Dass Neuseeland von Deutschland aus nicht gerade um die Ecke ist, ist hinreichend bekannt. Dennoch schwappt den weiten Weg über den großen Teich immer wieder eine Welle toller Musik zu uns hinüber. Neuseelands Musikszene ist vielfältig, spannend und, besonders begeisternd, von der Weiblichkeit nahezu dominiert. Lorde und Ladi6 kommen einem spontan in den Sinn, und nicht minder gut in die Reihe der starken, schönen Musikerinnen vom anderen Ende der Welt fügt sich Brooke Fraser ein. Mit ihrem dritten Album „Flags“ eroberte sie Deutschland einst im Sturm, landete mit „Something In The Water“ einen mega Radiohit und präsentiert sich nun auf ihrem frisch erschienenen Album „Brutal Romantic“ von einer neuen Seite. Die Singer-Songwriterin hat die Gitarre aus der Hand gelegt, wandelt auf elektronischen Pfaden und erzählt uns im Interview, wie sie sich ständig neu entdeckt. Inklusive frisch gelüftetem, süßem Geheimnis.
Deutschland und Neuseeland, da liegt ja eine ganz schöne Ecke dazwischen. Trotzdem scheint der deutsche Markt ein wichtiger für Dich zu sein.
Absolut. Wenn Leute mich fragen was mein größter Markt ist und ich Deutschland sage, staunen alle immer. Viel weiter kann man von Neuseeland nicht entfernt sein (lacht).
Kannst Du sagen, wie es dazu gekommen ist?
Es hat mich ehrlich gesagt sehr überrascht. „Something In The Water“, mein größter Hit in Deutschland, stammt aus meinem dritten Album „Flags“. Davor sind meine Alben nie in Europa erschienen, nur in Neuseeland, Australien und den USA. „Something In The Water“ lief damals gut in den USA im Radio und plötzlich gab es Anfragen, ob ich meine Musik nach Europa bringen möchte. Natürlich haben wir ja gesagt, und alles ging auf einmal sehr schnell. Es ist unglaublich, wie viel Power ein einzelner Song haben kann. Er hat mir so viele Türen geöffnet. Am Ende habe ich Monate am Stück in Europa verbracht, das war unglaublich. In Neuseeland ist man so isoliert, dass wenn man anfängt, man sich nicht vorstellen kann, mit seiner Musik irgendwann überhaupt irgendwo hinzureisen, auch Australien und Amerika kommt Dir, was das angeht, sehr weit weg vor. Allein die Tatsache dass die Songs, die ich mit 16 in meinem Schlafzimmer geschrieben habe, plötzlich in meinem Land gehört wurden, war schon eine große Sache. Die Vorstellung, damit irgendwo anders auf der Welt gehört zu werden ist… verrückt. Es ist überwältigend. Meine Karriere hat sich aber auch nach und nach aufgebaut. Es gab einige „Break-Through“ Momente, trotzdem empfinde ich es so, dass alles schrittweise passiert ist. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich sehe oft junge Künstler, bei denen die Dinge alle auf einmal passieren. Das kann eine große Herausforderung an die eigene Menschlichkeit sein. Es ist schwierig, mit all den Erwartungen, die plötzlich an einen gestellt werden, von einem Moment auf den anderen fertig zu werden.
Du weißt wovon Du sprichst, schließlich hast Du bereits 2003 mit dem Musik machen angefangen. Da warst Du noch sehr jung.
Ich denke, das Wichtigste ist Dankbarkeit und der Wille hart zu arbeiten. Alle großen Künstler haben nie aufgehört zu arbeiten. Sie streben immer danach, noch besser zu werden. In meiner Generation… oder vielleicht eher sogar in der Generation nach mir… was ich jetzt sagen werde, wird mich sehr alt klingen lassen (lacht). Und jede Generation sagt es wahrscheinlich über die nach sich. Harte Arbeit wird zunehmend unterschätzt. Ich denke, es ist gut für die Seele, hart zu arbeiten. Man sollte auch immer dankbar dafür sein, wenn man überhaupt die Möglichkeit hat, hart zu arbeiten. Das ist sehr wichtig.
