„Am besten wäre, wir würden alle drauf scheißen!“ – Gespräche mit MIBLU, Lisa Pac und My Ugly Clementine

MIBLU © Stefan Robitsch

Ich bin mit einer großen Bewunderung für Frauen und Popmusik aufgewachsen. Madonna, Cyndi Lauper, Janet Jackson, das waren in den achtziger Jahren meine Idole. Bis heute interessiere ich mich besonders für weibliche Stimmen in der Musik, für ihr Auftreten, ihre Anliegen und ihre musikalische Inspiration. Und so reifte bei mir irgendwann die Idee, mich beim diesjährigen Reeperbahn Festival gezielt mit Künstlerinnen zusammen zu setzen, die einiges verbindet und die natürlich sowohl ähnliche als auch unterschiedliche Ansichten haben. Drei von den Acts die ich dabei getroffen habe, möchte ich euch an dieser Stelle vorstellen.

Bei der Suche nach interessanten Kandidatinnen spielte der Zufall mir noch einen zweiten roten Faden zu. Ich blieb spontan bei zwei jungen Damen hängen, deren eigene Interpretationen elektronischer, weiblicher Popmusik mir sofort gefiel, und zwar MIBLU und Lisa Pac, sowie bei der Indie-Rockband My Ugly Clementine, bestehend aus Sophie Lindinger, Mira Lu Kovacs, Kathrin Kolleritsch und Barbara Jungreithmeier. Alle drei Acts verbindet, dass sie aus Österreich kommen – und dass sie auf unterschiedliche Weise einen Sound pflegen, dessen Herkunft einzuordnen im internationalen Vergleich auf positive Weise schwer ist. Offensichtlich schwappt da gerade eine Welle spannender Musik aus dem Nachbarland zu uns rüber, für welches ich zusätzlich ein Herz habe, da ich selbst in Bayern, direkt an der österreichischen Grenze aufgewachsen bin. Sophie Lindinger, der kreative Kopf von My Ugly Clementine, freut sich über meine Begeisterung für die österreichische Musikszene. „Die Vorurteile die der österreichischen Musikindustrie entgegen gebracht werden sind zum Teil schon hoch. Heute vielleicht nicht mehr ganz so stark. Aber wenn du früher gesagt hast wir sind eine Band aus Österreich, dann hieß es schnell okay danke, nicht interessiert,“ sagt sie, als wir am Reeperbahn Samstag bei herrlichstem Wetter am Spielbudenplatz in der Sonne sitzen. Sollte es diese Vorurteile tatsächlich immer noch geben, ich möchte versuchen, sie an dieser Stelle weiter zu entkräften

MIBLU: Funkelt

Als erstes treffe ich Miriam Orth-Blau aka MIBLU, die aus Wien zum Reeperbahn Festival gekommen ist, im Gepäck ihre frisch veröffentlichte Single „Get Off“, eine groovige Midtempo-Nummer, in der sie selbstbewusst ein negatives Gegenüber in die Wüste schickt. Miriam ist mit dem Kunsthandel ihrer Familie aufgewachsen, für den sie heute neben der Musik die Geschäftsführung macht, außerdem betreibt sie ihr eigenes Schmucklabel „Meshugge“. Musik war aber schon früh ein wichtiger Teil ihres Lebens, mit drei Jahren fing sie an Ballett zu tanzen, noch während sie die Schule fertig machte gründete sie ihre erste eigene Band. Ihr Soloprojekt MIBLU startete sie erst im letzten Jahr, und damit ist sie in so kurzer Zeit ganz schön weit gekommen.

