Dream Wife: „Wir haben unseren Worten Taten folgen lassen“

Selbst im angeblich so futuristischen Jahr 2020 können Videointerviews immer noch eine ganz schöne Herausforderung sein. Rakel, Alice und Bella von der isländisch/britischen Band Dream Wife und ich versuchen uns in einem Videochatroom zu treffen, aber irgendwer fliegt immer wieder raus. Besonders Rakel, die sich zum Zeitpunkt unseres Gespräches bei ihrer Familie in Island befindet, hat große Schwierigkeiten, eine stabile Internetverbindung herzustellen. Währenddessen sitzen Bella und Alice nebeneinander in South-East London und versuchen, den Ton in Gang zu kriegen. „Könnt ihr mich sehen?“ „Könnt ihr uns hören?“ „Ich geh mal raus und komm wieder rein.“ So geht es eine Weile hin und her. Dream Wife wollen über ihr neues Album „So When You Gonna…“ sprechen und sehen sich dabei mit den Hürden konfrontiert, die eine weltweite Pandemie so mit sich bringt. Trotzdem sind die drei weit davon entfernt, ihre gute Laune zu verlieren. Fast die Hälfte unserer Interviewzeit verbringen wir damit, über unseren Kampf mit den technischen Hürden zu lachen, später muss ich aufpassen dass die Dynamiken sich nicht umdrehen und Dream Wife am Ende mich interviewen. 

Ich habe Dream Wife letztes Jahr beim All Points Easts Festival in London entdeckt, und obwohl ich weit hinten stand, umgeben von Leuten die sich unterhalten wollten, war ich begeistert von der wilden, ungezügelten Energie ihrer Performance. Sie hat mich spontan an eine Zeit Anfang der 2000er erinnert, als ich neu in Berlin war und mich in der dortigen feministischen Electro-Punk-Szene sehr zuhause gefühlt habe. Die drei sind wesentlich jünger als ich, und zeitweise fühle ich mich ein wenig wie eine Oma, die von ihrer wilden Jugend erzählt. Aber es zeigt sich dass wir, trotz des Altersunterschiedes, viele Ansichten teilen und eine ähnliche musikalische Wahrnehmung haben. Und dass Dream Wife das live spielen schrecklich vermissen, wird  auch schnell deutlich. Man kann viel lernen von der positiven Energie, mit der die drei versuchen durch diese seltsame Zeit zu kommen.

Inzwischen ist „So When You Gonna…“ erschienen und die Energie, die Dream Wife hinein gesteckt haben, hat sich ausgezahlt. Das Album schaffte es in der ersten Woche auf Platz 18 der UK Album Charts, als einziges Album, das von einem komplett weiblichen Team produziert, enigeneert und gemastert wurde und das auf einem Independent Label erscheint. Eine instabile Internetverbindung kann Dream Wife nicht viel anhaben. 

Erzählt mir, wie ist es euch in den letzten Wochen ergangen?

Alice: Wir haben viel um ein Feuer im Garten herum gesessen und virtuelle Meetings mit Rakel abgehalten.

Bella: Persönlich habe ich angefangen meine Haltung zu Produktivität zu hinterfragen und warum ich ständig das Bedürfnis habe, kreativ zu sein und etwas zu machen. Es war interessant, eine zeitlang einfach rumzusitzen und nichts zu tun. Jetzt da es an den Album-Release geht ist es spannend, sich von Zuhause aus darauf vorzubereiten. Es ist ein ganz anderer Prozess. Wir haben monatelang im Studio an diesen Songs gearbeitet, jetzt können wir sie nicht in einer Live-Show verarbeiten, das ist interessant. Live zu spielen war immer ein großer, wichtiger Teil unserer Arbeit. Jetzt stellen wir gerade eine ganz neue Beziehung zu unserer Musik her und verstehen noch mehr, wie die Leute sie zuhause wahrnehmen. Es ist eine interessante Zeit, wir reflektieren sehr viel.

Macht es einen nicht nervös, wenn man ein Album veröffentlicht und es nicht so unterstützen kann, wie man es normalerweise tun würde?

Alice: Ich denke, wir glauben alle einfach sehr an das, was wir geschaffen haben, und dass es den Leuten etwas bedeuten kann, selbst wenn sie es in dieser Zeit der Isolation kennenlernen. Sie nehmen die Musik wahr, wie sie es früher als Teenager getan haben, hauptsächlich allein, und sie bekommen ein Gefühl von Gemeinschaft durch die Musik, hoffentlich vor allem in dieser Zeit. Dadurch fühlen wir uns selbst wieder ein bisschen wie Teenager. Man muss sich daran gewöhnen, dass man die Dinge nicht so machen kann, wie man sie geplant hatte. Die Dinge ändern sich jeden Tag.

