Mit „The Bomb“ lieferte Pigeon John dieses Jahr einen radiotauglichen Sommerhit ab, dessen tanzbarem Charme man sich auch als Nichtradiohörer nur schlecht entziehen kann. Zuletzt begeisterte er live beim diesjährigen Reeperbahn Festival, im November ist er in Deutschland auf Tour. Beim Interview gab es viel Gelächter und einen sehr entspannten Pigeon John.
Dein Album „Dragon Slayer“ ist bereits letztes Jahr in den USA erschienen.
Ja, im Oktober. Ein paar Monate zuvor ist es in Australien erschienen. Dann in den USA, danach dieses Jahr in Frankreich und jetzt in Deutschland. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Album von mir auf diese Weise erschienen ist, normalerweise erscheint es überall an einem Tag. Dann tourt man damit, und schon kommt das nächste Album raus.
Und wie ist es diesmal für dich, auf diese Weise? Es ist ja schon eine Weile her, dass du es aufgenommen hast, und jetzt sprichst du schon sehr lange darüber…
Ja. Aber es fühlt sich immer noch frisch an. Früher bin ich nur mit einem DJ auf Tour gegangen, jetzt zum ersten Mal mit Band, live sind die Songs dadurch immer noch ganz neu für mich. Meine früheren Alben waren mehr klassische Hip Hop Alben. Dieses hier ist ein klein wenig mehr ein Pop Album, aber trotzdem noch Hip Hop, in meinem Herzen. Für mich ist es ein Hip Hop Album, für Außenstehende mag es sich mehr wie Pop oder Rock’n Roll anhören.
Weißt du, in welche Kategorie mein iTunes dein Album eingeordnet hat? „Religious“.
Ja?! (lehnt sich zurück und streckt die Arme von sich) Da hast du es! (Gelächter) Ich wusste nicht, dass es ein Gospel Album geworden ist. Nein warte, es ist „Children’s Music“!
Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, dass „Dragon Slayer“ so anders klingt als seine Vorgängeralben?
„Dragon Slayer“ ist bereits mein fünftes Album. Ich wollte einmal ein Album komplett am Klavier schreiben, ohne Loops und Samples. So richtig die Absicht, etwas völlig anderes zu machen, hatte ich aber nicht. Ich habe einfach Melodien aufgeschrieben, die ich vor mich hin gesummt habe, aber ich wollte von Anfang an zu diesen Melodien rappen und auf diese Weise eine andere Art Hip Hop kreieren. So als würde man über einen Beatles-Song rappen. Ein eher ruhiges, persönliches Hip Hop Album wollte ich machen. Ich bin ja persönlich auch eher ein ruhiger Typ (atmet betont laut aus, grinst). Manchmal werde ich auch wild. Manchmal zu wild. Sagen wir, ich habe beide Seiten in mir.
Der Weg zum Hip Hop und später vom Rapper zum Sänger – wie war das?
Ahhhhh… (lacht) Ich habe als Jugendlicher im Kirchenchor gesungen. Ich mochte die Melodien und zu sehen, wie alles zusammen gehört. Die Beatles und Billy Joel habe ich geliebt. Als ich angefangen habe zu rappen, kam das geradewegs aus mir heraus. Ich mochte zum Beispiel sehr, wie De La Soul es gemacht haben, das hat sich der typischen Definition des Rappens ja fast schon wieder entzogen. De La Soul haben mich auf jeden Fall sehr inspiriert. In welche Musik ich mich verliebe, das war jedoch nie wirklich eine Entscheidung, es hat einfach Klick gemacht. Bestimmte Popsongs aus dem Achtzigern, zum Beispiel „Human“ von Human League – ich hatte damals eine Kassette, da war auf einer Seite nur der Song in Endlosschleife, und wenn du sie umgedreht hast auf der anderen „Boyz N Da Hood“ von NWA. Ich denke, damals wusste ich schon den richtigen Mix aus Pop und Rap zu schätzen.
Die Liste deiner Einflüsse liest sich auch dementsprechend. Beastie Boys, De La Soul, Madonna… Phil Collins?
(begeistert) Ja!
Wie kommt letzterer da rein?
