euren Songs darum dreht.
Definitiv. Es ist ein bisschen eine zweite Coming of Age Phase, nach der ersten zwischen 18 und 21. Und dann kam noch Corona dazu. Das Komische daran war, dass wir alle in der gleichen Stadt waren, umgeben von den gleichen Freunden. Es hat sich angefühlt, als würde die Welt stillstehen, aber die Zeit ist trotzdem weiter vergangen. Die Dinge haben mehr auf der Stelle vibriert, als dass sie sich vorwärts bewegt haben. Das fand ich wirklich schwierig, und darum geht es auch viel auf diesem Album. Ein gutes Album muss sowohl helle als auch dunkle Seiten haben. So wie das Leben.
Wie war es in der Zeit, in London zu leben? Viele Menschen sind in der Corona-Zeit aufs Land geflüchtet, weil sie sich in der Stadt so gefangen gefühlt haben.
Ich könnte nicht auf dem Land leben, egal zu welcher Zeit. Ich mag es, wie ewig man in London von einer Seite der Stadt zur anderen unterwegs sein kann. Ich bewege mich gerne. Aber es war schon komisch. Die Leute hatten viel Angst in London, es lag ein Gefühl der Angst über allem. Und durch die steigenden Lebenskosten werden immer mehr Menschen aus der Stadt verdrängt. Man kann das fühlen, und es fühlt sich nicht immer gut an. Ich bin auf jeden Fall ein Stadtmensch, aber ich glaube, ich werde demnächst in eine andere Stadt ziehen.
Wo würdest du gerne hinziehen?
Nach Berlin vielleicht. Oder Madrid. Ich war im Sommer ein paar Mal in Berlin. Keine Ahnung, ob es mir im Winter genauso gut gefallen würde. Ich finde, es hat einen ähnlichen Vibe wie London. Man hat das Gefühl, dass ständig etwas passiert. Ich habe mich dort sehr frei gefühlt, das hat mir gefallen. In London ist alles, was spannend ist, alle Events und guten Orte, irgendwie überbucht. Es ist schwierig, Orte zu finden, an denen man sich in Ruhe austauschen und andere Menschen kennenlernen kann. Alles ist irgendwie zu viel und zu intensiv.
Beeinflusst die Umgebung, in der du dich befindest, deine kreative Herangehensweise?
Nicht so sehr. Ich glaube, es sind mehr die Menschen, mit denen ich mich umgebe. Meine Beziehungen, meine Freunde, Menschen die ich hasse beeinflussen mich mehr als die Stadt, in der ich wohne.
Menschen, die du hasst?
Oh ja, ich hasse viele Menschen (lacht).
Ich verstehe das. Ich versuche wirklich sehr, voller Liebe für alle Menschen zu sein, aber…
Hass und Liebe sind doch eigentlich das Gleiche! Ob du jemanden liebst oder hasst, sind vielleicht unterschiedliche Seiten der Münze, aber es ist immer noch die gleiche Münze.
Glaubst du, es gibt genug Liebe für alle Menschen auf der Welt?
Nein, das glaube ich definitiv nicht. Vor allem nicht im Moment. Okay, wenn wir sagen, dass Liebe und Hass wirklich zwei Seiten der gleichen Münze sind, dann vielleicht. Ich denke, es hängt auch davon ab, wie man Liebe definiert. Das ist ja sehr subjektiv. Man kann jemanden auch auf eine schreckliche Weise lieben, wenn es das ist, wie du selbst gelernt hast zu lieben. Ich möchte aber daran glauben, dass jeder Mensch geliebt wird. Da muss ich noch ein bisschen drüber nachdenken.
Es ist ein bisschen wie die unlösbaren Fragen, die man zum Meditieren nutzt.
Das klingt interessant, was meinst du?
Es gibt eine Meditationstechnik, dabei konzentriert man sich auf eine Frage, die keine Antwort hat. Denn, sobald du auf die Frage eine Antwort gefunden hast, schaltet dein Gehirn seine Aktivität diesbezüglich ab. Auf die Weise zwingst du dein Gehirn endlos weiterzuarbeiten und erreichst dadurch einen meditativen Zustand.
Das ist so cool! Das gefällt mir. Was wäre so eine Frage?
Ein Klassiker ist: Existiert ein Geräusch auch, wenn niemand es hört?
Wow. Cool. Das macht total Sinn. Ein bisschen wie wenn du den ganzen Tag einen Song im Kopf hast, dich aber nur an die eine Hälfte erinnern kannst. Sobald dir die zweite wieder einfällt, hast du ihn vergessen. Jetzt verstehe ich das. Man muss irgendwie immer in Bewegung bleiben, oder? (lacht)
Und jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter – glaubst du, dass es bedingungslose Liebe gibt?
Hm. Ich könnte mir vorstellen, dass man das vor allem als Eltern erlebt. Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal erlebt habe, aber ich möchte daran glauben. Ich denke, das gibt bessere karmische Energie. Wenn du nicht daran glaubst, dass es sie gibt, behandelst du alle Menschen so, als würde es sie nicht geben. Dann wirst du nie jemanden bedingungslos lieben. Liebe beinhaltet auch, dass die Positionen sich immer wieder verändern. Manchmal wirst du geliebt, manchmal bist du diejenige, die jemanden liebt. Es ist wie ein Ball, der zwischen den Menschen hin und her geht.
Der letzte Song auf dem Album, „Again“, beschäftigt sich mit den Themen Geburt und Tod. Ich habe gelesen, dass deine Mutter als Sterbebegleiterin gearbeitet hat.
Ja, sie hat die letzten vier Jahre als Sterbebegleiterin gearbeitet und erst kürzlich damit aufgehört. Sie hat mir viel über den Tod erzählt. Das Problem ist, dass er in unserer westlichen Gesellschaft zu wenig Teil unseres Lebens ist. Wir behandeln ihn wie etwas, das nur anderen Leuten passiert. Dabei ist unser Leben ständig voller kleiner Tode. Etwas oder jemanden gehen zu lassen, ist wie ein kleiner Tod. Darum geht es viel auf dem Album, nicht so sehr um den großen, finalen, physischen Tod, sondern darum, wie man Dinge gehen lässt.
Hast du selbst schon unmittelbare Erfahrungen mit dem Tod gemacht?
Oh ja, ich hatte einmal einen Trip, als ich Pilze genommen habe, da war ich der festen Überzeugung ich wäre gestorben (lacht). Ich hatte vor fünf Jahren einen Traum, an den ich mich heute noch ganz genau erinnere: Ich habe einen roten Luftballon in der Hand. Ich lasse ihn los, er fliegt immer weiter hoch in den Himmel, und ich habe furchtbare Angst, dass er platzt. Schließlich platzt er, und ich habe dieses ganz starke Gefühl, ich kann es nicht wirklich beschreiben. Als wäre plötzlich alles eins und es gäbe keinen Platz zwischen den einzelnen Dingen. Als ich diesen Pilz-Trip hatte, habe ich mich selbst sterben sehen, und ich hatte dabei genau das gleiche Gefühl. Ich versuche seitdem es zu verstehen, aber ich bin mir sicher, dass es etwas mit dem Tod zu tun hat. Total verrückt..
„Anywhere But Here“ ist am 7. Oktober 2022 auf Domino Records erschienen.
Foto © Iris Luz