Ich habe ohne Zweifel ein Faible für Color-Coding, wenn es um den Auftritt von Musikern geht. Jack White beansprucht für seine Soloarbeit die Farbe blau, bei Anna Calvi ist es rot – Blood Red Shoes, die Band von Laura-Mary Carter und Steven Ansell, hat für das Artwork ihres neuen Albums „Get Tragic“ nun grün gewählt. Bei unserem Gespräch im kalten Berliner Winter trägt Laura deshalb einen dicken, grünen Schal zu ihrem super schicken, schwarzen Lederoverall. Als sie den Schal irgendwann ablegt finde ich das schon fast schade, aber: darunter blitzt ein kleines, grünes Halstuch auf. Super schick! Grün ist ja bekanntlich die Farbe der Hoffnung, und nach all den Jahren der Zusammenarbeit als Duo und einer wichtigen Pause, haben Blood Red Shoes allen Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Denn sie haben ein großartiges neues Album im Gepäck, auf das sie zurecht stolz sehr sind. Warum die Pause für die beiden so wichtig war, was seitdem anders ist und wie die Zusammenarbeit mit Producer Nick Launay war, haben mir Laura und Steven im Interview erzählt.
Laura, wir beide haben uns zuletzt beim Hurricane Festival getroffen.
Laura: Das muss 2014 gewesen sein. Lange her. Seitdem ist viel passiert.
Ich erinnere mich, wie wir darüber gesprochen haben, dass ihr beide eigentlich noch nie wirklich eine Pause gemacht habt. Ich hatte dich gefragt wie ihr es schafft, euch nach so langer Zeit noch ertragen zu können. Du meintest, ihr würdet euch immer wieder vornehmen eine Pause zu machen, es am Ende aber doch nie tun.
Laura: Ja, das haben wir damals immer gesagt.
Steven: Jetzt haben wir es endlich getan.
Laura: Ich glaube, man realisiert oft nicht, was gut für einen ist…
Steven: …bis es fast zu spät ist.
Laura: Wir mussten irgendwann einfach aufhören und alles noch einmal neu überdenken. 2015 haben wir angefangen am nächsten Album zu schreiben. An dem Punkt ist uns bewusst geworden, dass es so nicht funktioniert. Dass wir eine Weile jeder unser eigenes Ding machen mussten. Am Ende ist es eine längere Pause geworden als wir ursprünglich geplant hatten.
Steven: Es war gesund. Nachdem es bei uns so lange Zeit nur um die Band und nichts anderes mehr ging war es verwirrend, plötzlich keinen Fixpunkt mehr zu haben, um den sich alles dreht. Wir wussten nicht wann wir weitermachen, ob wir weiter machen… was machst du mit deinem Tag, wenn du morgens aufstehst? Wir haben mit der Band angefangen als wir sehr jung waren, und es war alles, was wir zu dem Zeitpunkt in unserem Leben gemacht hatten. Wenn man plötzlich aufhört, muss man sich emotional erst einmal neu sortieren.
Ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön beängstigend ist.
Steven: Scheiß beängstigend. Es geht schließlich um deine Identität.
Laura: Ich bin froh, dass wir es damals gemacht haben und nicht jetzt erst. Je länger wir weiter gemacht hätten, umso größer wäre der Bruch am Ende gewesen.
Steven: Wenn wir länger weiter gemacht hätten, wäre die Band heute tot. Da bin ich mir sicher. Ich glaube, es hätte eine große Explosion gegeben, von der wir uns nicht mehr erholt hätten.
Wenn man erst einmal aufhört, hat man dann auch Angst, dass man den Punkt wieder anzufangen vielleicht nie wieder findet?
Laura: Ja. Aber das war ein Risiko, das wir eingehen mussten. Wir brauchten die Zeit um… ich will jetzt nicht sagen uns neu zu finden, das klingt so cheesy. Du verstehst hoffentlich was ich meine.
Steven: Wir hatten uns auseinander gelebt und mussten einen Weg zurück zueinander finden. Aber zu einem anderen Miteinander als vorher.
