Country-Musik, Karohemden und die Weiten der Gebirgswälder Südmissouris – eigentlich könnte Winter’s Bone ein beschaulicher Heimatfilm sein. Wären da nicht der spurlos verschwundene Vater, eine Familie am Abgrund und einige lebensverändernde Entscheidungen…
Regisseurin Debra Granik beschloss, den Roman Winter’s Bone von Daniel Woodrell zu verfilmen, um sich die Geschichte der Ree Dolly und ihrer Lebensumstände endlich selbst vorstellen zu können. Denn Familie Dolly lebt in einem trostlosen Ort, wo die Gemeindemitglieder täglich mit der bitteren Existenzangst kämpfen müssen. Die Einöde lockt mit vielen Fallen, viele nutzen das Drogengeschäft, um über die Runden zu kommen und sind ansonsten auch eher emotional abgestumpft. Für die Mitmenschen gibt es da wenig Mitleid. Doch die 17-jährige Ree bricht mit den vorherrschenden Klischees. Sie möchte mit anderen Mitteln um das Überleben ihrer Familie kämpfen, fern von kriminellen Handlungen. Sie ist eben „eine echte Dolly“, wie sie immer wieder selbst betont.
Bei dem Versuch, in 100 Minuten Film die ganz eigene Atmosphäre des Buches nachzuempfinden, sticht im besonderen die tragende Figur der auf sich gestellten Ree, gespielt von Jennifer Lawrence, heraus. Für die Rolle erlernte sie, neben dem passenden Dialekt, das Jagen, das Holz hacken und sogar das Häuten von Eichhörnchen. Durch diese überaus authentische und auch mutige schauspielerische Leistung lässt sie den Zuschauer in den ausweglos erscheinenden Momenten mitfiebern, -fühlen und -hoffen. Doch wie kam es überhaupt zu all dem Chaos oder auch dem Filmtitel?
Nachdem Vater Jessup auf Kaution frei war, ist er plötzlich unauffindbar. Der Gerichtstermin platzte und nun sollen der Familie Dolly Haus und Hof genommen werden. Da niemand außer Ree etwas dagegen tun kann, zieht sie allein los, um all die zwielichtigen Bekannten und Verwandten ihres drogenkriminellen Vaters aufzusuchen. Nichts als Feindseligkeit, Starrsinn und Drogen für den Heimweg werden ihr entgegengebracht. Die Situation scheint festgefahren, aber bei Ree keine Spur von Verzweiflung. Selbst als es nur noch darum geht, die Knochen des toten Jessup zu finden, um den Beweis der Polizei zu liefern, ist Ree die entschlossene Erwachsene ohne jegliche Angst. Wer sollte ihr auch helfen? Ihre Mutter ist psychisch krank, Ree erlebt sich längst als Mutterersatz für die 6-jährige Schwester und den 12-jährigen Bruder. Doch eine überraschende Wendung erfährt der Film, als der gefährliche Teardrop (John Hawkes), Bruder von Jessup, mit einem Mal Ree zur Seite steht. Nun werden so einige düstere Geheimnisse zu Tage gebracht, was nicht jedem in der Gemeinde gefällt…
Dieses beeindruckende Drama lässt den Zuschauer mit einem bedrückenden Gefühl im Kinosessel zurück. Denn die beschriebenen Ereignisse entbehren nicht vollkommen der Realität. Für die Vorbereitungen auf die Dreharbeiten mischte sich die Regisseurin samt Crew unter die Einheimischen des Drehorts in den Ozark Mountains. So erfuhren sie viel über die wirklich existierende Methamphetamin-Problematik, aber auch über die Liebe zur Musik. Kann man also diesen Film überhaupt gut finden, im Sinne von gut? Sollte man diesen beklemmenden Nachgeschmack auch anderen schmackhaft machen? Aufgewühltheit und viele Fragen, aber zum Glück helfen die Oscars bei der Meinungsbildung: gleich vier Nominierungen gab es in diesem Jahr für den Streifen, der mit einem idyllisch wirkenden Filmposter lockt und die Tiefe nur erahnen lässt.
Gesehen von: Hella Wittenberg