Das SWR3 New Pop Festival ist schon seit Jahren fest in unserem Jahreskalender (und unseren Herzen) verankert. Umso schöner war es als feststand: Nach der Corona-bedingten Absage 2020 wird das Event 2021 wieder stattfinden und Baden-Baden ein ums andere Mal für ein Wochenende zum Zentrum der Popmusik machen. Klar, das SWR3 New Pop Festival 2021 war anders: Doch bei der „Pandemie Ausgabe, wie es SWR3 Programmchef Thomas Jung nannte, konnten auch Abstandsregeln, die 3G-Regel und die Maskenpflicht der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Und so waren unter anderem Sigrid, Tom Grennan, Zoe Wees und die Giant Rooks dem Aufruf des Radiosenders gefolgt und brachten bei der 26. Ausgabe des Festivals mitreißende Performances auf die Bühne.
Den Auftakt machte am Donnerstag der britische Singer-Songwriter Tom Gregory, der die Zuschauer*innen vom ersten Ton an mit wummernden Bässen und eingängigen Melodien mitriss. Man spürte förmlich, wie sehr es die Leute im letzten Jahr vermisst haben, auf ein Konzert zu gehen, die Welt für eine Weile zu vergessen und sich einfach nur von der Musik treiben zu lassen. Partystimmung herrschte insbesondere bei „Fingertips“, das in Deutschland mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde, sowie dem Feature mit DJ VIZE „Never Let Me Down“. Bei Toms ersten Hit „Run To You“ erinnerte mich der Künstler noch am ehesten an den Sänger, den ich vor Ewigkeiten als Support von Max Giesinger erlebt habe.
Gerade erst wieder auf den Geschmack von Livemusik gekommen, ging es auch schon Schlag auf Schlag. Der Auftritt der jungen Norwegerin Sigrid stand als nächstes auf der Agenda, eine der Künstler*innen, auf die ich mich dieses Jahr besonders gefreut hatte, da ich den musikalischen Werdegang der Popsängerin seit ihrem 2019 veröffentlichen Debütalbum „Sucker Punch“ mit großem Interesse verfolge. Unter freiem Himmel zeigte Sigrid ihre Vielseitigkeit: Tanzbare Banger wie die neue Single „Burning Bridges“, „Mirror“ und „Strangers“ wechselten sich ab mit ruhigeren Songs wie der Pianoballade „Home To You“, einem wunderschönen Song über ihre Heimat Norwegen, bei dem ihre Stimme besonders gut zur Geltung kommt. Mein persönlicher Favorit ist und bleibt (auch live) aber „Sucker Punch“, ein Song, der es auf so ungefähr jede meiner Playlists schafft.
Den Abschluss machte am ersten New Pop Tag der sympathische Deutsch-Spanier Álvaro Soler, der das Baden-Badener Festspielhaus in eine einzige Partymeile verwandelte. Bei seinem Auftritt reihten sich Hit an Hit, es hielt niemanden auf den Sitzen. Mit seinem spanischen Flair hatte er Baden-Baden voll im Griff. Ob bei der neuen Single „Mañana“ oder bei „Loca“ und „La Cintura“ und „Sofía“, der ganze Saal sang und tanzte mit (auf Spanisch wohlbemerkt) und ich fühlte mich irgendwie ein bisschen wie in Spanien am Strand. Dass er auch die leisen Töne beherrscht, zeigte Álvaro in einem Akustik Part, in welchem er eine sehr tiefgehende Interpretation seines Songs „Alma de luz“ darbot. Alles in allem ein wunderbar passender Abschluss des ersten Festivaltages.