Laura: Vor allem mussten wir ein bisschen Privatleben haben. Das hatten wir einfach nicht. Wir haben jahrelang wie ein Paar miteinander gelebt. Das Leben haben wir uns ausgesucht und ich bereue es nicht, aber…
Steven: …wir mussten wieder lernen ein Mensch zu sein (lacht). Musik hat mein Leben völlig verändert. Sie ist heute der wichtigste Teil meiner Existenz. Ich schätze sie so sehr, dass ich sie niemals nebenher laufen lassen möchte. Einfach nur, weil ich mich verpflichtet fühle mit etwas weiter zu machen. Wenn wir weiter gemacht hätten, hätte das die Musik herabgesetzt. Sie wäre dann nur noch unser Job gewesen. Ohne Leidenschaft beleidigst du die Musik (lacht). Nach der Pause wollte ich nichts mehr als ein neues Album aufzunehmen und auf Tour zu gehen.Okay, jetzt hatte ich eine Runde normale Leben, und ich finde es scheiße (lacht). Schickt mich zurück auf Tour!
Ich wollte gerade fragen, was habt ihr in der Zeit denn nun gemacht?
Steven: Wir haben tatsächlich viel Musik gemacht. Nur nicht gemeinsam.
Laura: Ich habe mit verschiedenen Leuten zusammen gearbeitet, versucht mal mit anderen Leuten Songs zu schreiben. Ein paar Jobs gemacht, die nichts mit Musik zu tun hatten. Und ich bin einfach mit meinen Freunden ausgegangen. Es mag seltsam klingen, aber das war etwas völlig Neues für mich. Wenn du ständig weg bist, fragen deine Freunde dich irgendwann nicht mehr, ob du ausgehen möchtest. Auf Tour bin ich meistens nicht besonders sozial. Also habe ich mir ein paar Freunde gesucht. Vor allem Freundinnen, weil ich die letzten 15 Jahre meines Lebens meistens von Männern umgeben war. Ansonsten… ich weiß nicht. Podcasts habe ich viel gehört. (zu Steven) Und du?
Steven: Ich habe hauptsächlich Musik gemacht, habe andere Bands produziert. Wir haben auch ein eigenes Label, deshalb habe ich die Zeit genutzt um dort mehr beim Tagesgeschäft zu helfen. Ich kann nicht aufhören Musik zu machen, da bin ich ziemlich zwanghaft. Aber so konnte ich es aus einem anderen Blickwinkel mit anderen Leuten machen.
Laura: Wir sind da ein bisschen unterschiedlich. Steven muss immer Musik machen. Ich muss, um Songs schreiben zu können, in einem sehr bestimmten Geisteszustand sein. Meine Umwelt beeinflusst mich da extrem. Deshalb tendiere ich dazu, oft tagelang keine Musik zu machen. Dann, plötzlich, bin ich inspiriert und schreibe schnell einen ganzen Song. Steven muss ständig in irgendeiner Form mit Musik zu tun haben. Ich muss das nicht. Das heißt aber nicht, dass ich nicht genauso aus vollem Herzen Musikerin bin.
Steven: Ich glaube, durch die Pause haben wir gelernt, einander besser zu verstehen und diese Unterschiede besser akzeptieren zu können.
Laura: Als Duo wird man ständig miteinander verglichen. Auch wir beide, untereinander. Warum bist du nicht so, warum kannst du das nicht so machen… jetzt haben wir gelernt zu akzeptieren, dass wir sehr unterschiedlich sind und dass die Art, wie wir an Musik herangehen und über sie denken unterschiedlich ist.
Steven: Wir brauchten die Zeit, um zu reflektieren. Jetzt, wo ich auch mit anderen Leuten zusammen gearbeitet habe, verstehe ich auch besser, wie ich mich Laura gegenüber verhalte. Wir hatten fast ein Jahrzehnt lang einfach keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich denke, wenn man sagen kann, dass dieses Album ein übergeordnetes Thema hat, dann ist es Selbstakzeptanz. Heute können wir beide in der Musik viel mehr wir selbst sein.
Ich erinnere mich wie Laura mir damals erzählt hat, dass ihr euch 2013, für euer Album „Blood Red Shoes“ entschieden habt, alles völlig im Alleingang und abgeschottet von der Außenwelt aufzunehmen und zu produzieren. Das hat mich beeindruckt, dass ihr euch nach all den Jahren, die ihr zusammen Musik macht, noch so aufeinander einstellt.
