Gelesen: Bela B Felsenheimer „Scharnow“

Die Ärzte Schlagzeuger Bela B Felsenheimer hat einen Roman geschrieben. „Scharnow“ heißt das gute Stück und ist, was niemanden so wirklich überraschen dürfte, eine ziemlich verrückte Geschichte geworden. Wenn man zum Einstieg das fünfseitige Orts- und Personenverzeichnis durchliest, wird einem glatt ein bisschen schwindelig. Ob es selbst dem aufmerksamen Leser gelingen wird, hier den Überblick zu bewahren?

Es treten unter anderem auf: ein syrischer Supermarktpraktikant, ein Bund von Verschwörungstheoretikern, ein krebskranker Superheld, ein 17 jähriges Mädchen mit einer Leidenschaft für Mangas, eine Männer-WG inklusive heimlichem Strumpfhosenträger, eine Pornodarstellerin, der ehemalige Kater von Gregor Gysi und, omnipräsent, Rex Gildo. Alles dreht sich um einen schicksalhaften Tag X, der Hauptort der Handlung ist das brandenburgische, fiktive Dorf Scharnow. Wenn es schon so viele Personen gibt, dann legt das die Vermutung nahe, dass auch eine Menge passieren wird. Das tut es, in der Tat.

Ein Supermarkt wird von einer Gruppe nackter Betrunkener überfallen. Zwei Brüder liefern sich ein tödliches Shoot-Out im Hausflur eines Plattenbaus. Ein Bund von Verschwörungstheoretikern ordnet ein Attentat auf einen Hund an. Ein bis dato versteckt lebender Superheld gibt nach einer Krebsdiagnose seine Tarnung auf und fliegt randalierend durch die Lüfte. Mittendrin werden natürlich zarte Liebesbande geknüpft. Und ein sehr alter Mann fungiert als Seelenparkplatz für all die, die in diesem Chaos ihr Leben lassen müssen.

Zusammenhängender muss man die Handlung nicht darlegen, denn wie das alles zueinander in Beziehung steht, wirkt erst einmal nebensächlich – allerdings nur auf den ersten Blick. Natürlich darf man von „Scharnow“ keinen allzu tiefschürfenden Spaß erwarten. Aber je weiter das Chaos voranschreitet, umso mehr fällt einem auf, dass es nur vordergründig ein solches ist. Hier passiert viel Blödsinn, wenig davon aber zufällig. Wie Charaktere immer wieder auftauchen und plötzlich in neuem Bezug zueinander stehen, wie Handlungsfäden aufgehoben und an späterer Stelle fortgeführt werden, das ist absolut klug und umsichtig gemacht. Hinzu kommen das nahezu halsbrecherische Tempo, die absurd witzige Erzählsprache und immer wieder kehrende Seitenhiebe auf das Leben in der ostdeutschen Provinz, die zum Teil wirklich urkomisch sind. So zum Beispiel die Enthüllung, dass die führenden Rechtsdenker des Ortes ihr zweifelhaftes Gedankengut nur vorschützen, um den gegen die Eltern rebellierenden Nachwuchs auf die richtige Bahn zu lenken. In Zwischenspielen erfahren wir außerdem, wie der fliegende Superheld ein solcher wurde und warum der erfolgreiche Güllemillionär des Ortes sich mit einem Haustierzirkus nach Kanada abgesetzt hat. Gut, eine allzu erhellende Auflösung des Ganzen darf man am Ende nicht erwarten, und der eine oder andere Handlungsstrang fällt dann doch ein wenig hinten runter. Aber bis einem das auffällt, hat man schon eine Menge Spaß gehabt.

Es mag durchaus sein, dass jemand, der nicht zufällig Bela B Felsenheimer und damit selbst ein Stück personifizierte Popkultur ist, mit diesem Debüt nicht durchgekommen wäre. Aber das ist auch in Ordnung. „Scharnow“ ist ein Roman, der die Sprache und den Geist seines Schöpfers nahezu in Perfektion atmet. So viel Persönlichkeit muss man erst einmal haben, um so viel Unfug im derart überzeugenden Stil zu verkaufen.

Info: „Scharnow“ von Bela B Felsenheimer ist bei Heyne Hardcore erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier. Ab nächste Woche ist Bela B Felsenheimer auf großer Lesetour, die meisten Termine sind bereits ausverkauft. Infos und Tickets:

http://www.bela-b.de/scharnow