Es ist ein kleines, nettes Déjà-Vu Erlebnis, als Sloan Struble aka Dayglow und ich uns im zweiten Mal innerhalb weniger Monate zum Interview gegenüber sitzen. Im gleichen Raum, am gleichen Tisch, ein wenig wie beim Bewerbungsgespräch, worüber wir beim letzten Mal schon gewitzelt haben. Damals, im April, war Sloan zum ersten Mal in Deutschland, um endlich sein zweites Album „Harmony House“ live zu präsentieren. Das Erlebnis war noch von der Aufregung geprägt, endlich wieder Shows spielen und erleben zu können, was ein halbes Jahr später fast schon wieder zur Normalität geworden ist.
Die Karriere von Dayglow ist definitiv geprägt vom Auf und Ab der Pandemie. Umso erstaunlicher ist es, wie nahezu rasant sie sich trotzdem entwickelt hat. Im April verriet Sloan mir, dass er bereits an seinem dritten Album arbeite und ließ auch durchblicken, dass er plane, es dieses Jahr noch zu veröffentlichen. Dass es im Oktober bereits so weit sein würde, fühlt sich dann doch ganz schön schnell an. Zumindest für mich, für Sloan eher weniger. Denn der macht einfach kontinuierlich das, was er am liebsten tut und am besten kann: Songs schreiben, aufnehmen, einspielen und produzieren. „People in Motion“, sein neuestes, frisch erschienenes Werk, ist ein völlig im Alleingang entstandenes Popalbum geworden, das so groß klingt, als hätte ein ganzes Team an Produzenten daran gefeilt. Es ist ohne Zurückhaltung positiv und lebensfroh und vermittelt die Art von nostalgischer Lebensfreude, die man als Kind verspürt hat, wenn im Radio zufällig zur richtigen Zeit der Lieblingssong kam. Genaus will Sloan das. Und wenn ihm böse Zungen unterstellen, das klänge alles viel zu gut, als dass ein Mensch es alleine in seinem Schlafzimmer aufgenommen haben könnte, dann weiß er, dass er alles richtig gemacht hat.
Beim letzten Mal hast du mir erzählt, dass du an neuem Material arbeitest. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde.
Ich glaube, ich auch nicht (lacht). Im April hatte ich die Ideen für die meisten Songs auf dem Album fertig. Aber ich habe nach der Tour noch sehr viel daran gearbeitet. Es ist sowieso sehr viel passiert seit April, aber es ist alles sehr schnell, natürlich und innerhalb meines Zeitplans passiert. Es ist alles sehr aufregend.
Hast du ein bestimmtes System, wie du es schaffst, so produktiv zu sein? Zumal du jetzt ja insgesamt wieder viel beschäftigter bist als während Corona…
Ich weiß, das ist das Verrückte! Ich weiß nicht… die beste Art für mich zu entspannen, ist Musik machen. Das kann durchaus auch ein Problem darstellen, weil ich auch die Tendenz zum Workaholic habe (lacht). Ich habe einfach unglaublich viel Musik gemacht. Ich fühle mich sehr inspiriert. Ich finde, dass ich die beste Musik mache, die ich jemals gemacht habe. Und ich kann mich nicht davon abhalten, weiter zu machen.
Ganz ehrlich? Wenn ich nicht wüsste, dass du alles alleine machst, würde ich bei diesem Album denken: ah, diesmal hat er mit einem Produzenten zusammen gearbeitet.
Danke! Das habe ich in letzter Zeit öfter gehört, und es freut mich jedes Mal sehr. Meine größte Freude am Musik machen ist die, Produzent zu sein. Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel besser geworden bin. Dabei bin ich immer noch in genau der gleichen Situation wie früher, ich nehme meine Musik in meinem Schlafzimmer auf. Aber ich finde auch, es klingt definitiv besser produziert. Ich weiß einfach besser, was ich tue. Das war von Anfang an mein großes Ziel: als jemand anerkannt zu werden, der ständig daran arbeitet, besser in dem zu werden, was er tut. Als ich „Fuzzy Brain“ raus gebracht habe wusste ich, ich würde in die „Bedroom Pop“ Schublade gesteckt werden. Weil ich 17 Jahre alt war und Musik in meinem Schlafzimmer gemacht habe. Ich wusste, dass meine Musik nicht super poliert klingt, aber ich wollte schon immer als jemand hervorstechen, der deutlich das Potential eines Producers hat. „People in Motion“ ist in der Beziehung ein großer Schritt vorwärts und zeigt deutlich meine Productionskills. Ich halte mich diesbezüglich nicht zurück.