Steven: Weißt du was, rückwirkend betrachtet wirkt das einfach nur komplett wahnsinnig (Gelächter).
Diesmal habt ihr den komplett anderen Weg gewählt und mit einem Produzenten gearbeitet.
Steven: Das war mit Sicherheit eine Reaktion auf das Album davor. Wir hatten uns mit dem Produzenten, mit dem wir vorher gearbeitet haben, entzweit und hatten ein bisschen das Vertrauen darin verloren, dass es Menschen gibt, die unsere Art Musik zu machen gut umsetzen können.
Wie seid ihr dann darauf gekommen, dass Nick Launay der richtige Mann für den Job sein könnte?
Laura: Wir haben einfach eine Liste von Producern gemacht, mit denen wir gerne arbeiten würden. Er war derjenige, der sich am enthusiastischsten bei uns zurück gemeldet hat. Er meinte sofort lass es uns tun.
Steven: Es fühlte sich richtig an, weil wir immer mehr Zeit in Los Angeles verbracht haben, wo er lebt. Also konnten wir ihn einfach treffen. Die Elemente aus den Demos, die wir ihm gesendet hatten, die er sich raus gepickt hat, waren auch die, die wir am liebsten mochten. Das waren nicht die, die am poppigsten waren oder die beste Single hergegeben hätten, sondern die, die am meisten das Gefühl unserer Musik transportiert haben. Er kam genau zum richtigen Zeitpunkt, als wir jemanden brauchten, der sich das Ganze von außen anguckt und uns das Gefühl gibt, dass wir nicht langsam den Verstand verlieren. Sondern dass das, was wir machen, einfach verdammt gut ist.
Laura: Wir hatten zu dem Zeitpunkt viele Probleme, wegen Rechten und mit Managements. Leute wollten Geld von uns, das wir einfach nicht hatten. Irgendwann dachten wir vielleicht ist das ein Zeichen und wir sollten einfach aufhören. Dann kam er und hat gesagt auf gar keinen Fall, diese Songs sind viel zu gut. Er hat uns abgekoppelt von diesen äußeren Faktoren, die uns wahnsinnig gemacht haben. Steven hat ihn übrigens das erste Mal in einem Goth Club getroffen.
Steven: Das war völlig verrückt. Ich weiß nicht mehr genau warum, aber Laura konnte nicht dabei sein. Er meinte wir treffen uns dort, ich setze dich auf die Gästeliste. Es ist ein Goth Club nur für Mitglieder, du musst unbedingt schwarz tragen, sonst kommst du nicht rein. Drinnen darfst du nicht dein Handy benutzen oder Fotos machen, alles was dort passiert ist geheim. Ich dachte: worauf zum Teufel habe ich mich eingelassen?! Du kommst da hin, gehst durch die Tür und sie sagen dir all diese Regeln. Dann gehst du einen Gang entlang, der nur von einer Kerze in einer Ecke beleuchtet wird. Du kommst rein und denkst du bist in einer Kirche. Alle tragen schwarz, es gibt nur Kerzenlicht. Die Hälfte aller Drinks an der Bar sind schwarz gefärbt. Nachdem ich eine Weile dort gesessen habe, gucke ich heimlich auf mein Telefon und sehe, dass Nick Launay mir geschrieben hat: ich verspäte mich, es dauert noch ungefähr 45 Minuten. Als er endlich kommt, sieht er mich am Tisch sitzen und sagt: ich bin beeindruckt, du hältst dich gut (Gelächter). Ich glaube im Nachhinein, es war ein Initiationsritual. Das tollste an dem Club war aber: dort lief richtig gute Musik. Überhaupt kein Gothic! Gorillaz, Prince, all solche Sachen. Richtig spaßige Tanzmusik.
Goths have fun too!
Laura: „Goths have fun too“. Das ist eine super Aufschrift für ein T-Shirt.
Steven: Wir hatten sehr viele Songs geschrieben, stilistisch war das alles ein riesiges Durcheinander. Es gab welche, von denen wir dachten sie wären die besten, bei anderen waren wir uns nicht sicher. Jemanden zu haben dem du vertraust, dessen Namen auf vielen Platten steht die du liebst, der dir sagt: das ist großartig, mit diesen Elementen arbeiten wir… das war eine riesige Hilfe. Riesig! Danke, Nick! (lacht)