Dayglow im Interview: „Die Leute sehnen sich nach der Beständigkeit eines guten Albums“

Dayglow ist eine echte One-Man-Show, davon spricht Sloan Struble aus Überzeugung und vollem Herzen. Der 21 Jahre alte Texaner schreibt, singt, spielt und produziert seine Songs komplett im Alleingang. Was, wenn man sich einmal in seinen positiven und überaus kreativen Indie-Pop verliebt hat (und das geht schnell), für seine ganz erstaunlichen Fähigkeiten als Musiker spricht. Während der Pandemie kam ihm das natürlich zugute, denn mitten in der heißesten Corona-Phase erschien sein zweites Album „Harmony House“, eine schillernde Sammlung an Pop-Perlen, die so gar nicht nach Einsiedlertum klingt. 

Aber auch einen überzeugten Einzelgänger wie Sloan Struble zieht es hinaus in die Welt, da es nun endlich wieder die Möglichkeit gibt, auf Tour zu gehen. Als seine ersten Deutschlandshows für dieses Frühjahr angekündigt wurden, konnte man sich noch gar nicht richtig vorstellen, dass sie auch wirklich stattfinden würden. Und bäm, da ist er! Im Büro seines Labels sitzt Sloan mir gesprächig und aufmerksam, aber auch angenehm bescheiden gegenüber. Ein bisschen staunen muss ich fast, was für ein Entertainer er ist, als er am Abend in Berlin auf die Bühne geht. Das Publikum frisst ihm im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand, während Sloan sich sichtlich freut, dass er es endlich ganz in echt kennenlernen kann. 

Eigentlich lebt es sich gerade noch ganz gemütlich im „Harmony House“. Aber bald gibt es schon wieder neue Musik, hat er mir im Interview verraten. Das und noch so einiges mehr. 

Du bist zum ersten Mal in Deutschland, richtig?

Ja, tatsächlich. Es gab früher schon einmal Pläne, aber die wurden gecancelt. Egal, hier bin ich! Und sehr aufgeregt. 

Als deine Tournee angekündigt wurde, konnte sich keiner so richtig vorstellen, dass es wirklich passieren würde.

Viele Shows haben sich so angefühlt in letzter Zeit. Total unwirklich. Aber es ist großartig. 

Wie ist es denn, im Moment auf Tour zu sein? Ist es noch sehr anders?

Im Herbst sind wir in den USA getourt. Das hat alles geklappt, aber unsere Shows in Kanada wurden gecancelt, aufgrund von Kapazitätsbegrenzungen. Man durfte dort vor bis zu 400 Leuten spielen, das hätte bei uns nicht hingehauen. Das hat uns ehrlich gesagt viel Geld gekostet, dorthin zu reisen und dann festzustellen, dass wir nicht spielen können. Wir werden die Shows bald nachholen. Aber auf dieser Tour… als wir nach Frankreich gekommen sind, mussten wir unsere Impfausweise zeigen, aber sonst… bis jetzt war es sehr einfach. Das ist schön, wir können uns voll auf die Musik konzentrieren. 

Ich habe wirklich Respekt vor jedem, der während der Pandemie ein Album rausgebracht hat.

Ja… was mich persönlich betrifft, ich schreibe und produziere alle meine Musik selbst, von daher war es für mich irgendwie ganz okay. Ich hätte eigentlich auf Tour sein sollen, aber dann hatte ich plötzlich all diese Zeit für mich allein in meinem Studio um an Musik zu arbeiten, das war ziemlich schön. Und ich habe festgestellt, dass ich diese Zeit genau so dann tatsächlich auch gebraucht habe, um einiges zu reflektieren. Ich glaube, wenn ich wie geplant auf Tour gegangen wäre, wäre ich ziemlich durcheinander gewesen und ganz schön verloren. Ich bin froh, dass ich diese Zeit geschenkt bekommen habe um runterzufahren, mein Album fertig zu machen und dann wieder auf Tour zu gehen. 

Die Art wie du arbeitest, dass du alles alleine schreibst, einspielst und produzierst, war in dem Fall sicher hilfreich. Aber ist das manchmal auch ein einsamer Prozess? Hast du Instanzen, die du daran teilhaben lässt? 

Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß es gar nicht. Ich habe noch nie jemanden dazu geholt, der Instrumente eingespielt oder gemixt hätte. Gerade arbeite ich an meinem dritten Album, das habe ich alleine fertig gemischt und lasse es jetzt von jemand anderem quasi noch einmal remixen, ein Profi namens Rich Costey. Er hilft mir es fertigzustellen, aber ich war die meiste Zeit mit im Raum, wenn er gemischt hat. Das ist glaube ich auch ungewöhnlich. Aber… ich weiß es nicht. Alles selbst zu machen fühlt sich für mich natürlich an. Musik ist etwas sehr Persönliches für mich. Ich habe zum Glück eine sehr starke Vision und klare Vorstellungen von dem, was ich erreichen will. In meiner Vorstellung ist mit anderen Leuten zusammen zu arbeiten dabei hinderlich. Dann muss ich Kompromisse machen – was etwas ist, wozu ich privat sehr stark tendiere. Ich möchte immer, dass die Leute mich mögen und mit mir zufrieden sind, weshalb ich Angst hätte, bei meiner Vision aus Versehen zu viele Kompromisse zu machen. Zum Glück habe ich die Fähigkeiten, alles selbst zu machen. 

Das passt aber auch zu dem, wie ich deine Musik empfinde. Du hast ein sehr ausgefeiltes, sehr eigenes Konzept.

Danke! Als Musiker muss man sich seiner selbst sehr bewusst und sehr vorsichtig sein. Besonders heute, da die Dinge sich so schnell ändern und es so unglaublich viele Informationen da draußen gibt, musst du deine Vision so präzise wie möglich teilen. Wenn du das nicht tust, kann es passieren, dass du nicht der wirst, der du gerne sein möchtest oder dass die Leute deine Musik anders interpretieren, als du es gewollt hast. Und ich glaube das erreicht man leichter, wenn man alleine arbeitet.

Ich bin ja zu einer Zeit aufgewachsen, als Alben in der Musik eine wichtige Bedeutung hatten. Ich würde tippen, dass du auch ein Album-Typ bist, oder?

Definitiv! Ich liebe Alben. Ich liebe ein gutes Album. Ich glaube aber, sie sind heute immer noch wichtig. Die Leute sehnen sich nach der Beständigkeit eines guten Albums. Das versuche ich zu erreichen. Ich glaube, Alben geben uns eine Timeline für unser Leben und die verschiedenen Phasen, in denen wir uns befinden. Einzelne Songs tun das nicht, Alben tun das. Das möchte ich als Künstler anerkennen und in dieses Muster passen.

Glaubst du, dein Album wäre anders geworden, wenn die Umstände nicht so gewesen wären, wie sie waren?

Ich hatte schon ein ziemlich starkes Konzept für „Harmony House“. Und die meisten Songs waren bereits vor der Pandemie fertig. Das hat es definitiv geprägt und die Storyline festgelegt. Ja, ich glaube, es wäre das gleiche Album geworden. Dieses Album bedeutet vielen Menschen so viel, das hätte ich mir niemals vorstellen können. Und wer weiß, dazu hat die Pandemie vielleicht schon beigetragen, dadurch dass alles zu war und wir alle so viel Zeit hatten. Wer weiß, wie es sonst wahrgenommen worden wäre. 

Jetzt, da du die Songs live spielen kannst, wie hat sich dein Verhältnis zu ihnen entwickelt? Und dann noch zusammen mit deiner Band. Das muss doch sehr anders für dich sein.

Sehr anders. „Close to You“ und „Medicine“ sind zum Beispiel Songs, für die ich eine Live Performance im Kopf hatte. Aber bei den meisten anderen auf dem Album habe ich nie darüber nachgedacht, sie live zu spielen. Das ist wirklich interessant, jetzt diesen Kontext zu haben, nach den zwei Tourneen, die ich bisher gespielt habe. Auch zu sehen, wie die Leute auf meine Musik reagieren. Und zu sehen, wie ein Dayglow Fan überhaupt aussieht! Was das für eine Person ist, die zu einer Dayglow Show kommt und was sie erwartet. Für meine neuen Songs, die ich jetzt schreibe, ist dieser Kontext sehr hilfreich. 

Wie sieht denn der typische Dayglow Fan aus?

Zum Glück scheinen die Mengen sehr divers zu sein. Sehr viele verschiedene Altersgruppen, das ist sehr schön. Ich glaube, die Leute kommen zu meinen Shows, weil sie Spaß haben wollen. Also, das nehme ich jetzt mal an, weil ich Spaß an meiner Musik habe (lacht). Wahrscheinlich ist das der Hauptgrund, warum Leute zu Shows gehen. Vielleicht auch nicht (lacht). Aber ich glaube, die Leute kommen um Spaß zu haben und um uns dabei zuzusehen, wie wir Spaß haben. Das ist ganz schön aufregend. 