Sowohl deine Musik als auch deine Texte sind ja wirklich super positiv. Das fasziniert mich, die aktuellen Zeiten machen es ja einem nicht einfach, so zielstrebig nach vorne zu blicken.
Danke! Das ist auf jeden Fall mein Ziel. Es ist das erste Album, das ich vor dem Hintergrund gemacht habe, dass ich inzwischen Liveshows spielen konnte. Sowohl bei „Harmony House“ als auch bei „Fuzzy Brain“ hatte ich noch nicht wirklich Shows gespielt. Und ich hatte noch nicht die Erfahrung machen können zu sehen, wie Dayglow Fans auf der ganzen Welt aussehen, etwas Universelles zu entdecken, das sie gemeinsam haben. Mit dieser Erfahrung ist „People in Motion“ ziemlich natürlich passiert. Zu wissen, welche Gefühle die Menschen aus meiner Liveshow mitnehmen wollen. Und es hat mir ein ganz anderes Selbstbewusstsein als Musiker gegeben. Ich bin auf diesem Album die Dinge mit einer anderen Einstellung angegangen. Ich bin weniger schüchtern, glaube ich.
Ist das nicht fast ein bisschen stur, der Welt, wie sie im Moment ist, derart positiv zu begegnen?
Irgendwie schon. Auf eine Art ist „People in Motion“ sowohl musikalisch als auch textlich eine Gegenbewegung zur derzeitigen Kultur. Es ist nicht Punk. Es ist nicht aggressiv. Ich möchte schon, dass die Leute hinterfragen, warum sie bestimmte Dinge denken und hoffe, dass ich das mit meiner Musik anregen kann, aber auf eine positive Weise.
Aber Popmusik mit so viel Liebe und ohne Zurückhaltung zu umarmen, das ist für sich schon fast gegenkulturell.
Absolut. Alle haben immer Angst vor dem „großen Sellout“. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, was das an diesem Punkt heißen sollte. Jeder kann überall und jederzeit die Musik machen, die er machen möchte. Aber Popmusik zu machen wird immer noch als Sellout betrachtet. Ich wollte einfach ein Popalbum machen, das sich frisch anhört und hoffentlich irgendwie zeitlos. Ich denke zum Beispiel an Tame Impalas „Currents“. Für mich ist das ein Popalbum, aber damals war es das nicht. Es hatte damals den Sound, der heute, fünf Jahre später, als Pop bezeichnet wird. Ich weiß, dass „People in Motion“ nicht so klingt wie die meisten Indie-Sachen im Moment. Aber ich hoffe, dass es diese Art von Zeitlosigkeit hat, in der es immer mehr wächst.
Ich habe das Gefühl, dass Pop etwas ist, das wir immer noch vor allem mit großen Acts verbinden. Wenn eine Band Pop macht oder ein Independent Artist wie du, dann verstehen die Leute das irgendwie nicht.
Das stimmt. Es ist auch wirklich schwierig, gute Popmusik ohne die Tools zu machen, die einem Harry Styles zur Verfügung stehen. Es ist eine Herausforderung und ziemlich cool so zu klingen wie er, wenn man nicht den gleichen Zugang zu Dingen hat wie er. Das ist genau das, was ich versuche zu erreichen. Wenn die Leute meine ganze Geschichte hören, dass ich erst 23 bin und buchstäblich immer noch in meinem Schlafzimmer sitze und Musik machen, dann hoffe ich, dass das vielleicht etwas daran ändert, wie man „handgemachte“ Popmusik wahrnimmt.
Hat es deinen kreativen Prozess beeinflusst, dass du nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung hattest, wie damals während des Lockdowns?
Die Art wie ich arbeite, ist immer noch die gleiche. Ich sitze lange, lange vor dem Computer und bearbeite Sachen immer und immer wieder. Ich glaube aber, mein Selbstvertrauen als Künstler hat sich geändert. Ich habe dieses Album nie so gehasst, wie manche Sachen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Ich meine, verstehe mich nicht falsch, ich liebe „Harmony House“ heute, aber ich war damals wahnsinnig selbstkritisch, als ich es gemacht habe. Ich fand es einfach nicht so gut. „People in Motion“ höre ich selbst wirklich oft und finde, dass es einfach gut klingt. Das hat bestimmt damit zu tun, dass ich auf Tour war und dass ich weniger Zeit habe, mich mit der Musik zu beschäftigen und mich dabei zu zerfasern. Mein Prozess hat sich also nicht geändert, aber meine Herangehensweise ist von mehr Selbstbewusstsein bestimmt. Ich bin heute sehr viel stolzer auf die Musik, die ich mache.
Hast du auch das Gefühl, dass die Leute dir anders begegnen? Woran ist dein Selbstbewusstsein gewachsen? Das ist ja keine leichte Sache.
