So war’s bei den Internationalen Hofer Filmtagen (zu Hause auf der Couch)

„Und morgen die ganze Welt“ Foto © Oliver Wolff

Ich muss zugeben, mein Bild von Filmfesten ist hauptsächlich geprägt von den zehn Tagen im Februar, die ich in einem vom Overload geprägten Taumel während der Berlinale verbringe. Zehn Tage hin und her jetten zwischen Filmvorführungen, Pressekonferenzen und Parties, ab Tag fünf wird das Ganze zu einem Spagat zwischen Euphorie und dem Kampf gegen das Einschlafen im Kinosessel. Die Berlinale, das ist zehn Tage lang anhaltender Adrenalinstoß, ausgelöst durch eine Überdosis Kultur.

Dass die Berlinale 2020 so stattgefunden hat wie man sie kennt und gewöhnt ist, kann man sich acht Monate später kaum noch vorstellen. Zusammengepfercht mit hunderten von Menschen Schulter an Schulter in einem Kinosaal sitzen, das kommt einem vor wie ein Blick in eine weit entfernte Welt. Dabei bin ich in den letzten Wochen der Pandemie, bevor der November und damit ein von erneuten Schließungen kultureller Einrichtungen bestimmter Teil-Lockdown uns erreichte, sehr gern und regelmäßig ins Kino gegangen. Zum einen, weil ich mich bei den sowohl von Besuchern als auch Kinobetreibern akkurat eingehaltenen Hygiene-Regeln stets sicher und gut aufgehoben gefühlt habe. Zum anderen, weil das Kino in der letzten Zeit einer der wenigen Orte war, die mir einen Funken Hoffnung für das Überleben der Kultur vermittelt haben.

Die Internationalen Hofer Filmtage sind seit 54 Jahren in der Filmbranche eine wichtige Institution. Die Organisatoren haben es dieses Jahr nicht nur geschafft, eine physische Ausgabe des Filmfestivals unter den aktuellen Hygienebestimmungen auf die Beine zu stellen, sondern als erstes Festival Deutschlands alle Filmbeiträge sowohl für Besucher als auch für Akkreditierte online zugänglich gemacht. Zusätzlich wurden Q&As aus den Kinosälen übertragen und eine eigens produzierte Talk-Reihe live gestreamt. Die Online-Ausgabe der Hofer Filmtage dauerte vom 20. Oktober bis zum 2. November, in der Zeit feierten 72 Lang- und 54 Kurzfilme Premiere. Es war für mich das erste Filmfestival, das ich komplett von Zuhause aus erlebt habe.

Es ist natürlich müßig, ein reines Online-Festival mit der ursprünglichen Vor-Ort-Experience zu vergleichen. Aber dass die Hofer Filmtage diese Variante angeboten haben, ist alleine für sich schon fantastisch. Der Zuspruch, den die Plattform HoF on Demand erfahren hat, spricht für sich, über 17.000 Filmabrufe wurden in 13 Tagen getätigt. Gleichzeitig bestätigte sich nicht die Sorge, die Streaming-Plattform könne dem Kinobesuch vor Ort den Rang ablaufen. Laut der Festival-Organisatoren haben sich beide Angebote kongenial ergänzt. Für mich war es die einzige Chance, dieses Jahr in Hof dabei sein zu können. Und ich habe sie wirklich genossen.

Ein rein technischer Aspekt zuerst: Die HoF on Demand Seite hat die gesamte Zeit über technisch stets zuverlässig funktioniert, was schon einmal der erste Punkt war, der zu einem angenehmen Festival-Gefühl in Socken und Jogginghose unter der Kuscheldecke beigetragen hat. Tatsächlich war es aber das Programm an sich, das dank seiner Vielseitigkeit, Originalität, seinem Unterhaltungswert und zugleich seiner Ernsthaftigkeit überzeugen konnte. Auch wenn sich die Tatsache, dass aufgrund der Corona-Krise wesentlich weniger Filme fürs Kino produziert werden erst in den nächsten Jahren richtig darauf auswirken wird, was wir auf der Leinwand zu sehen kriegen, tat es doch gerade jetzt, in dieser eher unterhaltungsarmen Zeit wahnsinnig gut zu sehen, wie lebendig das Medium Film immer noch ist. Der Fokus liegt dabei in Hof mehr auf heimischen Produktionen, es gab aber auch einige interessante internationale Filme zu sehen. 