Du scheinst Dich gerne selbst herauszufordern.
Oh ja (lacht).
Ich habe ein Radiointerview gehört, das du in Neuseeland zum Albumrelease gegeben hast. Darin erzählst Du, dass Du zum ersten Mal in Deinem Leben ohne Gitarre auftrittst und noch nicht so ganz weißt wohin mit Deinen Händen beim Singen. War das die Absicht bei diesem Album, aus Deiner eigenen Comfort Zone herauszutreten?
Absolut. Ich bin kein Freund davon, immer dasselbe zu machen, nur weil man weiß, es funktioniert. Ich hatte das Gefühl, dass es noch viel mehr gibt, das ich an mir entdecken kann. Ich kann noch so viel mehr geben. Es gibt noch mehr, das war das Gefühl, mit dem ich mich auf die Reise begeben habe. Wenn man einmal so eine Vision hat, muss man aber auch erst einmal herausfinden, was das jetzt genau sein soll und wie es funktionieren soll. Das fordert Geduld und den Willen, tiefer zu graben. Ich habe es getan, und es hat länger gedauert als ich gedacht habe. Aber als das Album fertig war, dachte ich: Egal ob es ein riesen Erfolg wird oder der größte Flop, den ich je gemacht habe, ich weiß, ich habe alles gegeben. Es ist etwas geworden, das sich ehrlich anfühlt und zu dem ich voll stehen kann. Darauf bin ich sehr stolz.
Es war ja eine lange Reise, bis Dein Album fertig war. Auch im wörtlichen Sinne. Du bist ganz schön herum gekommen, während Du daran gearbeitet hast.
Ich bin sehr davon beeinflusst, an welchem Ort ich mich gerade befinde. Und wenn ich lang an ein und demselben Ort bleibe, kann ich sehr zufrieden damit werden, kleine, alltägliche Dinge zu tun (lacht). Mein Mann und ich haben damals in Sydney gelebt, wir hatten ein schönes Haus in einem Vorort, umgeben von unserer Familie, unseren Freunden und unseren Patenkindern. Das Wetter ist immer großartig. Ich war gerade mit einer langen Tour durch und war sehr zufrieden damit, mich der Schönheit eines jeden Tages hinzugeben, Kaffee trinken, Babys knuddeln, essen, kochen, Dinner Parties… Ich könnte mein ganzes Leben so verbringen (lacht). Aber dann waren plötzlich Monate vergangen und ich hatte noch nichts geschrieben. Ich habe es versucht, aber es war fast so, als wäre mein Leben so etwas wie ein Schlaflied für mich geworden. Ich dachte okay, ich weiß, irgendwo in mir drin ist ein neues Album und ich weiß, ich möchte etwas Anderes machen. Aber ich wusste, hier wird es nicht passieren. Plötzlich hatte ich eine Eingebung, dass wir für eine Weile nach Schweden ziehen sollten. Und weil mein Mann unglaublich ist, ist er mit mir vom warmen, sonnigen Australien ins dunkle, eiskalte Schweden gezogen. Ende Januar sind wir in Stockholm angekommen. Das war genau der Wandel im System, den ich gebraucht habe. So vieles war mir dort unbekannt, die Sprache, das Wetter, das Licht sogar, so etwas stimuliert die Sinne ungemein. Dort habe ich angefangen zu schreiben und viele unglaubliche Menschen getroffen. Die Künstlerszene in Schweden nimmt einen sehr schnell auf, viele Menschen haben mich eingeladen mit ihnen zu schreiben und Musik zu machen.
Aufgenommen hast Du am Ende unter anderem in London in den Abby Road Studios. Wie war das?
