Etwas mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem wir Chilly Gonzales das letzte mal zum Interview getroffen haben. In der Zwischenzeit haben er und ich beide eine Geburt hinter uns: ich die meines Sohnes, der zum Zeitpunkt unseres Wiedersehens fünf Monate alt ist und neben mir auf dem Sofa liegt, er die seines neuen Albums „Solo Piano II“. Die Weichen für ein spannendes Gespräch sind, mal wieder, gestellt…
Schön, dass wir uns wiedersehen! Es wird langsam zur Tradition.
Ja! Das letzte Mal war im Morgenland in Kreuzberg, richtig?
Genau. Da haben wir über „The Unspeakable Chilly Gonzales“ geredet.
Und das erste Mal war Backstage in Hamburg beim Reeperbahn Festival.
Es ist schön zu sehen, dass offensichtlich jedes Jahr etwas Neues bei Dir passiert. Jetzt „Solo Piano II“! Ich erinnere mich, was Du gesagt hast, als wir über „The Unspeakable Chilly Gonzales“ gesprochen haben: „Solo Piano II zu machen wäre jetzt der einfachste Weg für mich. Und ich gehe nicht gern den einfachsten Weg.“
So ging es mir die letzten Jahre. Auf eine Art erschien es logisch, aber ich musste warten, bis ich in der Lage war auf dem Klavier zu sagen, was ich wirklich sagen will. Ich denke ich wusste, dass es bald kommen würde, schließlich heißt der letzte Song auf dem letzten Album „Shut Up And Play The Piano“ und das Album endet mit einem 45 sekündigen Klaviersolo. Offensichtlich wusste ich damals schon, dass ich als nächstes hier landen würde. Also habe ich genau das getan: den Mund gehalten und Klavier gespielt. Gesagt, getan!
Wann hast Du die Aufnahmen eingespielt? Ende letzten Jahres?
Um ehrlich zu sein, als ich Euch das letzte Mal gesehen habe war ich noch nicht ganz sicher, aber…
Lustig, genau das sagst Du jedes Mal, wenn wir uns wiedersehen!
Sagen wir es so, es war wie bei ihm (deutet auf meinen Sohn) – es war bereits da, ich wusste es nur noch nicht. Ich habe viele Solo Piano Stücke geschrieben, als ich mit Feist gearbeitet habe. Anfang letzten Jahres war ich mit ihr für zwei Monaten in Big Sur, Kalifornien und wir haben am „Metals“ Album gearbeitet. Sie schläft gerne lang wenn sie arbeitet und ich stehe meist früh auf. So hatte ich am Tag ein paar Stunden für mich, die ich allein ins Studio gegangen bin. Die gute Hälfte der Stücke auf „Solo Piano II“ habe ich in der Zeit geschrieben und an kleinen Sachen gearbeitet, die sich über die Jahre hinweg angesammelt haben. Also alles hat Anfang letzten Jahres angefangen, richtig ernst wurde es dann im Juli, August. Da wusste ich, ich würde den Herbst nutzen um intensiv zu üben und im Dezember, Januar, Februar die Aufnahmen machen.
Das muss doch wieder eine ganz andere Art von Arbeit für Dich gewesen sein. An den letzten beiden Projekten, deinem Film und dem Orchesteralbum, hast Du ja mit vielen Leuten zusammen gearbeitet. Jetzt wieder ganz allein, nur Du und das Klavier…
Nun ja, aber ich habe es ja schon einmal gemacht, beim ersten Solo Piano Album. Der Prozess war auf eine Art sehr ähnlich, aber meine Haltung war natürlich eine andere. Als ich „Solo Piano I“ gemacht habe, wusste ich nicht, dass das Klavier zum Hauptfokus dessen, was ich mache, werden würde. Das war mehr ein Zufall damals, auf eine Art war ich naiv und wusste nicht, wie die Leute darauf reagieren würden. Dann stellte sich heraus, dass es eine starke Verbindung gab und ich dachte okay, das Klavier ist wirklich ein Teil von mir. Ich habe auch andere Dinge gemacht, aber das Klavier wurde irgendwie zum Zentrum von allem. Alles wurde sehr verrückt, die Electro-Sachen, der Film, das orchestrale Rap-Album, bei dem ich zwei große Konzepte zusammen gebracht habe. Irgendwann fand ich, es ist wieder Zeit für eine Nahaufnahme. Denn nichts von all dem wäre ohne das Klavier möglich gewesen. Das war der Sinn von „Solo Piano I“, ohne dass es mir wirklich bewusst war. Jetzt ist es mir bewusst. Ich mache im Prinzip das Gleiche, aber ich weiß, was ich tue. Außerdem habe ich daran gearbeitet, neue Techniken zu finden, wie ich Klavier spiele. Ich finde das neue Album etwas poppiger und es reflektiert mehr die Welt um mich herum als nur meine kleine Ecke von Paris. „Solo Piano I“ hatte einen sehr europäischen Einfluss, geprägt von meinem damaligen Leben in Paris. In den letzten Jahren bin ich so viel gereist, dadurch hat „Solo Piano II“ mehr von einem internationalen Pop-Album.