Hm… ob die Leute mir anders begegnen? Meine Fans sind einfach sehr nett. Ich glaube, ich habe eine sehr nette Fanbase, die meine Fähigkeiten als Produzent anerkennt und viel über mich weiß. Sie wissen, dass ich introvertiert bin und behandeln mich entsprechend. Sie sehen mich als Mensch, das ist schön. Aber interessant ist, dass ich bei den bisherigen Singles zu diesem Album erstmals negative Kommentare bekommen habe, auf meinem Instagram und so. Ich weiß, das klingt komisch, aber ich sehe auch das als etwas Gutes. Es zeigt, dass ich mich nicht ständig nur in der gleichen Bubble bewege, sondern dass ich auch anderen Leuten auffalle. Das ist ja mein Ziel, größer zu werden und mehr Leute anzuziehen. Von daher ist es gut, dass auch auf diese Weise über mich gesprochen wird. Ich habe eine eigene Welt kreiert, und jetzt fordere ich meine Fans dazu auf, sie mit mir zu erweitern, indem ich den Sound hier und da verändere. Jedes gute Album hat in der Vergangenheit irgendwann Kritik bekommen. Jetzt, da ich das selbst erlebe, merke ich, dass es ehrlich ist, und deshalb ist es gut. Ich wäre skeptisch, wenn alle immer nur sagen würden, dass es gut ist. Dann hätte ich am Ende das Gefühl, ich hätte nicht hart genug an mir gearbeitet.
Was hast du denn für negative Kommentare bekommen?
Du hast ja vorhin selbst gesagt, dieses Album klingt, als hätte ich mit einem Produzenten zusammen gearbeitet. Es gibt Leute die denken, ich würde mit jemandem arbeiten und es nicht zugeben. Sie haben einfach etwas ganz grundsätzlich missverstanden. Ich bin auf diesem Album wirklich sehr gewachsen. Ich finde es lustig. Und es ist auch ein bisschen ein Kompliment. Ich weiß nicht… wenn man als Künstler*in hörbare Veränderungen durchmacht, stößt das meistens auf Gegenwehr. Wenn man keine macht, ebenso. So ist es mir ehrlich gesagt lieber, als wenn jemand sagen würde: ‚das klingt ja genauso wie immer.‘ Ich mag es, wenn die Leute erst einmal irritiert sind, weil etwas ungewohnt klingt. Auf lange Sicht möchte ich eine Karriere anstreben, die sich ständig verändert, ich möchte viele Arten von Geschichten erzählen. Die Fans, die dir wirklich verbunden sind, machen diese Veränderungen mit dir durch.
Was sagst du denn zu der Annahme, aus persönlichem Glück oder einfach aus guter Laune heraus, könne keine wertvolle Kunst entstehen? Dass positive Musik zum Beispiel weniger tiefgründig ist als ein dramatisches Breakup-Album?
Hm. Ich denke, alles hat seinen Ort und seine Zeit. Es sollte einfach Platz sein für jede Art von Musik. Wir haben heutzutage mehr Musik denn je, die wir hören können, so viele verschiedene Typen von Künstler*innen. Für mich macht es am meisten Sinn, Musik zu machen, die den Menschen hilft, Dinge in ihrem Leben zu verarbeiten, auf eine optimistische und hoffnungsvolle Weise. Und sie auf die Art im besten Fall zu ermutigen, nach vorne zu schauen. Ich möchte sie motivieren, gute Menschen um sich herum zu finden und versuche, einen positiven Sinn für Gemeinschaft zu vermitteln. Falls das Sinn macht.
Das hat man auch bei deinem Konzert gemerkt. Es war wirklich eine sehr positive Stimmung. Sehr entspannt und gelöst, wenn man vor allem daran denkt, dass es eine der ersten Shows war, die wir hier wieder hatten.
Ja, ich erinnere mich daran. Das hat man gespürt. Ich fand das auch besonders. Und das freut mich sehr zu hören. Ich versuche eine Art familienfreundliche Atmosphäre bei meinen Konzerten entstehen zu lassen. Das ist mir wichtig. Ich bin nicht unbedingt ein Vertreter der „Teenage Angst“. Ich finde, das muss man heutzutage nicht noch zusätzlich betonen. Für mich ist es das Schönste, wenn ganze Familien zu meinen Shows kommen und sich unter meinen Fans wohlfühlen. Einfach eine möglichst diverse Gruppe von Menschen zu kreieren, die möglichst viel Spaß mit meiner Musik haben. Manchmal kriege ich Nachrichten von Eltern, die mir schreiben, dass ihre Vierjährigen meine Musik mögen. Vierjährige mit meiner Musik glücklich machen, das ist doch großartig!