Geschenke sind immer dann am schönsten, wenn man eigentlich nicht mit ihnen rechnet. Plötzlich war sie da, die Nachricht: Nick Cave bringt ein neues Doppel-Album namens „Ghosteen“ heraus. Mit einer weltweiten YouTube Premiere erblickte das zweite Album seit dem tragischen Tod seines Sohns am 3. Oktober 2019 das Licht der Welt. Ähnlich wie „Skeleton Tree“ ist wieder ein Werk entstanden, dem man sich kaum entziehen kann. Eine wunderbare Platte, die einen mit einer herrlichen Intensität und Intimität einlullt.
Es ist nicht zu verleugnen, dass sich Nick Cave in den letzten Jahren mit Mastermind Warren Ellis musikalisch der Filmmusik verschrieben hat. So wirken auch die Songs auf „Ghosteen“ wie die Untermalung von Geschichten. Nur sind es hier seine eigenen Geschichten, die das Leben mitunter mitgeschrieben hat. Nick ist dabei der Erzähler, der sich dem Zuhörer öffnet und ihn einlädt, mit ihm auf seine emotionale Reise zu gehen, die oft schmerzerfüllt ist. Der Beipackzettel verlangt dabei das völlige Einlassen des Zuhörers. Einfach nur mal so ein paar Songs hören ist hier nicht. Das Album frisst einen mit Haut und Haaren und spuckt einen nach über eine Stunde wieder aus, in die kalte Realität, die mit der warmen tröstlichen Stimme Caves nichts zu tun hat. Schon das Plattencover ist nicht von dieser Welt. Fast biblisch wirkt die Szenerie, mit einem grasenden Einhorn in der Mitte, umgeben von pinken Flamingos. So oder so ähnlich stellt man sich das Paradies vor.
Seit Cave sich seinem Schmerz gestellt hat, den er durch den schrecklichen Schicksalsschlag erfahren musste, wirken alle seine Werke wie eine Andacht. Mystisch, flehend, sehnsuchtsvoll, aber nie ohne Hoffnung. Selbst wenn er in „Spinning Song“ über keinen geringeren als The King of Rock ‘n Roll singt „with his black jelly hair“, das ebenso schwarz ist wie Nick Caves Haar selbst, klingt es wie ein Gedicht – eine Hommage an den unsterblichen Elvis. Singt er auf „Bright Horses“ von den Tyrannen und Idioten, die die Welt beherrschen, ist die Welt in dem Titelsong „Ghosteen“ dann stellenweise doch wieder wunderbar. Wenn Cave dann aber repetitiv singt “waiting for you, waiting for you, to return” ahnt man, wen er so sehnlich herbeisehnt, und dabei bricht es einem fast das Herz.
Ähnlich wie auf seiner Website The Red Hand Files , auf der er sich den Fragen seiner Fans stellt, Seelenstriptease betreibt und selbst mit Ratschlägen Mut macht, vermittelt er mit seinen Songs das beruhigende Gefühl: „we are in this shit together – zusammen schaffen wir es“. Wir sind alle zerrissen, es wird nicht einfach, aber man darf auch nicht aufgeben.
Obwohl Cave sich selbst nicht als gläubig bezeichnet, ist das Album mit biblischen Referenzen durchzogen. Nicht nur auf „Leviathan“ – ein Monster, das in christlicher Zeit und Kultur mit dem Teufel in Verbindung gebracht wird, aber auch als Allegorie für Chaos und Unordnung steht. Eine Erklärung braucht wohl auch das Unerklärliche. Dabei erhebt sich Cave selbst -wahrscheinlich mehr ungewollt- zu einem Prediger, einem, dem man folgen möchte, dem man vertraut. Er beschönigt nichts, es ist nicht einfach, aber es schwingt immer diese unerklärliche Hoffnung mit. Wenn es nicht Frieden in der Welt gibt, dann ist es der Frieden mit einem selbst, der das Seelenheil verspricht. “It’s a long way to go to find peace of mind” skandiert er in “Hollywood”, einem Song – wie soll es auch anders sein- über den Verlust.
Man hat das Gefühl, Nick Caves Alben werden immer kraftvoller. Nach 40 Jahren des Schaffens hat er den krachend lauten Cave abgelegt. Die Stimme wird immer fester und klarer. Ein Nick Cave, der sich mit jedem Album selbst übertrifft. So bleibt zu hoffen, dass es noch viele spontane Ankündigungen gibt, mit Musik die so wahrhaftig ist, dass man sie am liebsten festhalten möchte. Doch rinnt einem jeder Ton durch die Finger, so dass einem nichts übrigbleibt, als dieses Album auf Repeat zu hören.
Scheinbar hat Nick Cave großen Gefallen daran gefunden, seine Texte auch live mit den Fans zu teilen. Er sagt selbst, nur das Feedback seiner Fans und die gegenseitige Offenheit habe ihm geholfen, in den schweren Zeiten den Mut nicht zu verlieren. Nachdem Nick Cave erst vor kurzem weitere Konzerte seiner „Conversations With Nick Cave“ Tour angekündigt hat, folgt ähnlich wie beim Album selbst direkt ein recht überraschende Konzert-Ankündigung mit seinen The Bad Seeds.
Ab 25. Oktober gibt es die heiß begehrten Tickets. Da erfahrungsgemäß der Run auf die Plätze groß ist, empfiehlt sich der Eintrag im Kalender, um das kathartische Live-Erlebnis nicht zu verpassen.
Nick Cave live:
17.05.2020 Köln, LANXESS arena
18.05.2020 Hamburg, Barclaycard Arena
27.05.2020 Berlin, Mercedes-Benz Arena
06.06.2020 München, Olympiahalle
Foto © Matt Thorne