Es könnte alles so schön sein. Eine Gruppe amerikanischer Studenten reist in ein kleines Dorf in Schweden, um in einer abgeschottet lebenden Kommune an einem ganz besonderen Midsommar-Fest teilzunehmen. Einer von ihnen, Pelle, ist in dieser Kommune geboren und aufgewachsen und beschert seinen Freunden die einmalige Möglichkeit, einer sich über mehrere Tage erstreckenden rituellen Feier beizuwohnen, die so nur alle 90 Jahre zelebriert wird.
Dass wir hier mehr als folkloristische Tänze, Essensgelage und Blumenpflücken zu sehen bekommen werden, dürfte inzwischen niemanden wundern, der sich für einen Besuch von Ari Asters neuem Film „Midsommar“ entscheidet. Viel wurde über sein außergewöhnliches zweites Werk geschrieben und geredet, seit seinem US-Kinostart eilt „Midsommar“ der Ruf voraus, der finsterste Horrorfilm des Jahres zu sein – und das obwohl (oder gerade weil) alle Grausamkeiten, die man im Lauf der satten zweieinhalb Stunden Lauflänge zu sehen bekommt, bei hellem Tageslicht stattfinden. Dass Ari Aster es düster, grausam und schräg liebt, zeigte bereits sein erster Film „Hereditary“, die Geschichte einer dysfunktionalen, von Trauer und Schicksalsschlägen gebeutelten Familie, die es buchstäblich mit dem Teufel zu tun bekommt.
Aber selbst für die, die glauben zu wissen was sie erwartet, hält „Midsommar“ einiges an Überraschung parat. So lässt sich Ari Aster bis zum Schluss viel Zeit, die Geschichte auf den Punkt zu bringen. Der Schrecken funktioniert weniger über große, überraschend gesetzte Schockmomente als über eine nach und nach aufgebaute, immer beklemmender werdende Atmosphäre. Zu dieser trägt von Anfang an bei, dass über der Reise nach Schweden, die Christian (Jack Reynor), sein Studienkollege Josh (Will Poulter) und die gemeinsamen Freunde Mark (William Jackson Harper) und Pelle (Vilhelm Blomgren) planen, von Anfang an ein unerwartet düsterer Schatten liegt. Christians Freundin Dani (Florence Pugh), von der er sich aufgrund ihrer immer belastender werdenden psychischen und familiären Probleme eigentlich trennen wollte, ereilt ein schwerer Schicksalsschlag, durch den sie als Vollwaise zurückbleibt. Spontan entschließt sie sich deshalb, die Freunde auf ihrer Reise zu begleiten, eine Vorstellung, die niemanden besonders begeistert. Aufgrund ihrer psychischen Verfassung traut Christian sich aber nicht, Dani die Idee auszureden. Allein Pelle, der ursprünglich aus der schwedischen Gemeinde stammt zu der die Reise gehen soll, begrüßt Danis Entschluss und ermutigt sie, sich der Gruppe anzuschließen.
Doch statt der erhofften Idylle gestaltet sich die Begegnung der Amerikaner mit den Bewohnern der Gemeinde von Anfang an seltsam. Hier bemüht Ari Aster sich auch nicht, die fragwürdige Stimmung, die in dem schwedischen Dorf herrscht, zu verschleiern. Das ist vielleicht mit das Überraschendste an „Midsommar“: die für das Genre sonst typische Fallhöhe zwischen Erwartung und Realität bleibt aus. Ein Bär in einem Käfig, Wandmalereien, die nur auf den ersten Blick romantisch wirken, allein das Auftreten der Dorfbewohner, die schweigsame, verlangsamte Art in der die (anfangs noch harmlosen) Rituale vollzogen werden – es herrscht von Anfang an kein Zweifel, dass hier etwas faul ist. Spannung entsteht mehr dadurch, wie die Besucher immer wieder versuchen, ganz weltoffene Anthropologie-Studenten, den Sonderbarkeiten, mit denen sie zunehmend konfrontiert werden, als Bestandteil einer fremden Kultur offen gegenüber zu stehen.
Wer von „Midsommar“ ein Schlachtfest an Schreckensmomenten und Gemetzel erwartet, der dürfte tatsächlich irritiert bis enttäuscht sein. Zeitweise strecken sich die Geschehnisse quälend langsam dahin. Dafür überrascht Ari Aster immer wieder mit bitterem Humor und dem Willen, jeder Szene eine Bedeutung zu verleihen, bis sich die Puzzleteile zum schrecklichen Ende zusammenfügen, welches wiederum hält, was die Vorschusslorbeeren für „Midsommar“ versprechen. Gleichzeitig funktioniert der Film auch als die Geschichte einer schrecklich dysfunktionalen Beziehung – manchmal sind die Dialoge zwischen Dani und Christian schwerer zu ertragen als das Zertrümmern eines Schädels mit einem Holzhammer – und dem Versuch der Befreiung aus dieser. Dass dieser Aspekt so packend gerät, ist vor allem dem grandiosen Spiel von Florence Pugh zu verdanken. Und auch sonst beweist Ari Aster erneut, wie meisterhaft er das Spiel mit Genreklischees und dem gleichzeitigen Bruch mit diesen beherrscht. So ist es zum Beispiel fast schon eine Freude, wie, ganz entgegen den gängigen Horrorfilm-Klischees es nicht die Frauen sind, die sich die unvermeidliche sexuelle Ausbeutung gefallen lassen müssen.
„Midsommar“ ist ein Film, der mit den Erwartungen des Publikums spielt, mit dem Spaß, sie gleichzeitig zu brechen und zu erfüllen. Die Langsamkeit, die landschaftliche Schönheit, das Sonnenlicht, das darin stattfindende Grauen – man mag vielleicht unmittelbar danach nicht sagen können, was man von all dem halten soll. Aber man wird es auch nicht schaffen, die Atmosphäre und die Geschehnisse so ohne weiteres abzuschütteln. Unter Umständen wacht man erst ein paar Tage später auf und stellt fest, was für einen schrecklich guten Film man gesehen hat.