Im Jahr des Weltuntergangs versucht das Brightoner Duo Blood Red Shoes das Trübsal nachhaltig mit ihrem dritten Album „In Time To Voices“ zu vertreiben. Wo frühere Stücke oft von Wut und Hass geprägt waren, kommt nun eine versöhnlichere Seite von Laura-Mary Carter und Steven Ansell zum Vorschein. Auch beim Interview mit Ansell, kurz vor dem Konzert im Berliner Postbahnhof, strahlt man nur so vor Selbstbewusstsein, Optimismus und mutiger Offenheit. Und dass alles, obwohl der Schlagzeuger und Sänger ganz offensichtlich schon längst seine Seele dem Teufel verkauft hat.
Was hast du von der Plattensammlung deiner Eltern gelernt?
Mein Vater hat mich bei seinen Platten immer auf Fehler hingewiesen und gemeint, dass daran nichts verkehrt sei. Er spielte mir The Rolling Stones, Led Zeppelin oder David Bowie vor und sagte zu mir, dass Fehler nicht das Problem seien und die Musik erst menschlich und interessant machen. Es gibt eine bestimmte Art von Perfektion, die gut ist und eine andere Art von Perfektion, die vollkommen seelenlos sein kann. Für mich sind Fehler also absolut in Ordnung, so lange es sich trotzdem richtig anfühlt. Und das ist so eine Sache, die ich für mich mitgenommen habe. Obwohl ich als Kind noch gar keine Ahnung davon hatte, was er mir damit genau sagen wollte. Aber nach einer Weile habe ich es dann verstanden. Viele Songs von The Rolling Stones sind unrein. Aber niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, dass zum Beispiel „Sympathy For The Devil“ schlecht klingt. Es ist ein fantastischer Song, obwohl der Gesang oft unrein ist. Hätte jemand im Nachhinein den Gesang begradigt, würde das Stück seinen Reiz verlieren.
Was hast du aus den Fehlern deiner Eltern gelernt?
Mein Vater konnte nie mit Geld umgehen und meine Mutter hat sich deshalb umso mehr darum gesorgt. Als es also mit der Band losging und wir unser erstes Geld vom Label bekamen, bin ich von der ersten Sekunde an sehr vorsichtig damit umgegangen. Ich wollte auf keinen Fall das Falsche damit machen. Somit war ich immer der, der sich über das Geld die Gedanken gemacht hat. Laura meinte zu Beginn dazu, dass ich sie damit langweilen würde. Aber ich konnte dem nur entgegensetzen, dass sie es noch schätzen lernen wird. Wir haben uns gerade mal ordentliches Equipment gekauft und ansonsten ist es so, dass sich jeder nur einen kleinen Geldbetrag im Monat nehmen darf, um es nicht grundlos verpulvern zu können. Dafür habe ich einfach zu oft mit ansehen müssen wie sich meine Mutter um Geld Sorgen gemacht hat. Dabei waren wir nicht einmal besonders arm. Mein Vater war aber selbstständig und musste den Papierkram allein erledigen und darin war er echt schlecht. Er hat zum Beispiel immer Schwierigkeiten damit gehabt Quittungen aufzubewahren und das hat meine Mutter ganz verrückt gemacht. In dieser Hinsicht war er wirklich ein Idiot.
Kann deine Mutter überhaupt noch ruhig schlafen, wenn ihr Sohn doch ein Musiker mit unregelmäßigem Einkommen ist?
Ach, ich bin verdammt reich! Deshalb trage ich auch Converse Schuhe und habe ein Haus aus Gold und Kristallen und einem Pool auf dem Dach. Und das alles nur durch die Blood Red Shoes! (lacht) Aber ehrlich gesagt, wohne ich zur Zeit nirgendwo. Wir sind so viel auf Tour, dass ich aus meiner Wohnung ausgezogen bin und jetzt quasi obdachlos bin.
Und plötzlich wird der Tourbus zum Zuhause.
Das Touren ist mein Zuhause. Egal in welchem Hotel wir absteigen – es ist mein zu Hause. Wenn ich mit Laura unterwegs bin, fühle ich mich überall in der Welt mehr zu Hause, als hätte ich irgendwo eine Wohnung. Als ich eine Wohnung hatte, war das nur eine Sache für eine kurze Zeit, in der ich es mir kaum wohnlich eingerichtet habe. Hauptsächlich war es für mich ein Ort, an dem ich schlafe. Zu Hause ist für mich da, wo die Band ist. Ich vermisse auch nichts. Wir scherzen oft darüber, dass ich kein Herz habe, weil ich meine Freunde und meine Familie nicht vermisse. Es ist komisch, dass zuzugeben. Aber ich würde lügen, wenn ich das Gegenteil behaupten würde. Hin und wieder kommt mir der Gedanke, dass es schon wieder sechs Monate her ist, dass ich meine Schwester gesehen habe. Das überrascht mich dann schon. Aber die meiste Zeit bin ich so im Bandalltag drin, dass ich nicht daran denke und auch niemanden vermisse. Wir haben auf Tour einfach eine fantastische Zeit miteinander.
