Auferstanden und gefeiert

Nach einem anfänglichen Streit um die Aufführungsrechte durfte die Premiere von „Peaches Christ Superstar“ im Berliner HAU1 doch stattfinden. Zum Glück.

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Der Weg von „Peaches Christ Superstar“ auf die Bühne des Berliner HAU-Theaters war ein steiniger. Als die Rechteinhaber des Andrew Lloyd Webber Musicals „Jesus Christ Superstar“ hörten, Underground Popstar Peaches plane eine One-Woman Adaption des kompletten Stückes, müssen ihnen gehörig die Knie geschlottert haben. Peaches als Jesus? Die Frau, die Anfang dieses Jahrtausends in rosa Lackhotpants auf der Bühne der Berliner Clubs auftauchte und sich gerne mal das Mikrofon im Schritt rieb statt hinein zu singen? Das war ihnen dann wohl doch zu heiß.

Ich persönlich verdanke Peaches (und auch Gonzales, der bei „Peaches Christ Superstar“ für die musikalische Untermalung am Klavier verantwortlich zeichnet) ein paar der großartigsten Abende der letzten zehn Jahre. Bei einem Konzert im Keller des Mudd Clubs sah ich die beiden einst von den Freuden feucht-fröhlicher Pinkel-Spiele beim Geschlechtsverkehr singen. Bei einer sogenannten „Booty-Party“ im Bastard stopften Peaches und Mignon sich die Höschen unter ihren ultra kurzen Röckchen mit Polstern aus und rockten uns mit ihren stundenlangen Freestyle-Rap-Einlagen in Grund und Boden, bis das Podest auf dem wir tanzten unter unseren Füßen einbrach. Peaches ist ohne Frage die Größte, wenn es darum geht, wilde Partys zu feiern.

Sich diese Frau in einer Aufführung eines der bekanntesten Musicals unserer Zeit vorzustellen (in der sie nicht nur Jesus, sondern auch sämtliche weitere Gesangsparts des Originals übernimmt), benötigt deshalb sicherlich ein gewisses Maß an Phantasie – und Toleranz. DenGonzalesn was Peaches selbst an der Debatte um die Aufführungsrechte am meisten ärgerte war, dass man ihr von vorne herein abzusprechen schien, sie könne einer derartigen Darbietung gerecht werden. Dabei ging es Peaches nie darum, das Original bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln, geschweige denn, sich darüber lustig zu machen. Seit ihrer Jugend ist sie großer Fan der Musik von „Jesus Christ Superstar“, mit der Inszenierung als Solostück erfüllte sie sich einen großen, lang gehegten Traum.

Wen also die pure Sensationslust zur Premiere im HAU1 trieb (die letztendlich stattfinden konnte da Tim Rice, der einst das Libretto zu „Jesus Christ Superstar“ schrieb, bekennender Peaches-Fan ist und den Weg zu einer Einigung ebnete), der dürfte enttäuscht worden sein. Die Inszenierung von „Peaches Christ Superstar“ ist, vor allem im ersten Teil, sehr zurückhaltend gestaltet und konzentriert sich hauptsächlich auf Peaches und ihre gesangliche Darbietung. Den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Rollen vollzieht sie durch kleine Gesten, Körperhaltungen und stimmliche Variation. Das faszinierende ist: Peaches bleibt dabei immer Peaches, und dennoch werden alle Figuren lebendig. Die unglückliche Maria Magdalena, der aufgeblasene König Herodes, sämtliche zwölf Apostel, die Kranken, die von Jesus geheilt werden wollen, und natürlich Jesus selbst – sie alle entstehen allein dadurch, dass Peaches sie fühlt. Ihre Darstellung ist ehrlich, zum Teil hoch emotional und vor allem ein Beweis ihres großen musikalischen Könnens. Sie singt jede der Figuren auf unterschiedliche Art und Weise, aber bei keiner von ihnen hat man je das Gefühl, sie stoße an die Grenze des für sie stimmlich machbaren.

„Peaches Christ Superstar“ ist kein Popkonzert, sondern in erster Linie ein Theaterabend, der der musikalischen Vorlage großen Respekt zollt und einem vor allem auf völlig neue Weise mit der nicht zu verleugnenden Schönheit von Andrew Loyyd Webbers Komposition vertraut macht. Chilly Gonzales begleitet Peaches dabei kongenial bei ihrem Ritt durch Peaches2die biblische Geschichte. Zu Recht wurden beide vom Premierenpublikum zum Großteil mit Standing Ovations gefeiert.

Peaches wäre aber nicht Peaches, wenn sie zum Schluss nicht doch noch einen der für sie typischen„Schockmomente“ aus dem Ärmel zaubern würde. Während sie den ersten Teil des Abends ohne jegliche Requisiten mit nicht mehr als ihrer Stimme, kleinen Gesten und wohl dosierten Lichteffekten bestreitet, fragt man sich, ob sie sich am Ende wirklich ans Kreuz nageln lässt. Sie tut es, und zwar auf ihre ganz eigene Art und Weise. Und irgendwie ist man am Ende fast ein wenig dankbar, dass in diesem großartigen Abend auch noch ein wenig von der „alten“ Peaches steckt.

Was für ein Glück, dass wir ihn letztendlich doch erleben durften. So kamen wir nicht nur in den Genuss, Peaches einmal von einer ganz anderen Seite zu erleben, sondern wurden auch daran erinnert, dass Musicals weit mehr sein können als phantasielose Franchise-Inszenierungen in seelenlosen Theaterbunkern.

Fotos (c) Lynn Lauterbach