Neuer Tag, neues Konzert – und direkt eines, auf das ich mich im Vorfeld extrem gefreut habe. Dotan, den holländischen Sänger mit israelischen Wurzeln, habe ich vor vielen Jahren rauf und runter gehört. Nachdem ich ihn zufällig als Support-Act bei einem Konzert erlebt hatte, lief seine EP „7 Layers“ bei mir auf Dauerschleife. Die neueren Sachen hatte ich nur am Rande mitbekommen und war daher umso gespannter, sie nun live zu erleben. Wenn man einen Dotan Song beschreiben müsste, dann würden sicher die folgenden Worte fallen: atmosphärisch, melancholisch, Rhythmus-getrieben und mit episch-mehrstimmigem Gesang im Chorus, hymnenartig. Und diese Formel kann live voll überzeugen; der Sänger hatte sein Publikum voll im Griff und sorgte für einige Gänsehautmomente. Für Dotan war das SWR3 New Pop Festival das erste Festival seit 6 Jahren und der erste Liveauftritt mit seiner Band seit 2 Jahren, der Sänger bedankte sich sichtlich emotional mehrmals bei seinen Fans und den Veranstaltern. Highlights waren zum einen „There Will Be A Way“, ein Song, den Dotan während der Pandemie geschrieben hat, sowie „Numb“, der für ihn wie eine Art Therapie war und ihn aus einem dunklen Loch befreit hat. Bei der Zugabe ging der Sänger sogar hinunter zum Publikum und feierte mit allen gemeinsam.
Weiter ging es mit einer ganz anderen Musikrichtung: die britisch-amerikanische R’n’B Sängerin Celeste mit Jazz- und Souleinflüssen zeigte im Festspielhaus, was es bedeutet, eine „classy“ Performance auf die Bühne zu bringen, über die das SWR3 Land noch lange sprechen wirst. Mit einer wunderschönen Robe bekleidet stand die Sängerin angestrahlt von einem Lichtkegel in der Mitte der Bühne – um sie herum ihre versierten Musiker, hauptsächlich Bläser. Ihr auffallendstes Accessoire ist jedoch ihre Stimme, die so kraftvoll, ausdrucksstark und groovy ist, dass sie massenhaft für Gänsehaut sorgte und Begeisterungsstürme entfachte. Vergleiche hinken oftmals, doch ich komme nicht einher, ab und an die legendäre Amy Winehouse zu denken. Spannend zu sehen finde ich auch die Ambivalenz zwischen Celestes fast schüchternen Anmoderationen und ihrem völligen Aufgehen in der Musik beim Singen. Highlight des Konzerts war ihr wohl größter Hit „Stop This Flame“, bei dem sogar getanzt wurde. Das Publikum wußte Celestes Talent zu schätzen und spendete ihr nach dem Auftritt noch lange und begeistert Applaus.
Wie kann man einen Freitagabend am besten ausklingen lassen? Mit einem mitreißenden Auftritt der Giant Rooks! Die deutsche Indiepop Band mit dem internationalen Sound gehört zu meinen absoluten Lieblingskünstler*innen aus Deutschland. Seitdem ich sie 2016 als Support von Joris in Luxemburg erlebt habe, habe ich jede Gelegenheit genutzt, die Band live zu erleben und konnte ihren Aufstieg und die Konzerte in immer größeren Hallen miterleben. Das letzte Mal war aufgrund von Corona leider schon ein wenig her aber lustiger Weise an selber Stelle: 2019 beim SWR3 New Pop Festival hatte die Band draußen auf der Livebühne einen umfeierten Auftritt. Der diesjährige Auftritt im Kurhaus konnte daran nahtlos anschließen. Zwischenzeitlich hat die Band 2020 ihr Debütalbum „Rookery“ herausgebracht, welches direkt auf Platz 3 der Albumcharts eingestiegen ist. Und so standen dieses Mal verständlicherweise viele Songs dieses Albums auf der Setlist. Bei ihrer ersten In-House Show seit Corona war das Publikum von Beginn an voll mit dabei, die gute Laune war in der Luft greifbar und es wurde fleißig mitgetanzt und mitgesungen, und das nicht nur bei den großen Hits „Wild Stare“ und „Watershed“, sondern auch bei alten Klassikern wie „New Estate“. Die Kombo um die beiden Cousins Frederik Rabe und Finn Schwieters hat dafür gesorgt, dass auch der letzte Zweifler von den Livequalitäten der Band überzeugt wurde. Man darf gespannt sein, was man noch alles von den Giant Rooks hören wird, steht für die Band 2021 wohl noch ein großes Highlight an: eine USA und Kanadatour mit Milky Chance.
