Gelesen: Helene Hegemann „Bungalow“

Dass Helene Hegemann ein großes Talent ist, steht völlig außer Frage. Mit 14 schrieb sie das Drehbuch für ihren ersten Film „Torpedo“, mit 15 verfilmte sie es. Mit 17 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Axolotl Roadkill“, den sie 2015 selbst unter dem Titel „Axolotl Overkill“ verfilmte. Der Film feierte seine Premiere beim legendären Sundance Film Festival in Utah.

Als intellektuelle Rotzgöre könnte man Helene Hegemann vielleicht beschreiben, im positivsten Sinne natürlich. Zu ihrer Produktivität und ihrem Talent gesellt sich eine gewisse Stinkefinger-Haltung. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Plagiatvorwürfe, die zu ihrem Debütroman „Axolotl Roadkill“ laut wurden, relativ unbeschadet an ihr abprallten. Zum Ideenklau bekennt sie sich recht freimütig, die Frage scheint auch eine grundsätzliche, wo die Inspiration aufhört und der Diebstahl beginnt. Ihrer „Ich muss euch nix beweisen“-Haltung scheint viel Wahrheit inne zu wohnen. Heute ist Helene Hegemann 26 Jahre alt und ihr neuer, dritter Roman „Bungalow“ schaffte es direkt auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2018.

Auch in „Bungalow“ ist Helene Hegemanns Perspektive die, von ihr meist eingenommene, einer beschädigten Seele. Die Erzählerin Charlie, zu Beginn 12 Jahre alt, lebt mit ihrer Mutter, einer manisch depressiven Alkoholikerin, in einer Siedlung, in der Sozialbauwohntürme auf die titelgebenden Bungalows der Besser Gestellten blicken. In eines dieser Bungalows ziehen eines Tages Maria und Georg, ein Schauspielerehepaar, die für Charlie zum Sehnsuchts-, später zum Lust- und Liebesobjekt werden. „Bungalow“ ist eine brutale Coming-of-Age Geschichte, die Erzählung einer gescheiterten Jugend zwischen Alkohol, Pornografie und seelischer Verlorenheit. In Charlies Leben gibt es keinen Halt, sie hat einen einzigen Freund, Iskender, mit dem sie nach der Schule abhängt, weil das nach Hause kommen zur Mutter jeden Tag aufs Neue eine Bedrohung darstellt. Sie verliebt sich in ihre glamourösen neuen Nachbarn, buhlt mit der Besessenheit einer Stalkerin um deren Aufmerksamkeit. Der Anfang nimmt vorweg, dass Charlie irgendwann dort ankommen wird, beim Sex mit Georg, vornübergebeugt auf einer Waschmaschine, während Maria im Nebenzimmer ist. Aber was für ein Ankommen soll das sein?

Man muss sich die Unterhaltung bei Helene Hegemann schon verdienen. Die ersten knapp 50 Seiten von „Bungalow“ sind wirr, überambitioniert, streckenweise schwer zu ertragen. Ob man da jetzt mitkommt oder nicht, scheint die Autorin wenig zu interessieren. Aber immer wenn man an dem Punkt ist, an dem man das Buch am liebsten in die nächste Ecke pfeffern möchte, tun sich wieder Szenen von unbestreitbarer Intensität auf, die einen zum Weiterlesen regelrecht zwingen. Fast ein bisschen wie eines von diesen RTL II Nachmittags-Dokudramen, aber natürlich in literarisch anspruchsvoll. Ein Ort, an dem man Menschen begegnet, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Und gerade diese Fremdheit, dieses „Das-tangiert-mich-eigentlich-gar-nicht“, macht dann doch wieder den Reiz aus und hindert einen am Wegschalten.

Die stärksten Passagen sind eindeutig die, in denen es rein um den Kampf zwischen Mutter und Tochter geht. Hegemanns Mutter starb als sie 13 Jahre alt war, die Vermutung liegt nah dass sie weiß, wovon sie erzählt. Darüber hinaus will sie oft leider einfach zu viel. Charlies Beziehung zu Maria und Georg bleibt unklar, obwohl sie einem zu Beginn, bevor man überhaupt weiß worum es hier gehen soll, beider Lebensgeschichten vor den Latz knallt. Dazu kommt die Ebene einer Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet, eine mysteriöse Welle von Selbstmorden erschüttert die Republik, von einem Krieg und der Zeit danach ist die Rede. Auch hier wird das meiste nur angedeutet, was mit Sicherheit so gewollt ist, insgesamt aber eher ablenkt von dem Motiv, das die wahre Wucht des Romans ist: die Verzweiflung einer Jugendlichen, die ihr Zuhause und ihre Mutter nicht als Ort der Zuflucht, sondern als Bedrohung, körperlich wie emotional empfindet. Wenn Helene Hegemann sich voll darauf konzentriert hätte, diese Qual sogar noch weiter auf die Spitze getrieben hätte, „Bungalow“ hätte von kaum erträglicher Intensität sein können. Aber so direkt wollte sie wohl nicht sein. Sie scheint es zu mögen, ihre Leser an der Nase hier und dorthin zu führen. Das spricht aber schon wieder für ihre künstlerische Eigenständigkeit, und was ihren literarischen Stil angeht, macht man der 26 jährigen so schnell nichts vor. Um ein gewisses Gefühl von Ratlosigkeit, das mit der Lektüre von „Bungalow“ einher geht, kommt man auf jeden Fall nicht herum. Auf der anderen Seite wäre es aber auch langweilig, wenn man immer jeden Gedanken zu Ende gedacht serviert bekommen würde.

Info: „Bungalow“, der dritte Roman von Helene Hegemann, ist im Hanser Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.

Gelesen von: Gabi Rudolph

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