Wann hast du überhaupt angefangen, Klavier zu spielen?
Als ich ungefähr drei war hat mein Großvater mir das Klavier gezeigt und ich mochte es. Mein Bruder war ganz verrückt nach dem Klavier, er ist älter als ich. Ich habe irgendwann angefangen, ihn auf dem Schlagzeug zu begleiten. Auf diese Weise habe ich angefangen, mich für Musik zu begeistern, er am Klavier, ich am Schlagzeug. Später, als ich ungefähr zehn war dachte ich hm, Schlagzeug ist toll, aber ich wurde auch neugierig auf das Klavier. Aber das war ja die Welt meines Bruders, ich habe da mehr ein bisschen herumgeschnüffelt. Später, als er bereits im College war, hatte ich drei Jahre zu Hause, die er nicht da war. In dieser Zeit habe ich das Klavier wie unter dem Mikroskop untersucht.
Hast Du es dir selbst beigebracht?
Nein, ich hatte Lehrer, immer wieder verschiedene. Zwischendrin habe ich es mir selbst beigebracht, dann wieder einen Lehrer gehabt. Es war ein bisschen wie in der Schule, ich habe mich nie ganz den Autoritäten der Bildung unterworfen. Aber angezogen hat es mich trotzdem. So ist es heute eigentlich immer noch. Ich fühle mich von der Welt der Klassik und des Jazz sehr angezogen, aber natürlich werde ich nie wirklich ein Teil davon sein. Schließlich bin ich ein Entertainer. Aber… ich komme dem Ganzen immer näher, wirklich leben in dieser Welt werde ich jedoch nie.
Es ist ein interessantes Thema, wenn man Kinder hat. Meine Tochter ist jetzt in dem Alter, in dem sie gern ein Instrument lernen möchte und ich frage mich, wie man es einem Kind möglichst leicht macht, dabei zu bleiben, ohne den Spaß daran zu verlieren.
Das kommt ganz darauf an, ob sie es mag. Wenn sie es mag, wird sie dabei bleiben. Wenn nicht, darfst Du nicht vergessen, dass Musik auch eine Art Flucht für Kinder ist. Wenn sie nicht weiter macht kann das auch ein gutes Zeichen sein, weil es vielleicht nichts gibt, wovor sie flüchten muss. Ich weiß nicht… ich sag das jetzt mal so (lächelt).
Wie schreibst Du Deine Stücke am Klavier? Benutzt Du Noten?
Nein, ich arbeite nicht mit Noten. Ich schreibe viel während Soundcheck, wenn ich auf Tour bin. Ich glaube das ist so, weil in jeder Stadt ein neues Klavier auf mich wartet und jedes Klavier etwas Besonderes hat. Ich habe immer eine halbe Stunde, die ich mir nehme, um das jeweilige Klavier zu verstehen. Während ich das mache, finde ich immer irgendetwas Spannendes. Meine Hände landen irgendwo und ich denke oh, das klingt gut. Daraus werden dann vielleicht ein paar Akkorde. Dann, in der nächsten Stadt, auf dem nächsten Klavier kommt wieder etwas hinzu. Manchmal vergesse ich alles wieder, dann war es vielleicht nicht so gut. Oder es kommt plötzlich wieder zurück. In acht Jahren fangen viele solche Fragmente an in der Luft zu schweben. Es ist ein sehr langsamer Prozess, aber auch ein sehr schöner. Der Stress beginnt, sobald das Mikrofon an ist. Das Komponieren ist nicht stressig. Wenn es heute nicht klappt, dann fein, eben morgen. Wenn ich aufnehme, das ist sehr anstrengend. Sobald die Aufnahme läuft, muss es klappen, sonst muss ich wieder von vorne anfangen. Bei manchen Stücken geht es schnell, bei anderen dauert es sehr lang.
Wie viele Takes brauchst du, wenn es sehr schnell geht?
Drei oder vier. Ich weiß nicht genau welcher, ich glaube der letzte Song, „Papa Gavotte“, kam sehr schnell. Bei „White Keys“ war es sehr schwierig, es perfekt hinzukriegen. Ich wusste irgendwann, es würde das erste Stück auf der Platte sein, weil es auf eine Art so anders ist. Es hätte niemals auf „Solo Piano I“ sein können, da es mehr den Minimalismus, die moderne Seite des Klavierspielens reflektiert, an der ich viele Jahren gearbeitet habe. Ich wollte den Leuten zeigen, dass das hier nicht „Solo Piano I“ ist, dass ich einen Schritt weiter gehe. Als ich das wusste, wusste ich auch, es muss sich anfühlen, als ob es schon immer da gewesen wäre.
Ich finde „White Keys“ ist eine der schönsten Melodien, die Du je geschrieben hast.
Oh wow, vielen Dank!
Also hat es funktioniert!
Dann bin ich sehr glücklich (lacht).
Interview: Gabi Rudolph
Fotos (c) 2012 Alexandre Isard