Zoe Wees ist seit letztem Jahr nicht nur in Deutschland in aller Munde. Der weltweite Erfolg der sympathischen Hamburgerin mit den charakteristischen pinken Zöpfen ist ein einziger Traum. Ihr Song „Control“, der Anfang letzten Jahres zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Pandemie veröffentlicht wurde, hat die ganze Welt im Sturm erobert. In diesem verarbeitete die junge Sängerin ihre Erfahrungen mit Epilepsie. Auch beim SWR3 New Pop Festival am Samstag war die Performance von „Control“ eines der absoluten Highlights. Zoes Stimme ist groß: mal soulig, mal rockig bringt sie ihre Songs auf die Bühne. Dabei kann man leicht vergessen, dass Zoe eine deutsche Künstlerin ist, der Gesamteindruck ist 100% international. Highlights war für mich der emotionale Song „Daddy’s Eyes“, ein Song über ihren Vater, den sie erst mit 16 Jahren kennengelernt hat und dabei festgestellt hat, dass sie seine Augen hat – was zunächst zu großer Wut geführt hat. Ebenfalls erwähnenswert: die Performance ihrer neuen Single „That’s How It Goes“ mit viel Bass und einem tollen Gitarrensolo, die diesen Freitag veröffentlicht wird.
Bei meinem letzten Konzert des Abends sollte zum Abschluss nochmal ordentlich abgerockt werden. Der Brite Tom Grennan schickte sich an, das Kurhaus abzureißen. Seitdem ich den Sänger Ende 2018 vor seinem Münchner Konzert interviewt habe, hat sich bei ihm viel getan. Den Traum, so groß wie Michael Jackson zu werden hatte er schon immer, und ich muss sagen, dass er definitiv einen Schritt in die richtige Richtung getan hat. Tom hat Entertainer-Qualitäten und heizte dem Publikum ordentlich ein, das seine rockigen Songs enthusiastisch abfeierte, inklusive einem gemeinschaftlichen Jump-Fest bei „Sober“ und Disco-Atmosphäre bei „By Your Side“, der Kollaboration mit Calvin Harris. Mit dem Radio-Hit „A Little Bit Of Love“ entließ uns Tom mit viel Liebe in den Abend.
Neben den vielen einmaligen Livekonzerten der New Pop Künstler*innen 2021 wurde auch wieder eine TV Musikshow für das Fernsehen aufgezeichnet, bei der ich ebenfalls mit dabei sein konnte. Moderator Guido Canz führte unterhaltsam durch die Show und lockerte die musikalischen Auftritte durch musikalische Spiele mit der Raterunde auf, bestehend aus Tahnee, Elena Uhlig, Pierre M. Krause und Oliver Pocher. Neben Auftritten der New Pop Veteranen Alice Merton, Winzent Weiss und Rag’n’Bone Man wurden wir von Zoe Wees und Nathan Evans, dem Wellerman, bestens unterhalten. Die Hannoveraner Band Fury In The Slaughterhouse wurde darüber mit dem Pioneer of Pop Preis geehrt. Ausgestrahlt wird SWR3 New Pop – Das Special am 24. September um 23.45 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen.
Danke SWR3 dafür, dass ihr trotz der erschwerten Umstände alles dafür getan habt, dass dieses Festival 2021 tatsächlich stattfinden konnte. Es waren nicht nur für mich, sondern bestimmt auch für den Großteil der Zuhörer*innen in diesem Jahr eine der wenigen Gelegenheiten, Livemusik zu erleben und wieder daran erinnert zu werden, dass Instagram Live Sessions zwar ein kurzweiliger Zeitvertreib sind, sie aber nichts gemein haben mit der Energie, die bei einem richtigen Konzert entsteht. Ich werde die Konzerterlebnisse der drei Tage noch sehr lange mittragen und mit einem Lächeln auf den Lippen an die Konzerte zurückdenken. Wir sind einfach nur happy und freuen uns schon auf 2022.
Ausstrahlungstermine der Konzerte:
SWR Fernsehen:
- Montag, 04.10.2021 00:30 Uhr Tom Gregory, Sigrid
- Montag, 11.10.2021 00:30 Uhr Álvaro Soler, Dotan
- Montag, 18.10.2021 00:30 Uhr Celeste, Griff
- Montag, 25.10.2021 00:30 Uhr Zoe Wees, Giant Rooks
- Montag, 01.11.2021 00:30 Uhr Rag’n’Bone Man, Wrabel, Tom Grennan
Auf 3sat werden einige der Einzelkonzerte am Montag, den 04.10.2021 ausgestrahlt:
02:25 Uhr Rag’n’Bone Man
03:10 Uhr Giant Rooks
03:55 Uhr Álvaro Soler
04:40 Uhr Dotan