Worüber unterhält man sich mit außenstehenden Menschen, wenn nicht über den Touralltag, der einen immer umgibt?
Die meisten meiner Freunde interessieren sich nicht für meine Band, was gut ist. Ich kenne viele Leute, die in einer Band spielen, und nur Freunde haben, die die Band super finden. Ich denke, dass das nicht gut für sie ist. Sie hören immer nur wie großartig sie sind und das macht sie ganz wirr im Kopf. Ich habe eine Menge Freunde, die einfach nichts mit unserer Musik anfangen können. So können wir über alles Mögliche reden, nur eben nicht über die Band. Sie fragen sich nur manchmal wie ich das täglich machen kann und wo ich überhaupt jede Nacht schlafe. Und ich sage dann immer nur, dass man eben viel im Van ist, was echt langweilig ist.
Aber trotz der gähnenden Langeweile gehen Bands immer wieder auf lange Tourneen.
Ja klar, dass Reisen kann einen schon mal in Sorge versetzen, aber ich liebe es, jede Nacht live spielen zu können. Es macht für mich Sinn. An diesen Tagen wache ich auf und weiß, dass ich etwas tun werde, das mir selbst wichtig ist. Ich hasse das Gefühl, wenn ein Tag keinen bestimmten Zweck dienlich ist. Das kann ganz schön deprimierend sein. Wenn wir eine Tour beenden, nehmen wir uns in der Regel ein paar Wochen frei, um runterzukommen und danach wieder mit neuen Ideen ans Werk zu gehen. In dieser Zeit ist es meist so, dass ich zunächst drei Tage durchschlafe und dann total niedergeschlagen bin. Ich frage mich, was ich mit mir anfangen soll und wer ich überhaupt bin. Wenn ich nicht in der Band bin, wer bin ich dann eigentlich? Das ist ein wirklich komisches Gefühl und deshalb freue ich mich immer darauf wieder auf Tour gehen zu können. Es wird auch immer schwieriger, über etwas anderes als Musik zu reden. Man vergisst, dass es noch mehr auf der Welt gibt als Musik. Die Welt ist eigentlich nur noch Müll und man selbst befindet sich in dieser Rock’n’Roll-Blase und kriegt nichts mit.
Wird man dadurch zynischer?
Naja, wenn mich Freunde, die nicht in der Band sind, fragen, was ich am Wochenende mache, sage ich immer, dass ich arbeite. Was für sie ein großer Witz ist, weil sie das nicht als Arbeit ansehen. Ich bringe sie damit gerne zum Lachen, weil ich ja weiß, dass es nicht die schlimmste Arbeit ist. Es ist harte Arbeit, aber nicht schlimm. Das macht für mich einen großen Unterschied.
Wenn es zur schlimmen Arbeit wird, sollte man wohl damit aufhören.
Das stimmt. Ich möchte später zurückblicken und sagen können, dass wir all die Alben bestmöglich umgesetzt haben. Ich denke, dass wir eine dieser Bands sind, die für eine lange Weile da sein werden. Wir sind schon so oft so kurz davor gewesen uns zu trennen und sind dann wieder darüber hinweggekommen, dass ich sagen kann, dass wir verdammt solide sind. Wir haben eine Menge Ideen, was wir noch musikalisch erreichen wollen. Ich möchte mir einfach sicher sein, dass wir uns stets so weit wie möglich vorantreiben und das auch auf eine ehrliche Art und Weise. Zum Beispiel ist unser neues Album im Vergleich zu unseren letzten Alben sehr anders. Aber wir mussten es so machen – alles andere wäre eine Lüge gewesen, weil wir uns nicht so wie bei den anderen beiden Alben gefühlt haben. Ich will immer diese Ehrlichkeit bei meiner Kreativität haben. Also wenn ich weiß, dass mein Herz nicht richtig dabei ist, dann sollte ich es definitiv sein lassen. Von dem Vorsatz möchte ich mich nie abbringen lassen. Manche Sachen könnten einen natürlich schneller berühmt oder reich machen, aber es würde die Kunst versauen. Ich kenne Bands, die das gemacht haben, was man ihnen gesagt hat und sie bereuen es nun. Es gibt so viele Sachen in der Musikindustrie, die einen ablenken können. Ein paar Dinge muss man aber auch akzeptieren. Wenn man zum Beispiel auf einem Festival spielt, wird das Ganze meist von einer Biersorte oder Ray Ban oder so beworben. Das nehme ich hin, weil ich eben gern auf dem Festival spielen will. Aber wenn man jetzt einen Song für eine Werbung hergeben soll oder für eine bestimmte Kleidermarke werben soll, indem man nur diese Marke trägt, finde ich das einfach zu kommerziell. Es bringt einen nur von der Musik weg. Man sollte sich jedoch darauf fokussieren, ansonsten geht etwas Wichtiges verloren.
