Ich muss als erstes ein Geständnis machen: ich habe mich immer noch nicht ganz daran gewöhnt, dass wir wieder mitten drin im Konzert-Business sind. Ich lebe ständig mit der Sorge eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass die Show, auf die ich eigentlich vor zwei Jahren gehen wollte, gestern stattgefunden hat und ich habe es einfach nicht mitgekriegt. Weil ich bei all den Verschiebungen, Absagen und Neuankündigungen schlichtweg den Überblick verloren habe.
IDLES live zu sehen, stand schon lange auf meiner Bucketlist, und bis es endlich dazu kommen konnte, ging eine rekordverdächtige Menge an Termin- und Venue-Änderungen ins Land und eine Vernunftentscheidung, die mich dazu zwang, eine Gelegenheit zu verpassen. Eigentlich hatte ich geplant, die Band bereits im letzten Frühling in Manchester zu sehen. Die UK Tour wurde jedoch in diesen Winter verschoben, wo sie, so unvorstellbar das klingen mag, dann tatsächlich auch stattfand – nur leider ohne mich. IDLES waren eine der wenigen Bands (vielleicht sogar die einzige?), die im Januar 2022 in Großbritannien Konzerte spielte, als die Pandemie sich auf einem weiteren Höhepunkt befand und Reisen dorthin mit Test- und Quarantänebestimmungen verbunden waren. Es war das einzige Mal, dass ich mir wirklich eine erneute Verschiebung gewünscht hätte. Den Besuch eines Konzertes mit mehreren tausend Menschen konnte sich zu dem Zeitpunkt nur leisten, wer das Risiko einer Corona-Infektion bewusst in Kauf nehmen konnte, und dazu gehörte ich einfach nicht.
Die Frage, warum die Band sich entschlossen hat, die Konzerte trotzdem durchzuziehen, hat mir einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Man kann sie am schlüssigsten damit beantworten, dass IDLES sich ihren Fans extrem verpflichtet fühlen und sich zusätzlich intensiv mit dem Thema Mental Health auseinandersetzen. Der Verlust von Miteinander, Gemeinschaftsgefühl und der Möglichkeit, beim Zusammenkommen mit anderen all den angestauten Dampf abzulassen, war und ist während der Pandemie ein Thema, das einer kritischen Auseinandersetzung bedarf. Wieviel Isolation kann man einem Menschen zum Schutz seiner körperlichen Gesundheit antun und ab wann wiegt die mentale Belastung schwerer? Nur leider schließt eine Konzertveranstaltung unter dürftigen bis nicht vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen mitten in einer Pandemie zwangsläufig den Teil der Fans aus, die, wie bereits oben erwähnt, das damit verbundene Risiko nicht eingehen können oder wollen. Entsprechend wurden viele Tickets storniert, weiterverkauft und am Ende sogar verschenkt. Und von den Umständen besiegt am besagten Abend Zuhause zu sitzen, fand meine Mental Health ehrlich gesagt auch nicht so super.
Von der Stimmung bei den UK-Konzerten wurde dann sehr Unterschiedliches berichtet. Es gab Pöbeleien, Schlägereien und bei manchen Shows im großen Stil geklaute Handys zu beklagen. Und das bei IDLES, einer Band, hinter deren augenscheinlich aggressiven Auftreten die Message von purer Liebe, Akzeptanz und positivem Miteinander steht. Wie geht das zusammen? Hat die Isolation der Pandemie uns verroht und sozial inkompetent zurück gelassen? Oder bedeutet, nach Monaten des Rückzugs plötzlich wieder in die Mitte einer tobenden Menge geworfen zu werden, einfach eine gnadenlose Überforderung? Müssen wir uns langsam wieder herantasten?