Nach der diesjährigen Berlinale konnte ich feststellen, dass das Interesse an weiblichen Hauptfiguren und Stoffen, die eine weibliche Perspektive in den Mittelpunkt stellen, bei Filmemacher*innen aus der ganzen Welt aktuell gefühlt größer ist denn je. Zu meiner Begeisterung haben die Programmmacher von Hof meine These weiter untermauert und als Programmschwerpunkt eine Reihe von Filmen gezeigt, die Geschichten und Anliegen von Frauen thematisieren. Hier eine Auswahl von dem, was ich gesehen habe:

„Force of Habit“

In der finnischen Produktion „Tottumiskysymys – Force of Habit“ erzählen sieben Regisseurinnen Geschichten, in denen Frauen sich mit Übergriffen von Männern konfrontiert sehen. Dies geschieht auf sehr unterschiedliche Weise, teils offensichtlich, teils sehr subtil. Auf diese Weise entsteht eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema sexuelle Gewalt die, wie der Film sehr eindrücklich zeigt, nicht erst dort beginnt, wo tatsächlich physische Gewalt angewendet wird. Die einzelnen Episoden, die ursprünglich im Rahmen eines Kurzfilmprojekts entstanden sind, fügen sich dabei zu einem stimmigen, eindrucksvollen Ganzen zusammen. 

Ebenfalls mit dem Thema Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt setzt sich der französische Film „Slalom“ auseinander. Hier kämpft die 15 jährige Lyz in einem Sportgymnasium um ihren Erfolg als Skifahrerin und gerät dabei immer mehr unter den Einfluss ihres wesentlich älteren Trainers. Der Film beginnt, besonders wegen seines Settings in den französischen Alpen und der großartigen Leistung von Jungdarstellerin Noee Abita, extrem eindrücklich, verliert in den letzten Minuten aber leider etwas an Kraft. Davor gipfelt er jedoch in einer schockierenden Szene, die erschreckend zeigt, wie schnell die Linie von der körperlichen Anziehung zum sexuellen Missbrauch überschritten werden kann, besonders in einem unausgeglichenem Machtverhältnis wie dem zwischen Lehrer und Schülerin. Dafür, dass es keine akzeptable Entschuldigung für das Überschreiten dieser Grenzen gibt, daran lässt der Film dabei keinen Zweifel.

„Platzspitzbaby“ wird seit seinem Kinostart Anfang des Jahres in seinem Entstehungsland Schweiz bereits frenetisch gefeiert. Der Film von Regisseur Pierre Monnard, inspiriert von der der gleichnamigen Autobiografie von Michelle Halbheer, erzählt die Geschichte der elfjährigen Mia und ihrer drogenabhängigen Mutter, die durch die Beendigung der Drogenszene am Zürcher Park Platzspitz zuerst clean und nach einem Umzug ins Zürcher Oberland wieder rückfällig wird. Ähnlich wie „Slalom“ handelt „Platzspitzbaby“ mit großer Kraft von der Befreiungsgeschichte einer Jugendlichen, die nach vielen nahezu unerträglich schmerzhaften Erfahrungen lernen muss, ihren eigenen Weg zu gehen. Auch hier sind die Darsteller, allen voran die bei den Dreharbeiten gerade mal zwölf Jahre alte Luna Mwezi, extrem überzeugend und sehr gut geführt. Dadurch, dass Mias Fantasiewelt ebenso eine Rolle spielt wie die knallharte Realität, entwickelt der Film einen ganz eigenen Charme, der nahezu magisch und gleichzeitig schwer erträglich ist. 

Auch der diesjährige Eröffnungsfilm, Julia Heinzes „Und morgen die ganze Welt“, handelt von einer jungen Frau und der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Die 20 jährige Luisa sorgt sich um den zunehmenden Rechtsdruck in Deutschland und möchte dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Sie zieht zu einer Freundin in eine alternative Kommune und fühlt sich dort besonders zu Alfa und seinem besten Freund Lenor hingezogen. Die beiden finden, dass man der rechten Szene mehr entgegensetzen muss als Demonstrationen und Banner schwenken. Luisa, die auch nach einem Weg sucht, sich von ihrem konservativen Elternhaus zu lösen, entwickelt immer mehr die Bereitschaft, sich zu radikalisieren. Mala Emdes kluge, intensive Darstellung der Luisa tröstet leicht darüber hinweg, dass „Und morgen die ganze Welt“ manchmal ein wenig die Leidenschaft seiner Hauptfiguren missen lässt und streckenweise etwas steif wirkt. Aber es ist auch ein lehrreicher Film geworden, besonders für junge Leute sorgt er für mitreißenden Diskussionsstoff darüber, wieviel Radikalität die richtige Sache verträgt. Umso trauriger, dass der Film nach offiziellem Kinostart nur drei Tage zu sehen war. Hoffentlich kann er im Dezember seinen Weg zurück auf die Leinwand finden.

