Emily Haines ist die Frontfrau und das Herz der kanadischen Indie-Rock-Band Metric, sie veröffentlicht Solo Alben unter dem Namen Emily Haines & The Soft Skeleton, und wenn sie dann noch etwas Zeit übrig hat, ist sie nach wie vor Teil des Bandkollektivs Broken Social Scene. Besser als stricken, meint Emily, als ich sie in Berlin treffe, um mit ihr über das siebte Metric Album „Art Of Doubt“ zu sprechen. Darüber, warum es so wichtig ist auf den Zweifel zuzugehen. Und über 20 Jahre Karriere als unabhängige Künstlerin. Man würde sich gerne verneigen, wenn Emily Haines einem nicht so wunderbar angenehm auf Augenhöhe begegnen würde.
Letztes Jahr beim Reeperbahn Festival hast du in der Anchor Award Jury gesessen. Du hast damals eine sehr schöne Rede gehalten, darüber wie wichtig es ist, auch die seltsame Seite des eigenen Ichs anzuerkennen, das Verrückte in einem selbst. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich mag es, wenn starke Frauen wie du sich dafür aussprechen, wie wichtig es ist, dass man sich traut man selbst zu sein.
Oder überhaupt ein „selbst“ zu haben. Das ist der Anfang. Die Leute realisieren das manchmal nicht. Man muss immer wieder Opfer und Kompromisse machen – man bezahlt einen Preis! Also musst du wissen wer du bist. Ich glaube, deshalb habe ich eine zwanzig jährige Karriere als Musikerin.
Zwanzig Jahre sind es schon? Unglaublich.
Vor zwanzig Jahren haben Jimmy (Shaw) und ich uns auf diese Reise gemacht. Ich weiß nicht, ob man die ersten Jahre wirklich mitrechnen kann, in denen man nichts verdient und von nichts gelebt hat. Aber die Entscheidungen, die ich in der Zeit gemacht habe, an die habe ich mich bis heute gehalten. Seit zehn Jahren leben wir alle von unserer Band, das ist für mich das Größte, das wir erreichen konnten. Und wir halten immer noch unser Schicksal selbst in der Hand, kontrollieren alles, was mit uns als Band passiert. Mal besser, mal schlechter. Es ist nicht so, dass wir nicht auch ständig Sachen vermasseln (lacht). Aber es ist auf jeden Fall eine Entscheidung, ob man mit der Gesellschaft immer konform gehen will und ob sich das am Ende lohnt.
Metric sind und waren, wie du schon sagtest, immer auf ihrem eigenen Label. War das eine klare Entscheidung, oder habt ihr zwischendrin auch nach anderen Möglichkeiten gesucht?
Oh nein, wir sind damals in die Sache rein wie wahrscheinlich jeder andere, mit großen Hoffnungen auf einen Plattendeal. Zum Glück hatten wir diese ganzen Meetings sehr früh und haben einen sehr klaren Eindruck davon bekommen, wie die Dinge funktionieren. Ein Meeting hat sich mir besonders eingeprägt, da wollte man mir sagen ich könnte die nächste Macy Gray werden… ich dachte, das seht ihr, wenn ihr mich anseht? Dann habt ihr definitiv nicht erkannt wer ich bin. Wir hatten immer mal wieder solche Treffen, um zu sehen ob die Dinge sich vielleicht geändert haben. Seitdem ich als Musikerin arbeite, haben sich viele Dinge ja enorm geändert, zum Beispiel was das Streaming angeht. Wir führen immer mal wieder solche Gespräche. Ich glaube aber, dass es eine frühe, wegweisende Entscheidung war, unabhängig zu bleiben. Wenn man sich mit einer großen Firma einlässt, steckt dahinter ja meist der Wunsch, dass einem Dinge abgenommen werden, dass man sich selbst nicht um so viel kümmern muss. Das stimmt leider einfach nicht, es ist nur eine Frage wann du dich kümmerst. Entweder jagst du dein Leben lang Leuten hinterher, um herauszufinden wo dein Geld ist und was sie für dich tun, oder du akzeptierst, dass manche Dinge dir vielleicht Kopfschmerzen bereiten werden, aber dann sind es deine eigenen Kopfschmerzen. Natürlich gibt es einen großen, administrativen Apparat, den du verwalten musst. Aber wenigstens muss ich keinem Typen hinterher rennen, der mir sagen soll wer ich bin.