Kurz bevor wir uns im letzten Herbst wieder in eine Phase der winterlichen Kontaktbeschränkungen begaben (die uns, wer weiß, vielleicht nun regelmäßig droht), fanden bei uns in Deutschland nach dem 2G Prinzip wieder die ersten Full Capacity Konzerte statt. Für mich bestand wenig Zweifel daran, dass ich Livemusik in ihrer ursprünglichen Form so schnell wie möglich wieder erleben wollte, und auch wenn es vielleicht nur eine Illusion war, fühlte sich die 2G Regelung für mich einigermaßen safe an. Ich habe damals selbst ein wenig gestaunt, wie wenig Überwindung es mich gekostet hat, die Maske abzunehmen und mich wieder in die Menge zu begeben. Das erste richtige Konzert, das ich wieder erleben durfte, war Sam Fender im angenehm überschaubaren Hole44. Ich erinnere mich, wie ich am äußeren Bühnenrand nahe der Eingangstür stand, diese sich öffnete und eine Frau hereinkam, die beim Anblick der wartenden Menge einen Schritt zurücktrat und beinah in Tränen ausbrach. Ich habe sie so sehr gefühlt – ja, es ist eine Überforderung, aber vielleicht die schönste, die es gibt.
Kommen wir aber zurück zu IDLES und damit zum Glück zu einem Happy End. Denn ja, ich habe IDLES inzwischen live gesehen, im ausverkauften Berliner Tempodrom und, so weit sind wir inzwischen, ohne jegliche vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und habe den größten Teil der damit verbundenen Sorge abgelegt. Ich bin in den letzten Wochen wieder zu einer fleißigen, man möchte sagen routinierten Konzertgängerin mutiert, aber das mit über 4.000 Menschen zu Bersten gefüllte Tempodrom flößte selbst mir ungewohnten Respekt ein. Was einem früher als selbstverständlich erschien, fühlt sich im Moment immer noch wie ein riesengroßes Abenteuer an. Schlangen an den Toiletten und Gedränge an der Bar, Menschenmassen, die in den Innenraum strömten bevor dieser geschlossen wurde und sich auf dem Weg Richtung Bühne Körper an Körper aneinander vorbei schoben – vom Oldschool Moshpit in der Mitte und dem schiebenden Pulk ganz vorne an der Absperrung will ich gar nicht reden, so viel Mut konnte ich nicht aufbringen, mich dort hinein zu begeben. Und ein bisschen guilty pleasure ist für jemanden wie mich, die bis jetzt auf wundersame Weise von einer Infektion verschont geblieben ist, auch immer noch dabei. Aber auch ganz viel Dankbarkeit und Glücksgefühl.
Eine IDLES Show ist gewiss kein Kindergeburtstag. Vielleicht bin ich innerlich immer noch ein bisschen sehr mellow, aber die Energie, die Joe Talbot und seine Kollegen auf die Bühne bringen, fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Man fragt sich ein bisschen, warum man so eine diebische Freude dabei empfindet, sich satte anderthalb Stunden lang anschreien zu lassen. Dass es am Ende bei IDLES am Ende vor allem um Liebe geht, ist bestimmt eine Erklärung dafür, auch wenn man es mit einem Liebsten zu tun hat, der anstrengend und laut ist und dem man ab und zu gerne sagen würde, er möge einfach mal die Klappe halten. Eine andere ist, dass dieser Safe Space namens Punk, in dem man alles, was einen ankotzt, einfach rausschreien kann, auf mich eine regelrecht kathartische Wirkung hat. Und der Humor blieb an diesem Abend auch nicht auf der Strecke. Auch wenn er sich in den Momenten, wenn Gitarrist Mark Bowen im Kleidchen beim Bad in der Menge Liebeslieder grölt, ein ganz klein wenig nach Abiball anfühlt.
Ein langer Weg war es, aber ich bin absolut glücklich, dass ich es am Ende erleben durfte. Und das nächste Mal steht quasi vor der Tür! Am 11. Juni werden IDLES beim Tempelhof Sounds in Berlin auf der Bühne stehen. Mein erstes Post-Corona Festival, uiuiui! Ich schraube mich kontinuierlich zurück in den Olymp der Konzertkapazitäten.
P.S. Im ersten Jahr der Pandemie habe ich übrigens mit Joe Talbot gesprochen. Das Interview könnt ihr hier lesen.