Es gibt einige Alben aus dem Indie-Pop Bereich, die in der letzten Zeit zehn Jahre alt geworden sind, ich konnte es gar nicht glauben. Darwin Deez‘ Debütalbum zum Beispiel. „Lungs“ von Florence & The Machine. Woran liegt das, dass die heute immer noch so neu wirken? Ist Indie-Pop vielleicht zeitloser als andere Genre?

Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt auch viel Indie Musik, die ich heute als total überholt empfinde, von der sich herausgestellt hat, dass sie damals nur ein Trend war. Ich glaube, es geht vor allem um die Person, die dahinter steht. Jemand wie Darwin Deez, der es ganz allein geschafft hat – das ist ein Typ, der erschafft durch seine Persönlichkeit automatisch etwas Zeitloses. Wenn du wenige Quellen von außen hast auf die du hörst, dann entsteht etwas Besonderes. Ich bin einfach der Meinung, dass ein zu großes Team Vieles zerstören kann. Ich meine, in großen Gruppen kann auch sehr viel Gutes entstehen. Aber wenn es darum geht, etwas wirklich Zeitloses zu schaffen… wenn eine einzige Person etwas so Großartiges auf die Beine stellen kann, dann wird es automatisch zeitlos. 

Welche Musik ist für dich persönlich zeitlos? Etwas, das du immer wieder hören kannst?

Das ist für mich auch definitiv jemand wie Darwin Deez. Diese Zeit um 2009/2010 herum, da ist so viel Gutes an Indie-Musik passiert. Phoenix, Two Door Cinema Club, solche Bands sind zeitlos für mich. Wenn etwas sich, wenn du es das erste Mal hörst, brandneu anhört und gleichzeitig, als hättest du es schon einmal gehört. Das ist die perfekte Balance, die man als Künstler*in erreichen will. Ich weiß nicht wieso, aber damals, das war eine extrem gute Ära. 

Aber wie alt warst du denn damals? Neun, zehn? Hast du das so direkt mitbekommen?

(lacht) Nein, ich glaube das war ein paar Jahre verzögert. Aber ich war damals sehr engagiert wenn es darum ging, Bands auf Youtube zu entdecken und mir so viel wie möglich anzuhören.

Darwin Deez habe ich damals auf Myspace entdeckt.

Wow. Das macht Sinn. Das ist so cool. Darwin war so wahnsinnig cool damals. Seine Haare sind so interessant. 

Ich habe es schon immer geliebt, wenn mit der Musik ein ausgefeiltes optisches Konzept einher geht. 

Ich finde, das geht heute gar nicht mehr anders. Besonders meine Generation, wir sehen Dinge zuerst. Wenn ein Albumcover nicht interessant aussieht, hast du verloren. Du musst nämlich drauf klicken wollen, wenn du es siehst. Wenn es nicht interessant ist, klickst du nicht drauf. Wenn du eine Liveshow gestaltest, dann musst du darauf achten, wie sie aus jedem Blickwinkel wirkt. Derjenige, der links außen steht und filmt, soll sie genauso gut erleben können wie derjenige ganz hinten an der Bar. Wie setzt du das optisch um? 

Ist das nicht auch stressig, wenn man sich über so etwas ständig Gedanken machen muss?

In meinem Fall ist es das, weil ich auch noch der einzige bin, der verantwortlich ist. Meine Band kommt ja nur und tut das, was ich ihnen sage (lacht). Aber ich will es ja genauso. Es ist stressig, aber auch großartig. 

Aber interessant, dass du dir auch darüber Gedanken machst wie deine Show aussieht, wenn jemand sie filmt. Glaubst du, dass wir überhaupt noch Dinge im Moment wahrnehmen? Oder nehmen wir Erinnerungen nur noch auf und verarbeiten sie zeitverzögert?

Wahrscheinlich letzteres, ja. Die Leute verarbeiten die Dinge, nachdem sie passiert sind. Wenn sie sich entscheiden, sie überhaupt zu verarbeiten. Auf jeden Fall musst du dich darauf einstellen und versuchen, das zu befriedigen. Wenn jemand mein Album entdeckt und einen Monat später darauf zurückkommt, dann war das ein Erfolg. Alles bewegt sich so schnell.