Gesehen: “Baby To Go” von Sophie Barthes

Die Frage, welche Bereiche unseres alltäglichen Lebens von der Globalisierung, dem technischen Fortschritt und dem zunehmenden Drang der Menschhet nach Bequemlichkeit beeinflusst werden, ist ein Gedankenexperiment, das man lange weiterspinnen kann. Bildung, Gesundheit, Fortbewegung, alles wird zunehmend modernisiert, digitalisiert und kommerzialisiert. Die französisch-amerikanische Regisseurin Sophie Barthes („Cold Souls“, „Madame Bovary“) wagt es in ihrem neuen Film “Baby To Go”, dieses Gedankenexperiment sogar noch einen Schritt voranzutreiben und setzt das Ursprünglichste, Natürlichste, den Grundbaustein unserer Zivilisation schutzlos dem Kapitalismus aus, nämlich das Zeugen, Austragen und Gebären eines menschlichen Kindes.

Die Rahmenhandlung des Films ist in ein futuristisches, aber nicht allzu weit entfernt liegendes New York gesetzt, wo Spaziergänge in der Natur von Hologrammen in sogenannten “Nature Pods” ersetzt werden, wo man für ein paar Atemzüge von durch Pflanzen gereinigte Luft bezahlen muss und wo Therapeuten von künstlichen Intelligenzen abgelöst wurden. Ja, künstliche Intelligenzen sind nun fast überall zu finden, sie steuern den gesamten Haushalt, kochen morgens den Kaffee und überwachen ständig den eigenen physischen und psychischen Zustand.

In dieser Gesellschaft vertreten Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor), die seit vielen Jahren eine glückliche Beziehung führen, trotz vieler Gemeinsamkeiten völlig unterschiedliche Standpunkte. Rachel arbeitet als erfolgreiche Führungskraft in einem Technologieunternehmen und Alvy ist passionierter Botaniker, einer der letzten seiner Art. Ihre unterschiedlichen Ansichten über den Einfluss, den künstliche Intelligenzen auf das Privatleben haben sollten, sorgen für viele Debatten, besonders als sich ihnen die Möglichkeit bietet, in einem sogenannten “Womb Centers” ein Kind in einem sogenannten “Pod” großzuziehen. Das “Womb Center” porträtiert gewissermaßen die Utopie der arbeitenden, ambitionierten Frau, denn die Firma ermöglicht es einem, ein Kind zu bekommen, ohne seine Karriere zu gefährden oder drastische Änderungen am eigenen Körpers in Kauf zu nehmen. Die kostspielige Aufzucht eines Babys in einem Pod wird mit einer App gesteuert und erinnert dabei ein wenig an das Großziehen eines Tamagotchis oder Pokemons.

Es ist herzzerreißend mit anzusehen, wie Rachel und Alvy auf charmant unbeholfene Weise versuchen, eine Bindung zu ihrem ungeborenen Kind aufzubauen und dabei die Vor- und Nachteile des stark entfremdeten Schwangerschaftsprozesses entdecken. “Baby To Go” folgt dabei nicht den für futuristische, apokalyptische Filme typischen Handlungsstrang. Es erfolgt keine Rebellion, keine hetzerischen Reden, kein Aufbrechen der gesellschaftlichen Strukturen im großen Stil. Rachel und Alvy versuchen nicht, die Stimmen einer Generation zu werden, sie wollen ihr eigenes, persönliches Familienglück finden. Da es bis auf die Geldgier der Menschen und die Kommerzialisierung jedes Lebensaspekts keinen personifizierten, klaren Antagonisten gibt, wirkt der Film oft erschreckend realistisch, da es heutzutage auch schwer ist, mit dem Finger auf die eine Person zu zeigen, die Schuld an der Klimakrise oder dem wachsenden Kapitalismus hat.

Zugegeben, die beiden Protagonist*innen sind filmisch auf das Mindeste beschränkt. Wir kennen nicht einmal ihre Nachnamen, und somit fungieren sie im Grunde nur als Hüllen, Objekte mit oft strukturiert gegensätzlichen Ideologien, instrumentalisiert, um die Debatte in Gang zu bringen. Auch fokussiert sich der Film ausschließlich auf eine wohlhabendere Gesellschaftsklasse. Wie es den Menschen geht, die sich den Luxus des KI gesteuerten Lebens nicht leisten können, wird nicht beleuchtet.

Nichtsdestotrotz hat Sophie Barthes mit ihrem neuesten Film “Baby To Go” einen wichtigen Beitrag zu einer relevanten und aktuellen Debatte geschaffen, den es sich unbedingt lohnt anzusehen.

“Baby To Go” startet am 11. Januar 2024 in den deutschen Kinos.