Am Anfang eurer Bandgeschichte wusstet ihr nicht wie ihr euch nach Außen hin präsentieren wollt. Wie seht ihr euch jetzt?
Zu Beginn hatten wir echt keinen Schimmer. Wir haben dadurch gelernt, dass andere für einen die Entscheidungen treffen, wenn man sich selbst nicht darum kümmert. Es ist eben so, dass Rock’n’Roll-Musik von Anfang an ein Gesicht hatte und dieses Image sich immer weiter gezogen hat. Natürlich kann man sagen, dass man sich nicht um dieses Image schert und ich verstehe das auch, aber man muss in irgendeiner Art und Weise eine visuelle Identität haben. Ansonsten werden andere Menschen diese für einen erfinden. Sie werden sehen, was sie sehen wollen. Man muss der Musik einen Kontext geben. Am Anfang haben wir einfach alles gemacht, worum uns die Leute gebeten haben. Modemagazine baten uns darum vorbei zu kommen und irgendwelche verrückten Klamotten und wildes Make-up dazu zu tragen und wir wollten gern zusagen. Aber wir mussten realisieren, dass auch Leute, die unsere Musik nicht kennen uns in solchen Modemagazinen sehen konnten und damit der Eindruck erweckt wird, dass wir so eine Art Modeband wären. Aber das sind wir nicht im Geringsten. Wir mussten erst lernen was für einen großen Effekt solche Sachen haben können. Die Leute beurteilen einen nicht nur nach der Musik, die man macht. Man muss sich selbst irgendwie zu präsentieren wissen. Und wir haben das nun mehr unter Kontrolle. Das heißt, wir müssen einfach nur wir selbst sein und bei einem Fotoshooting unsere eigenen Klamotten tragen. Wenn uns etwas nicht behagt, sagen wir auch mal ‚nein’. Es ist unsere verdammte Band und darum geht es in erster Linie. Wenn das Foto nicht zu uns passt, hilft auch eine gute Idee nicht. Wenn wir es vermasseln, sind wir die Betroffenen und nicht irgendwer anderes. Manchmal muss man ein Arschloch sein. Man muss alles, was man kontrollieren kann, kontrollieren – jeden Gedanken, alles was man gibt.
Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb man nicht müde wird über euch zu sprechen. Obwohl die Vergleiche mit The White Stripes verstummt sind und neue wie mit The Subways dazu kamen.
Es gibt uns schon zu lange als das man noch über uns sagen könnte, dass wir beispielsweise wie The Kills klingen. Wir klingen auch kein bisschen wie The Subways. Kommt der Vergleich daher, weil es da einen Typen und ein Mädchen gibt und beide singen? Ich meine, wir sind gut befreundet mit The Subways – sie würden das auch so sehen. Sie sind vielmehr eine Popband und wollen gern so was wie The Wombats oder Oasis sein, eben mehr Britpop. Wir wollen dagegen die Popversion von Sonic Youth sein.
Zu welcher Band seid ihr das komplette Gegenteil?
Das letzte Mal als ich Bands genannt habe, die ich nicht mag, hat mir das eine Menge Ärger eingebracht. 14-jährige Mädchen wünschten mir via Twitter den Tod. Eine Nachricht war so in der Art: „Ich hoffe du stirbst an Aids“. Das war heftig. Nur weil ich ihre Lieblingsband nicht mag. Deswegen passe ich jetzt auf, was ich sage. Aber ich würde mal sagen, dass wir das komplette Gegenteil von der Band Spector sind. Die gibt es irgendwie schon seit Ewigkeiten und sie verändern ständig ihren Namen, ihr Line-Up, ihr Image, ihren Sound. Ihnen geht es mehr um Erfolg als darum eine echte Band zu sein. Als The Vaccines in England groß wurden haben sie deren Style kopiert, weil es ihnen nur darum geht. Sie sind also all das, was wir nicht sind. Wir haben nicht mit der Band begonnen, um groß rauszukommen und wir folgen auch keinen Trends. Wir existieren für uns und machen Dinge aus uns selbst heraus.
Kostest du den Augenblick immer zu hundert Prozent aus?