Rakel: Ich glaube auch, dass wie bei diesem Album einfach so gute Arbeit geleistet haben. Selbst wenn es jetzt nicht eine riesen Welle verursacht, bin ich mir sicher, dass ich auch noch in 50 Jahren stolz drauf sein werde. Letztendlich geht es um die Qualität von dem was man macht. Natürlich sind wir eine Live-Band. Wir haben so viele Shows gespielt und daraus viel Energie gezogen. Dass wir das jetzt nicht tun können ist eine große Umstellung, passt aber irgendwie auch zu dem Album. Es ist auf sehr intime Weise im Studio entstanden und es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir an diesen Ort zurückgehen. Aber wenn dann die Zeit kommt, in der wir es live spielen werden – das wird wild. Und wir werden es nicht selbstverständlich nehmen. Niemals. 

Ich tue mich wirklich schwer mir vorzustellen, wie hart es für euch sein muss, diese Möglichkeit plötzlich nicht mehr zu haben. Ich weiß nicht wie es sich anfühlt, quasi jeden Abend eine Show zu spielen, aber bevor das hier alles los ging, bin ich fast jeden Abend auf ein Konzert gegangen. Das war mein Leben.

Rakel: Was für ein wunderschönes Leben!

Am Anfang hatte ich sehr damit zu kämpfen. Jetzt kommt es mir schon vor, als wäre das alles sehr weit weg von mir. Und ich fühle mich nicht in der Lage, irgendwelche Pläne für nächstes Jahr zu machen.

Rakel: Ich glaube, Pläne machen passt nicht zu diesem Jahr (Gelächter). Hinter allem steht ein großes Fragezeichen.

Bella: Schmeiß die Pläne aus dem Fenster!

Rakel: Pläne zu machen scheint aber etwas sehr deutsches zu sein. Wir lieben es in Deutschland zu spielen, weil dort alles immer so gut organisiert ist. Es ist wundervoll. Das beste Catering! Wir haben immer Club Mate.

Bella: Oh mein Gott, wir lieben Club Mate!

Alice: Wir springen buchstäblich vor Freude in die Luft wenn wir irgendwo ankommen und es gibt Club Mate. 

Rakel: Aber hinter unseren Shows steckt insgesamt so tolle Teamwork. Wir haben die wunderbarsten Booker. Und in Deutschland lieben die Leute Konzerte. Sie kommen, um wirklich etwas zu erleben. Sobald wir auf die Bühne gehen, haben wir die beste Zeit. Jedes mal wenn wir in Berlin spielen, spüre ich so viel Liebe für Livemusik. 

Wirklich? Das ist so cool! Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass das Publikum in Berlin grundsätzlich so ist.

Alice: Ich möchte das deutsche Publikum nicht über einen Kamm scheren, aber meine Erinnerung an Konzerte in Deutschland ist, dass die Leute es mögen, wenn es ein bisschen wilder wird. Wir haben einmal in Berlin im Badehaus gespielt, das war der Wahnsinn. Die Stimmung war so intensiv! Der ganze Raum hat sich wie ein einziger Organismus bewegt. Es war unglaublich heiß und schwitzig. 

Rakel: Von der Bühne sah es so aus, als hätte der Raum sich in einen Ozean verwandelt, eine einzige, große Welle. Gleichzeitig war alles sehr respektvoll. Die Leute haben aufeinander aufgepasst. Wir lieben, lieben, lieben es einfach live zu spielen. Und so ein Teil von etwas zu sein.

Ihr solltet auf jeden Fall euren Teil davon anerkennen! Ihr wart es, die diese Atmosphäre geschaffen haben.

Rakel: (lacht) Es geht auf jeden Fall um die Verbindung. Der Spaß, den wir auf der Bühne haben, die Message, die wir rüber bringen und wie wichtig uns Inklusivität ist. Darüber stellen wir eine Verbindung mit dem Publikum her. Auf diese Weise wird aus einem Meer von Leuten eine Welle. Alles was wir wollen ist, dass wir gemeinsam die beste Nacht unseres Lebens haben.

Als ich Anfang des Jahrtausends nach Berlin gekommen bin, bin ich tief in die feministische Electro-Punk-Szene eingetaucht. 