Die Änderungen im Musikbusiness, die du bereits angesprochen hast, wie Streaming zum Beispiel – kommen die einem zugute, wenn man wie ihr sein eigenes Label führt?
Ich glaube, ja. Es hat uns geholfen, anpassungsfähiger zu werden. Unser Manager ist juristisch sehr fit, er kümmert sich um all das, wofür ich weniger Gespür habe. Durch das Streaming und dadurch, dass wir unser Timing selbst bestimmen, können wir Dinge kurzfristig hin und her bewegen. Nicht ohne dass es Umstände macht, aber wir können uns den Begebenheiten anpassen. Im Gegensatz zu den großen Maschinerien, innerhalb derer es ewig dauern kann, bis ein Memo durch ist.
Ihr scheint eure Pläne auch tatsächlich ab und zu zu ändern. Eigentlich hattet ihr mit LP 7 ja etwas anderes vor.
Ja… das haben wir tatsächlich völlig vergessen, bis wir mit der Pressearbeit zu diesem Album angefangen haben und ein Interviewer uns daran erinnert hat. Ach ja, da war ja was! (lacht) Wir hatten uns ursprünglich ein großes Konzept überlegt. Auf unserem letzten Album „Pagans in Vegas“ gibt es ja keine Gitarren. Also hatten wir die Idee, kurze Zeit später ein Album raus zu bringen, das das absolute Gegenteil ist, auf dem wir mit nichts arbeiten, das es nicht schon vor 1980 gab, nur organische Instrumente. Wir haben diese Platte auch wirklich gemacht. Das war eine gute Übung, aber es war nicht wirklich Metric. Die Idee war, die beiden Seiten von Metric auf zwei Alben zu verteilen, aber dann dachten wir nein, lass sie uns lieber wieder zusammen fügen. Diese Musik existiert, und ich weiß, irgendwann wird sie das Licht der Welt erblicken. Einen der Songs haben wir mit einem 60 köpfigen Orchester aufgenommen, einen mit einer Bläserformation aus New Orleans. Wir haben wirklich interessante Sachen gemacht, viel Neues ausprobiert, was ein guter Prozess war. Aber das Album das wir jetzt gemacht haben war genau das Album, das wir machen mussten. Wir vier, alle in einem Raum, einfach wir selbst sein. Es ist gut wenn man Risiken eingeht und Dinge ausprobiert, aber jetzt war es Zeit, dass wir die Band sind die wir sind, und das sind wir am stärksten, wenn wir uns als Liveband auf Band festhalten.
Damit wäre eindeutig bewiesen, dass bei Metric die Gitarren und die Synthesizer einfach zusammen gehören.
Absolut. Es war ein großartiger Prozess, eine Identitätsfrage, die wir erforschen mussten.
Du bist ja unglaublich produktiv. Dein letztes Emily Haines & The Soft Skeleton Album ist gerade mal ein Jahr her. Und es ist so anders als das, was du mit Metric machst.
Ja, auf diese Weise fühle ich mich angenehm herausgefordert. Metric wird immer der Hauptfokus sein, zu dem ich stets zurück komme, aber was soll ich denn sonst in der Zwischenzeit tun? Stricken? (lacht)
Stricken ist großartig! Du solltest es probieren.
Ich habe das gerade so sarkastisch gesagt, aber ehrlich gesagt wäre es perfekt für meinen Lebensstil. Diese langen Stunden die man auf Reisen verbringt. Das würde einen sehr langen Schal ergeben.
Stattdessen machst du so Sachen wie zwischendrin spontan mit Broken Social Scene auf Europatour zu gehen, wie vor zwei Jahren im Sommer. Man sagt, du wärst quasi in letzter Minute in den Bus gesprungen.
Das stimmt! Das hat Spaß gemacht. Es war gut, dieses Gefühl noch einmal zu haben.
Wann habt ihr denn dann überhaupt angefangen, an diesem Metric Album zu arbeiten?
Ich glaube, das war Anfang letzten Jahres. Ich bin nicht so gut mit Daten. Aber es war insgesamt ein schneller Prozess. Wir haben sehr viel Zeit für die Vorbereitungen gebraucht, aber die Aufnahmen gingen am Ende relativ schnell.
Hattet ihr mit diesem Album ein genaues Ziel vor Augen, das ihr verfolgen wolltet? Oder ist das immer ein Prozess, der einen am Ende überrascht?
Wir hatten bei diesem Album kein großes Gesamtbild im Kopf, das wir erreichen wollten. Wir wussten aber: das sind die Songs, die wir haben. Sieben oder acht von denen, die wir hatten, haben es am Ende nicht auf das Album geschafft, aber wir haben an allen gleichermaßen gearbeitet. Unser Ziel war ganz einfach, als Band die Songs zu spielen, das hat unsere Arrangements beeinflusst. Ich präsentiere der Band immer sehr rohe Versionen, mit denen wir ganz von vorne anfangen. Wir haben sie alle gleichermaßen aufgebaut, einige fallen dann wieder weg und die, die übrig bleiben sprechen für sich selber. Aber selbst dabei kann man nicht wirklich sagen, wie genau am Ende alles zusammen kommt.
Und woher kam die Entscheidung, euch dieses Mal nicht selbst zu produzieren?
Für mich ist die treibende Kraft das Songs schreiben, für Jimmy als Producer etwas zu entwickeln, das Studio aufzubauen und die Klangwelten entstehen zu lassen. Bei diesem Album ist ihm aber bewusst geworden, dass er zuletzt als Gitarrist völlig unterrepräsentiert war. Er hat sich quasi selbst aus seiner eigenen Band entfernt. In der Produktion unseres letzten Albums kam die Gitarre nicht mehr vor. Also hat er sich mehr als Produzent eingebracht, aber die Leute wollen auch Jimmy, den Gitarristen. Also ist ihm klar geworden, dass er jemanden braucht, der ihm im traditionellen Sinne sagt: ich behalte den Überblick, du spielst einfach Gitarre. Und so haben wir es gemacht.
Als Songschreiberin, weißt du da von vorne herein welcher Song ein Metric Song sein wird? Und welcher besser in deine Soloarbeit passt?
Nein, das sehe ich erst mit der Zeit. Manche enden auch in Filmen oder ganz anderen Projekten. Ich schreibe einfach Songs, über mehr mache ich mir erst einmal keine Gedanken.
Und weißt du dann überhaupt, ob der Song am Ende ein Rocksong wird oder eine Piano-Ballade?
Nein, das ist genau der Punkt! Du würdest so überrascht sein. „Art Of Doubt“ zum Beispiel, der schnellste, rockigste Song auf dem Album überhaupt, den habe ich 2016 in Berlin geschrieben, und er war ursprünglich sooo langsam. Bei Metric werden meine Songs ja immer im Tempo ordentlich hoch getrieben, aber der bricht darin wirklich alle Rekorde. Er wurde komplett verwandelt. Ich habe dazu gesagt: das ist wie wenn wir etwas Festes in etwas Gasförmiges verwandeln. Der Song wurde buchstäblich gekocht, hat sich verflüssigt und wurde zu einem ganz anderen Element.
Ich finde jetzt ist aus ihm das Energiezentrum des Albums geworden!
Und der Titel!
Wobei der ja länger nicht fest stand, oder?
Ja, wir lassen uns zwar auch gern etwas mehr Zeit bis wir etwas verkünden, aber diesmal hat es wirklich länger gedauert. Zusammen mit dem Cover hat er dann aber total Sinn gemacht. Uns war wichtig dass es nicht perfekt ist, mehr eine Geste, fast ein bisschen frustrierend. Nicht poliert und gephotoshopt, so wie die Leute sich heutzutage oft präsentieren. Das ist so stumpf.
Hat sich die Inspiration, aus der ein Song für dich entsteht, mit den Jahren verändert?
Nein, der Vorgang ist immer noch der gleiche. Ich öffne mich dem, was um mich herum passiert, filtere es und versuche mich selbst so verletzlich wie möglich zu machen. Immer auf den Zweifel zuzugehen, mit der Unsicherheit zu spielen. Das von ganz tief unten auszugraben und mein Herz auf einem Tablett zu präsentieren. Dann das Tempo anziehen, es möglichst laut machen – und da sind wir! (lacht) Es ist das beste Heilmittel gegen Depressionen.
Interview: Gabi Rudolph