Miami Vice! Sonny und Crockett sind auf dem Weg zu einem Drogendealer. Es geht um Leben und Tod, der Wind zerzaust ihnen das Haar und dazu läuft „In The Air Tonight“. Das war das erste Mal, dass ich Phil Collins gehört habe. Als Kind ist es regelrecht gefährlich, so etwas zu hören, man bekommt so ein unbekanntes Gefühl: Was passiert hier gerade eigentlich…?
Zum Thema „Dragon Slayer“ – gibt es Momente in deinem Leben, in denen du dich wie ein Drachentöter fühlst?
Ja! In L.A. habe ich schon verrückte Sachen erlebt. Ich habe mal die Schlüssel zu meinem Auto verloren und vergessen, wo mein Auto steht. Da war es, als würde die Stadt um mich herum verschwinden und niemand wäre mehr da. Ich stand verwirrt in der Gegend herum und die Stadt fühlte sich wie ein Schlachtfeld an. Oder Touren, unterwegs sein, wenn man Backstage ist und nicht weiß, was einen draußen erwartet. Nicht, dass es ein Kampf mit dem Publikum ist, mehr ein innerer Kampf. Die Pubertät! (lacht) Wenn man plötzlich mit einem ganz neuen Körper durch die Gegend läuft. Generell das Leben in L.A., der tägliche Kampf mit einem selber, wenn man zum Beispiel immer wieder neue, kleine Abhängigkeiten entdeckt, von denen man gar nicht wusste, dass man sie überhaupt hat.
An Mut scheint es dir ja nicht zu fehlen. Du warst eine Zeitlang fester Bestandteil der Open Mic Szene des Good Life Café in Los Angeles. Das war doch sicher eine harte Schule.
Ja, es war hart und es war spannend. Ein bisschen wie Sport. Jede Woche wiederzukommen, sich und seine Songs zu präsentieren, entweder ausgebuht oder gefeiert zu werden. Die Konkurrenz war groß und der Wettbewerb hart. Und es war cool. Die Frau, die alles organisiert hat, hat die Regeln aufgestellt, dass nicht geflucht werden durfte, keine schlimmen Ausdrücke benutzt und Frauen nicht verbal erniedrigt werden durften. Wer sich nicht daran gehalten hat, dem wurde das Mikrofon abgedreht. All die Gangster, Poeten und Nerds auf der Bühne mussten sich daran halten, und das hat uns irgendwie gezwungen, kreativ zu sein, über die einfachen Inhalte hinauszukommen. Dafür sind wir mit der Zeit alle sehr dankbar geworden. Es war großartig. Das Publikum konnte bestimmen, wie lang jemand auf der Bühne stand. Und es wurden nicht nur schlechte Leute ausgebuht. Wenn jemand eine gute Kopie von etwas hingelegt hat, aber eben nur eine Kopie, wurde er auch von der Bühne gejagt. Es ging darum, seine eigene Stimme zu finden. Mich hat das anfangs hart getroffen, weil ich schon dachte, ich wäre irgendwie anders. Aber dann wusste ich, ich muss noch weiter gehen.
Das heißt, du bist auch ausgebuht worden?
Ein paarmal. Aber das weckt dich auf und bringt dich dazu, den Rest der Woche zu üben. Das Verrückte ist, du bist ganz allein damit. Nicht im negativen Sinne, aber wenn du in deinem Schlafzimmer übst, ist in der Regel niemand dabei, der dir sagt, wie du es machen sollst. Mehr wie ein Schriftsteller. Eine Woche Einsamkeit, dann plötzlich eine Bühne, und wenn Du Pech hast wirst du wieder ausgebuht. Aber ich bin sehr glücklich über diese Erfahrungen. Letztendlich waren jede Woche auch fast die gleichen Leute im Publikum. Das ist wie eine Familie, die dich kritisiert, aber nicht, weil sie dich scheiße findet, sondern weil sie will, dass du mehr gibst.
Du sagtest vorhin, es wäre darum gegangen, seine eigene Stimme zu finden. Nach all den Jahren – würdest du sagen, du hast sie gefunden?
Ja. Ja, habe ich.
Du siehst auch sehr zufrieden aus.
Ja? Ich bin froh, dass du das denkst (Gelächter).
Interview: Gabi Rudolph
Tourdaten:
28.10.2011 Balingen, Rock without limits
02.11.2011 Frankfurt, Batschkapp
03.11.2011 München, Hansa 39
04.11.2011 Berlin, Postbahnhof
05.11.2011 Köln, Luxor