Rakel: Mochtest du Robots in Disguise?

Ja!

Alle: Ooooh, wow!!!

Ich habe sie auch live gesehen. Und ich habe Peaches gesehen als Vorband von Le Tigre (alle schreien durcheinander). Das ist vielleicht eine meine besten Konzerterinnerungen ever.

Bella: Diese Zeit in Berlin muss so aufregend gewesen sein!

Das war sie! Und als ich euch zum ersten Mal live gesehen habe, da hatte ich das Gefühl, dass ihr diesen Geist weiter leben lasst und ihn weiter entwickelt. Das ist so cool, und so wichtig! Es gibt immer noch so viel, das sich in Hinblick auf Feminismus und Gleichberechtigung aller Art ändern muss. Diese Werte in die Popkultur einfließen zu lassen ist ein guter Weg, Leute zu erreichen. 

Alice: Alle die du gerade genannt hast, Robots in Disguise und Peaches, das sind Künstlerinnen denen es darum geht, diese Normen zu durchbrechen. Aber als wir sie als Teenager entdeckt haben, hat uns vor allem angesprochen dass sie sich dabei auch getraut haben, albern zu sein und Spaß zu haben. Und die visuellen Konzepte, die sie kreiert haben, sind heute ein großer Teil davon wie wir uns als Band sehen. Wie wir Musik machen und wie wir uns präsentieren, wie wir die Kontrolle über unsere eigene Außenwirkung halten. Das ist uns sehr wichtig. Aber Peaches, gefolgt von Le Tigre… verdammt, das klingt wie ein Traum!

An diesem Punkt muss Rakel unsere Unterhaltung verlassen, weil bereits das nächste Interview auf sie wartet und wir zu viel gequasselt haben. Alice, Bella und ich reißen uns zusammen und tun unser Bestes, noch ein bisschen informativ über das neue Dream Wife Album zu reden. 

Okay, mein erster Gedanke zu eurem neuen Album – ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht übel. Aber ich finde, es hat die gleiche, wilde Energie wie euer Debütalbum, gleichzeitig ist es aber auch irgendwie… süßer? Ich möchte sozusagen mit euch abrocken und euch gleichzeitig knuddeln(Gelächter).

Alice: Das ist tatsächlich eine gute Beobachtung. Rakel hat es vorhin ja schon gesagt, als wir es geschrieben haben, haben wir uns an einen ruhigen, intimen Ort zurück gezogen, zum ersten mal nachdem wir lange auf Tour waren. Und wie wir so zusammen waren, ist es uns irgendwie leicht gefallen, uns an eher sensible Orte zu begeben. Wir haben auch als Menschen sehr viel Vertrauen zueinander. Aber dann hatten wir auch so viele Live-Shows gespielt, dass wir immer noch diese rohe Energie in uns hatten. Die wollten wir mit ins Studio bringen, dabei aber auch Verletzlichkeit und Sensibilität zulassen. Wie du sagst, das Rohe und das Süße treffen sich, und ich glaube der Flow des ganzen Albums ist eine Reise durch Licht und Schatten. Es hat sehr viele Kontraste. 

Und würdet ihr sagen, diese Arbeit ist euch leichter gefallen als die an eurem ersten Album? Oder war es schwerer für euch?

Bella: Wir haben uns so gefreut, zusammen zu kommen und ein zweites Album aufzunehmen! Wir sind so viel bessere Musikerinnen geworden, so viel besser darin, füreinander da zu sein und eine Einheit zu bilden, so viel besser darin zu sagen, wann wir eine Pause brauchen. Und wir sind so viel klarer darin, wie wir über Dinge denken! Was uns wichtig ist. Dieses Album zu machen hat sich wie ein sehr intuitiver, natürlicher Prozess angefühlt. 

Alice: Ich glaube, dieses Album aufzunehmen hat sich wie ein sehr organisches Wachstum angefühlt. Die Dinge so zu machen, wie sie sich für uns richtig anfühlen. Wir haben mit einem komplett weiblichen Team gearbeitet. Marta Salogni hat die Produktion gemacht, Grace Banks war Engineer und Heba Kadry hat das Mastering übernommen. Es war ein großartiges Team von Frauen, die zusammen gekommen sind um mit uns zu arbeiten, mit uns in einen Dialog zu gehen und die Songs sanft dorthin zu leiten, wo sie hingehören. Es gab sehr viel Respekt in diesem Team. Wir haben unseren Worten Taten folgen lassen!

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