Ich kann mich manchmal gedanklich verlieren, aber wenn wir live spielen, bin ich jede Sekunde genau da und nur da. Nach einem Konzert kann ich kaum das nächste erwarten. Wir haben schon so viele Shows gespielt und ich kriege immer noch dieses aufgeregte Gefühl das mir sagt, dass mich der morgige Gig richtig umhauen wird. Vielleicht bin ich ja auch aus einer Art Stupidität heraus so glücklich mit der Situation. Aber dann mag ich diese Stupidität. Es macht mich zufrieden.
Als Songschreiber muss es schwierig sein den Moment konzentriert zu genießen, wenn man immer darüber nachdenkt, ob das jetzt eine gute Zeile für einen Song wäre, oder?
Oh ja, man denkt immer darüber nach. Ich habe die Biografie von Keith Richards gelesen. Er schreibt darüber, dass Songwriter die Art von Mensch sind, die immer ein Stück von sich selbst zurückhalten, weil sie nie ganz damit aufhören können über Songs nachzudenken. In ihrem Kopf dreht es sich immer darum, ob dies oder das eine gute Melodie oder Textzeile wäre. Als ich das las, sah ich darin die absolute Wahrheit. Denn ich kenne das von Unterhaltungen, dass ich mir ständig kleine Notizen mache. Selbst, wenn ich ein Buch lese, muss ich es für einen Gedanken dazu unterbrechen. Die Leute glauben, dass man verrückt ist. Wenn ich die Straßen entlanglaufe, singe ich meist unbewusst, obwohl ich keinen iPod dabei habe. Wenn ich keine Musik höre, ist da was in mir, das Musik kreieren will. Man hat dadurch immer ein bisschen Distanz zu den Dingen. Manchmal muss ich dagegen ankämpfen, um auch wieder Teil einer Konversation zu werden, aber so ganz hört das nie auf. Durch unser vieles Touren ist es noch schlimmer, weil alles immer nur kurz anhält. Die Band ist die Einheit, sie ist immer dabei und bringt einen von anderen Sachen weg. Deswegen denken auch viele, die mit einem Musiker zusammen sind oder waren, dass sie Arschlöcher sind, weil sie lieber unterwegs als beim Partner zu sein scheinen.
Du erwähntest die Keith Richards Biografie. Präferierst du es Biografien zu lesen?
Ich liebe Biografien! Einsteins Biografie ist großartig, genauso wie die von Simone de Beauvoir. Solche Bücher kann ich immer lesen. Man kommt leicht rein und kann zwischendrin auch etwas anderes machen. Bei fiktionalen Büchern muss man sich wirklich in die Welt einfühlen und wenn ich so etwas auf Tour lese, zögere ich Sachen wie den Soundcheck immer weiter hinaus, weil ich nicht mit dem Lesen aufhören kann. Außer natürlich ich möchte mir manche Gedanken dazu aufschreiben für einen Text oder so. Der Song „Slip Into Blue“ ist zum Beispiel inspiriert von dem Buch „Zen In The Art of Motorcycle Maintenance“. Das ist ein amerikanisches Buch aus den 70ern. Und wenn ich jetzt mit etwas Abstand den Song höre, kann ich in einigen Textpassagen genau hören, welch großen Effekt das Buch auf mich hatte. Man sichert sich immer wieder bestimmte Dinge für Songtexte. Eigentlich habe ich ein schlechtes Gedächtnis, ich vergesse von jedem den Geburtstag. Aber ich erinnere mich immer an einzelne Wörter und Melodien. So etwas behalte ich für mich, es wird ein Teil von mir. Es gibt ja diesen Mythos vom Scheideweg, wo man hingeht, um seine Seele dem Teufel für Rock’n’Roll zu verkaufen. Als Kind habe ich das nicht verstanden, aber in den letzten zwei Jahren habe ich es zu verstehen gelernt. Man macht eine Entscheidung für’s Leben. Wenn man sich dem Rock’n’Roll verschreibt, verliert man ein Stück seiner Seele. Man opfert sich auf, indem ein Stück vom Selbst für die Kunst zurückgehalten wird und so wird niemals jemand diesen Teil von einem erreichen. Irgendwie wird dadurch ein bisschen von der Menschlichkeit eingebüßt. Man ist immer ein bisschen von anderen Menschen, selbst von seinem Partner, entfernt. Dadurch verpasst man zum Beispiel wichtige Sachen, die in der Familie passieren. Wenn ich viel darüber nachdenke, ist es schon traurig. Aber ich habe mich nun mal ganz der Kunst verschrieben. Davon werde ich so sehr gelenkt, dass manche Dinge auf der Strecke bleiben. Dennoch muss das so sein. Würde ich immer noch etwas anderes im Blick haben, würde ich nie eine Sache mit dem ganzen Herzen machen.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg