Ein Gespräch mit Peaches über das Leben, die Liebe und den Zustand der Welt

Das lange Osterwochenende hat gerade begonnen, und dank einer Verknüpfung glücklicher Umstände läute ich es damit ein, mich über Zoom mit Peaches zu unterhalten, während meine Kinder nebenan Ostereier färben und mein Mann die Küche renoviert (am Vortag hat er sich dabei eine Fingerkuppe abgesäbelt, aber das ist eine andere Geschichte). Am Ende unserer Unterhaltung gebe ich zu, dass ich mir heimlich vorgestellt habe wie sie am Peniskreuz hängt, so wie damals in ihrer Show „Peaches Christ Superstar“, in der sie das Andrew Lloyd Webber Musical „Jesus Christ Superstar“ solo auf die Bühne brachte. Sie lacht nachsichtig und erzählt mir, dass sie die Show früher oft um die Osterzeit herum gespielt hat. 

Im Moment spielt Peaches leider gar keine Shows, wie die meisten verbringt sie viel Zeit in ihrer Wohnung und nutzt die ungewohnte Ruhe, um ein neues Album zu schreiben. Kürzlich hat sie ihre Single „Pussy Mask“ veröffentlicht, die auf Jack Whites Label Third Man Records erschienen ist – die Zeit verfliegt so schnell und unser Gespräch verläuft in eine ganz andere Richtung als geplant, ich komme noch nicht einmal dazu ihr zu sagen, wie verdammt cool das ist.

Seit mehr als einem Jahr leben wir nun mit den Einschränkungen einer globalen Pandemie und ich hoffe Peaches sieht mir nach, dass ich (nicht nur deshalb) mich nicht mehr in der Lage fühle, das klassische Frage-Antwort-Spiel zu spielen. Stattdessen unterhalten wir uns einfach sehr angeregt. Über die Pandemie, den Zustand der Welt, jüdische und katholische Herkunft, persönliche Verluste und – nicht zuletzt – über Hoffnung für die Zukunft. 

An Karfreitag herrscht ja Tanzverbot – ich finde, das ist genau der richtige Tag, um mit Dir zu reden. Eine wunderbare Rebellion gegen meine katholische Herkunft. 

Oh, du bist katholisch aufgewachsen? Großartig.

Ja, in Bayern auf dem Land. Sehr katholisch.

In meiner jüdischen Welt feiern wir das Pessachfest. Es ist ungefähr zur selben Zeit, man feiert das letzte Abendmahl. Interessant ist, dass wir dieses Jahr, wegen der ganzen Situation, Zoom und blabla, zwar zusammenkommen, aber nicht das traditionelle Familienessen machen konnten. Da wird das normalerweise alles durchexerziert, der Auszug aus Ägypten und all das. Man singt Lieder, es ist super nationalistisch. Aber dieses Jahr haben wir einfach zusammen abgehangen. Nach dem Motto: Was macht ihr gerade? Wie geht’s euch so? Das war schön, einfach zusammen abhängen. 

Wir werden am Sonntag mit den Kindern Ostereier suchen.

Wie alt sind deine Kinder? 

Meine Tochter wird im Sommer 16, mein Sohn ist 9. Sie sind ein ganzes Stück auseinander, verstehen sich aber gut. Sie machen immer noch gerne den ganzen Kinderkram zusammen.

Das ist besonders.

Ich muss sagen, in der Beziehung geht es uns sehr gut. Keine Familiendramen, das kommt uns in der Pandemie sehr zugute. 

Hast du eine*n Partner*in?

Ja, ich bin seit 18 Jahren in einer monogamen Beziehung. Das hatte ich nicht so geplant. Auch nicht zwingend mit einen Mann.

Verstehe. Aber hey, was immer für einen funktioniert ist okay! Es ist komisch, in der queeren Community wird das manchmal ein bisschen belächelt. Das ist auch nicht fair. Ich glaube, die Community müsste noch offener sein. Manchmal ist sie das nicht. Wenn du so sein kannst wie du sein willst, das ist doch großartig! Ich glaube im Moment ist es wichtig, dass wir genau auf Nuancen schauen. Uns individuelle Situationen ansehen und nicht in Schubladen denken: so bist du und so ist das… verstehst du was ich meine? Ich erinnere mich, ich habe mal ein großes Interview gemacht, als ich gerade in einer Beziehung mit einem cis Mann war. Und die waren so: „ach soooo, du lebst mit einem cis Mann zusammen…“ (zieht eine Grimasse)

Wow, das ist schräg. 

Ja.

Du bist in Berlin, richtig?

(sieht sich in ihrer Wohnung um) Ja, ich denke man sieht es, oder?

Es sieht sehr nach Berlin aus. 

Wo bist du?

Auch in Berlin.

In unserem Haus sind sehr viele Paare, die alle ein oder zwei Töchter im Alter von um die acht Jahren haben. Alle (lacht). Es ist lustig, alle sind ein bisschen gleich.

Bist du froh, gerade in Berlin zu sein?

Ja. Na ja, es ist sicher. Ich hätte nur gerne die Impfung (lacht). Das ist ein bisschen frustrierend. 

Letztes Jahr als es los ging war ich froh, in Deutschland zu sein. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Ja, absolut.

Am Anfang hatte ich das Gefühl, wir machen das richtig gut.

Ich finde wir waren ein bisschen arrogant, oder? So nach dem Motto: guck dir Italien an, guck dir Spanien an…

Hast du durch die Pandemie jemanden verloren? Mein Vater ist letztes Jahr im April an COVID gestorben.

Wirklich? Wow… wie? Ich meine, das tut mir so leid. Wie hat er es bekommen?

Meine Eltern waren in einem Heim. Sie haben es beide gekriegt. Meine Mutter hatte sechs Wochen lang ein bisschen Fieber, mein Vater ist innerhalb einer Woche gestorben.

Wow. Das ist wirklich heftig. Mein Vater ist 2018 an Krebs gestorben. Das ist auch sehr schnell gegangen. Ich meine, nicht so schnell wie bei deinem Vater, aber gerade mal zwei Monate. Und meine Schwester, die drei Jahre älter als ich war, hat am Anfang der Pandemie Krebs bekommen. Es war nicht COVID, aber wir hatten die gleiche Probleme was Besuche anging, anfassen, lieb haben… meine Mutter und ich hatten noch Glück. Sie lebt in Kanada, meine Schwester hat in New York gelebt. Wir haben die Erlaubnis vom Arzt bekommen zu ihr zu reisen und ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen, bevor sie gestorben ist. Es war hart. Das Begräbnis war sehr klein, bei euch auch, nehme ich an.

Mich hat am meisten schockiert wie schnell alles gehen musste. Der Leichnam musste am nächsten Tag abgeholt und entweder sofort begraben oder eingeäschert werden.

Weißt du, der jüdischen Tradition nach funktioniert das genau so. Nach dem Motto: okay, lass es uns hinter uns bringen. Alles geht sehr schnell. Wenn es möglich ist, beerdigt man innerhalb von zwei Tagen. So haben wir es auch gemacht. Aber dann folgt eine Woche in der man zusammen abhängt, spricht, diskutiert. Das war leider nicht möglich. Aber wir haben Trauerfeiern über Zoom abgehalten, und das Interessante daran war, dass alle einander mehr zugehört haben. Man konnte sich mehr Zeit lassen, es war immer einer nach dem anderen dran. Das war sehr heilsam. 

Oh Mann. Was für ein Jahr.

Ja. Was für ein Jahr…

Da wir gerade über Zeit sprechen. Das letzte Mal als ich dich getroffen habe war, als du in Berlin im HAU „Peaches Does Herself“ gemacht hast. Ich habe jetzt erst realisiert, dass das bereits zehn Jahre her ist. Damals hast du den zehnten Geburtstag von „The Teaches of Peaches“ gefeiert. Und jetzt sind schon wieder zehn Jahre vergangen!

Ja! Zum 20. Jubiläum haben wir die „Only one Peach“ Show gemacht. Ich bin so froh, dass ich das machen konnte! Wir waren ein Team von 40 Leuten, wir waren in London, in Dänemark, in Hamburg, wo alles angefangen hat, und am Ende in Berlin. Dort haben wir die letzten fünf Tage des Jahres gespielt, quasi als Countdown für 2020. Das war wie ein Geschenk. Fast als wüssten wir, dass etwas passieren würde. Wir reden immer noch darüber, und jeder in der Gruppe sagt – wow, was für eine Erinnerung!

Total verrückt!

Es war total verrückt. Im Februar sind wir noch einmal zusammen gekommen, als ich etwas am Staatstheater Stuttgart gemacht habe. Es war das erste Projekt, bei dem alle drei Sparten, Ballett, Oper und Schauspiel zusammen gearbeitet haben. Wir haben etwas über die Sieben Todsünden gemacht, über den Kapitalismus und ich war der Kernpunkt der Show. Im Februar haben wir angefangen zusammen zu proben, dann haben wir eine Show gespielt und danach war es vorbei. Und jetzt… in den letzten zwanzig Jahren war ich nie mehr als zwei Monate am Stück am gleichen Ort. 

Wie geht es dir damit?

Oh, ich bin komplett traumatisiert. Ich habe es noch nicht verarbeitet. Ich denke jetzt nicht die ganze Zeit darüber nach, dass ich gerne Shows spielen würde oder was ich sonst alles lieber machen würde… ich liebe einfach Aufmerksamkeit. Und die ist gerade schwer zu kriegen (lacht). Und dann blickst du zurück und fragst dich, warum tanzt du nicht einfach vor dem Spiegel rum oder machst eine Show für dich selbst… aber so habe ich nie funktioniert…

Es ist interessant, wie unterschiedlich Künstler*innen mit der Situation umgehen. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel mit Roísín Murphy gesprochen und sie meinte, ihr macht es fast genauso viel Freude, alleine in ihrem Schlafzimmer zu performen.

Sie ist großartig! Unglaublich, wie sie das macht. Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich jüdisch bin? Ich trage sehr viel Schuld mit mir rum (lacht). Vielleicht bremst mich das aus. Im Moment schreibe ich an einem neuen Album. Als ich angefangen habe, habe ich mich gefragt: worüber soll ich überhaupt schreiben? Tanzen und einander nah sein – ist das im Moment relevant? Was sind die Themen, was ist wichtig, worüber denken die Menschen nach? Ich versuche viel, mich zu pflegen und mich selbst zu verstehen. 

Ist es im Moment nicht wahnsinnig schwierig einen Punkt zu finden an dem man anfängt? Wenn ich mich selbst anschaue, dann hätte ich eigentlich viel Zeit um kreativ zu sein, aber wenn ich mich hinsetze um zu schreiben, fühle ich mich einfach nur leer. Ich bin aber auch keine Künstlerin.

Ich glaube, wir sind alle mit Verarbeiten beschäftigt, oder?

Gleichzeitig kann ich mich auch super schlecht ablenken. Ich habe ständig das Gefühl, etwas Sinnvolles machen zu müssen und furchtbar Angst, meine Zeit zu verschwenden.

Oh, ich kann ganz wunderbar Zeit verschwenden. Ich schaue viele banale Serien.

Ich glaube ja insgeheim, dass das ganz gesund ist.

Ja. Ich habe mich sehr viel mit mir selbst beschäftigt, bin sehr tief in mich gegangen um herauszufinden, was genau meine Issues sind, weil ich endlich die Zeit dazu hatte. Aber manchmal muss man sich einfach gehen lassen. 

Wie geht es dir denn im Moment in Hinblick auf die Kreativität? Du hast ja gerade überraschend deinen neuen Song „Pussy Mask“ veröffentlicht.

Wie gesagt, ich schreibe an einem Album. Zuletzt hatte ich „Flip This“ gemacht, was ein bisschen ernsthafter war. Ich habe darin versucht Positionen zu verstehen, zu erforschen wie man sich verbündet und wie man sich für die richtige Sache einsetzt, wie man sich daran erinnert dass man weiß und privilegiert ist und man nicht alles auf sich selbst bezieht. Das war mir wichtig. Und auch die Corona Situation richtig zu verstehen. Was es bedeutet, alles alleine und an demselben Ort zu machen – den Text, die Musik, eine Performance für einen selbst. Bei „Pussy Mask“ wollte ich diese Situation nehmen, die so real und so absurd ist und einen Weg finden, wie die Leute sie verstehen können. Wir kennen die Situation jetzt langsam, also lass uns ein bisschen Spaß damit haben, aber ohne uns darüber lustig zu machen. Ich sage: „Listen to Fauci!“ Aber will dabei nicht von oben herab belehren. Die einen tun es, die anderen nicht. Er ist einer der größten Immunologen der Welt und trotzdem sagen die Leute: „ja, aber müssen wir wirklich eine Maske tragen?“ Und dann wollte ich natürlich auf Ruth Bader Ginsburgs Tod eingehen, die so viele gute Dinge auf den Weg gebracht hat, all die Gesetze, die das Recht auf Abtreibung stärken. Heutzutage dürfen in Amerika Trans-Teenager nicht im Sportverein spielen, was ihnen das Leben retten könnte. Nur die wenigsten bekommen angemessene medizinische Versorgung. Das sind die Dinge, auf die wir aufmerksam machen müssen. 

Wenn du dir den Zustand der Welt heute ansiehst – was gibt dir Hoffnung?

Die Menschen, die kämpfen. Die, die auf Missstände aufmerksam machen. Alles entwickelt sich exponentiell in jede Richtung. Es gibt mehr Konservatismus, mehr Liberalismus, mehr Bewusstsein, mehr Intersektionalität. Aber es gibt auch viel mehr Missverständnisse. 

Wenn ich mir meine Tochter ansehe, ihre Generation, und auch die Studierenden, mit denen ich zusammen arbeite, dann habe ich große Hoffnung in die Jugend. 

Ja! Junge Leute haben heute ein ganz anderes Bewusstsein. 

Irgendwo habe ich gelesen: Es liegt an der jungen Generation, die Welt zu ändern. Wir, die Älteren, haben das Wissen, aber wir stecken zu sehr in unseren Gewohnheiten fest. 

Und genau das ist es! Wir müssen unsere Gewohnheiten verstehen, uns selbst von innen heraus bessern und auf der äußeren Ebene unsere Gewohnheiten als Gesellschaft ändern. Es ist doch traurig, dass wir gerade mit einer Krankheit kämpfen, die uns alle betrifft, die jeder kriegen kann. Das verbindet uns eigentlich. Und trotzdem schaffen wir es nicht, zusammen zu kommen. 

(Es herrscht einen Moment Schweigen.)

Es tut mir sehr leid, aber…

Wir müssen Schluss machen, ich weiß!

Es war schön mit dir zu reden.

Ich habe mich auch sehr gern mit Dir unterhalten! Weißt du, was ich für den Rest meines Lebens bereuen werde? Dass ich Ende 2019 zu keiner deiner Shows gegangen bin. Einfach weil es das Jahresende war und ich zu faul und müde war. Das werde ich nie wieder tun!

Verrückt, oder? Wir werden in Zukunft einfach nichts mehr auslassen. 

Hier könnt ihr unser Interview mit Peaches im englischen Original lesen.