Es war unglaublich. Wir waren nur einen Tag dort und haben das Orchester aufgenommen. Die meisten Songs hatte ich bereits mit meinem Producer David Kosten in seinem Studio in Notting Hill aufgenommen und irgendwann waren wir an dem Punkt, dass wir ein Orchester brauchten. Er hat mich gefragt, wie wär’s, wollen wir das in Abby Road machen? Und ich meinte nur, was? Das ist bestimmt nicht im Budget (lacht). Aber er hat ein paar Telefonate geführt und wir konnten einen Tag dort aufnehmen. Es war sehr surreal.
Du hast ja bereits gesagt, wie sehr die Umgebung, in der Du Dich befindest, das Songwriting beeinflusst. Wie ist es bei den Aufnahmen, wie groß ist die Rolle des Studios, in dem sie gemacht werden? Nicht rein technisch gesehen, sondern mehr atmosphärisch?
Es spielt definitiv eine Rolle. Ich glaube, ich hatte immer Glück, in großartigen Studios aufzunehmen. Aber ich muss zugeben, als ich David das erste Mal in seinem Studio besucht habe, habe ich ihn hinterher angerufen und gefragt: Würde es dich sehr beleidigen, wenn ich einen professionellen Reinigungsdienst beauftrage, bevor ich das nächste Mal komme? (lacht) Er ist unglaublich, aber es ist sein Studio, er arbeitet dort jeden Tag und er ist ein Mann. Die Toilette war in keinem guten Zustand (lacht). Aber es war okay für ihn.
Auch wenn Deine Songs auch früher schon oft ernste Themen behandelt haben, habe ich das Gefühl, dass es auf „Brutal Romantic“ zum Teil noch etwas düsterer als früher zugeht.
Ja, findest Du? Es stimmt, ich habe schon immer über ernste Themen geschrieben. Aber ich denke, dass es vielleicht der elektronische Sound ist, die Synthesizer, die es etwas unheilvoller klingen lassen. Und ein Song wie „Psychosocial“ soll natürlich verstörend, schließlich handelt er von einem verstörenden Thema. Die Leute denken manchmal, dass ich alles, was ich singe, als ich selber singe und auch so meine. in „Psychosocial“ schlüpfe ich in die Rolle einer Figur und nehme ihre Stimme an. Auf diese Weise kommentiere ich Themen, das heißt nicht, dass ich unbedingt meine persönliche Meinung ausdrücke. Manchmal verstehen Menschen das nicht und sind verwirrt.
War Dir von Anfang an klar, dass „Psychosocial“ der erste Song auf dem Album sein wird? Der ist ja schon eine ganz schöne Ansage. Ich mag das, aber man weiß dadurch nicht wirklich, in welche Richtung das Album gehen wird.
Nein, es war überhaupt nicht klar. Titelreihenfolgen festzulegen ist nicht unbedingt meine Lieblingsaufgabe. Aber „Psychosocial“ ist so besonders und extrem, es fühlte sich einfach nicht richtig an, den Song irgendwo in der Mitte zu haben. Es bringt den Hörer irgendwie durcheinander. Da fanden wir es besser, ihn am Anfang etwas zu verstören und ihn dann mit in den Flow des Albums zu nehmen.
Zu guter letzt, du bist schwanger! Herzlichen Glückwunsch!
Danke!
Ich habe selber zwei Kinder. Wie geht es Dir damit so viel unterwegs zu sein, der Jetlag, die Anstrengung?
Jetlag ist ein Traum im Vergleich zu allem das am Anfang der Schwangerschaft mit mir passiert ist (lacht). Aber es ist ja alles für eine gute Sache, da steht man das durch. Die größte Erleichterung ist, dass es jetzt kein Geheimnis mehr ist. Am schlimmsten ist es am Anfang, wenn einem ständig schlecht ist und man es aber noch niemandem sagen kann. Du versuchst es zu verstecken und erfindest ständig Ausreden. Jetzt kann ich allen Leuten sagen, dass ich ständig etwas essen muss und sie dafür sorgen müssen, dass es jede Menge guter Snacks um mich herum gibt (lacht).
Interview: Gabi Rudolph
Fotos (c) Patrick Fraser