Auf jeden Fall ist „Und morgen die ganze Welt“ der wesentlich erfreulichere Film als Emily Atefs „Jackpot“. Zwar gewann die Regisseurin und Drehbuchautorin in Hof den Hans-Vogt-Filmpreis , aber rundum gelungen ist ihr Gangster-Drama nicht. Die Geschichte um eine ehemalige Straftäterin, die für ein Abschleppunternehmen arbeitet und wieder in Schwierigkeiten gerät, als sie in einem abgeschleppten Auto eine Tasche mit 600.000 € findet, wirkt unglücklich überzogen und konstruiert. Und obwohl Rosalie Thomass mit ihrer Präsenz das Beste aus ihrer Rolle heraus holt, bleiben Inszenierung und Schauspiel insgesamt doch auf enttäuschendem, durchschnittlichem Fernsehfilm Niveau. 

Ebenfalls eher harmlos inszeniert ist der australische Film „I am Woman“, der die Lebensgeschichte der australischen Sängerin Helen Reddy erzählt, die in den siebziger Jahren eine der erfolgreichsten Sängerinnen der USA war und mit ihrem titelgebenden Lied die inoffizielle Hymne der damals aufstrebenden Frauenbewegung lieferte. Das Biopic von Regisseurin Unjoo Moon guckt sich weg wie beste Hollywood-Unterhaltung ohne größeren Spannungsbogen und zieht sich durch die ruhige Erzählweise und die teils etwas langatmigen Gesangsszenen ein wenig in die Länge. Dafür wartet er mit einer interessanten Hauptfigur auf, über die man trotz ihres Erfolges immer noch das Gefühl hat viel zu wenig zu wissen. Nebenher beleuchtet er den Kampf um die letztendlich gescheiterte Einführung der ERA in den USA und wird so, trotz aller Längen, zu einem Stück lehrreicher Unterhaltung. 

„Rivale“

Eine besonders ungewöhnliche Perspektive hat Regisseur Marcus Lenz für seinen Spielfilm „Rivale“ gewählt. Er erzählt aus der Sicht des 9-jährigen Roman, der nach dem Tod seiner Großmutter niemanden mehr hat, der sich in seinem ukrainischen Heimatdorf um ihn kümmern kann. Per Lastwagen wird er nach Deutschland geschleust, wo seine Mutter Oksana als illegale Pflegekraft arbeitet. Zu Romans Enttäuschung lebt sie aber nicht allein, sondern zusammen mit Gert Schwarz, dem Witwer der inzwischen verstorbenen Frau, die Oksana gepflegt hat. Roman empfindet Gert als Rivalen und ringt seiner Mutter das Versprechen ab, dass sie ihn niemals heiraten wird. Als sie schwer erkrankt und ins Krankenhaus muss, versteckt Gert den Jungen aus Angst vor der Polizei in seinem Sommerhaus, wo die beiden sich langsam und vorsichtig annähern. Aber dann nimmt die Situation eine neue, dramatische Wende. Das alles beobachtet Marcus Lenz mit Ruhe und viel Einfühlungsvermögen, gleichzeitig ist „Rivale“ spannend wie ein Thriller, der mit wenig Worten auskommt und einen selbst sprachlos zurück lässt. Dafür gewann Marcus Lenz absolut zurecht den Förderpreis Neues Deutsches Kino für den besten Film. 

Kleiner Fun Fact am Rande: die Vorstellung, dass man bei einem Online Festival mehr Filme schafft als bei einer physischen Ausgabe, ist für mich nicht aufgegangen. Ich finde es tatsächlich leichter, voll in ein Filmfest abzutauchen, wenn ich dafür das Haus verlassen muss – die Ablenkungen sind Zuhause, mit zwei Kindern und Schreibtischarbeit, dann doch zahlreicher. Das gesamte Programm der Hofer Filmtage las sich so interessant, dass ich wünschte, ich hätte noch viel mehr Filme geschafft. Entsprechend habe ich große Lust, mein ganz persönliches Couch-Festival zu wiederholen und werde beim nächsten Mal mehr an meinem Zeitmanagement arbeiten. 

www.hofer-filmtage.com