„Den Plattenvertrag für MIBLU habe ich überraschend angeboten bekommen. Das war für mich der Punkt an dem ich sagen konnte okay, da leg ich mich nochmal richtig ins Zeug. Ich habe viel ausprobiert um zu schauen was funktioniert für mich, um an den Punkt zu kommen wo ich sagen kann: da sehe ich mich, das will ich weiter verfolgen,“ erzählt sie mir bei einem Kaffee in einer ruhigen Seitenstraße der Reeperbahn. Am Daumen trägt sie den ersten Ring, den sie als Schmuckdesignerin selbst gemacht hat. Ein großes Thema, auf das wir in unserem Gespräch immer wieder zurückkommen, ist Authentizität. „Man muss sich trauen einfach zu machen, auf sein Bauchgefühl hören, sich selbst treu bleiben,“ sagt sie. „Wenn mein Bauch mir sagt das ist gut so, dann mach ich das. Mich persönlich kriegt man auch mit Authentizität. Da ist es auch egal, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Ich glaube wir müssen wieder zurück zu den ursprünglichen Emotionen. Uns trauen auch mal wütend zu sein! Liebe zu zeigen, offen zu sein.“ 

Aber ist es denn immer so einfach, im Musikgeschäft seiner eigenen Authentizität treu zu bleiben, wenn man vorankommen will? Mich interessiert vor allem, ob ihr schon einmal jemand nahegelegt hat, ihre eigenen Ansätze zu ändern um mehr Erfolg zu haben, und wenn ja, wie sie in diesem Fall reagiert hat. „Ja, Ich hatte früher schon die Situation dass man mir gesagt hat: sing auf deutsch, lass die Band weg. Dann wird das so und so,“ erzählt sie. „Ich habe gelernt nein zu sagen. Ich bin offen in jederlei Hinsicht, ich freue mich über jede Idee, höre mir alles an, schaue mir alles an. Aber in erster Linie habe ich gelernt auf meinen Bauch zu hören. Manchmal lasse ich mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen. Aber wenn es nein ist, ist es nein.“

Dass ihr Sound so international klingt, ist letztendlich auch kein Zufall, sondern eine von MIBLUS klaren Absichten. Wir plaudern lange über die Musik mit der wir aufgewachsen sind, die uns geprägt hat, und genauso wie ich hat sie ein Faible für die ganz großen Stars. Madonna, Michael Jackson, Whitney Houston, George Michael, das waren die Idole ihrer Kindheit und Jugend, und die beeinflussen sie auch noch heute. „Ich habe aufgehört klein zu denken. Ich denke groß! Ich will auf die großen Bühnen!“ ruft sie, und ihre Augen leuchten dabei vor Begeisterung. Ihre Denkweise ist auch völlig angebracht, man kann sich MIBLU genau dort sehr gut vorstellen.

Lisa Pac: Liebeslied für eine Katze

Lisa Pac © Robin Weigelt

Direkt im Anschluss treffe ich Lisa Pac, die kurz vor dem Reeperbahn Festival ihre neue Single „Helium“ veröffentlicht hat, einen sonnigen, extrem gute Laune verbreitenden Popsong, der genauso wie MIBLUs Songs locker im internationalen Vergleich mithalten kann. Ihre Vorgänger-Single „Sunshine“ nähert sich auf Spotify langsam aber sicher der 1 Millionen Plays Marke. Entsprechend steht Lisa der Möglichkeit, ihre Musik über Portale wie Spotify zu vermarkten, ausgesprochen positiv gegenüber, eine Ansicht, die übrigens auch MIBLU teilt. „Es ist total absurd!“ ruft Lisa aus, als wir uns über den Erfolg von „Sunshine“ auf Spotify unterhalten. „Ich freue mich so dermaßen und habe das nie erwartet, auch dass ich jetzt meinen ersten Gig in Deutschland spiele. Für eine junge Künstlerin wie mich ist Spotify auf jeden Fall ein super Forum. Ich entdecke auch selber viel Musik darüber, höre mir Künstler an die ein bisschen quirky und weird sind, alles was noch irgendwie neu klingt. Wer weiß, in einem Jahr ist das vielleicht das ganz große Ding.“

Auch mit dem Label „Pop“, dem manche Leute ja tatsächlich immer noch eine grundsätzliche musikalische Qualität absprechen wollen, hat Lisa überhaupt kein Problem, im Gegenteil. „Ich bin überhaupt nicht mit Popmusik groß geworden“, erzählt sie. „Angefangen habe ich mit klassischem Klavierunterricht. Mit 14 war ich eher auf der Jazz-Schiene und habe auf jeder Schulaufführung gesungen. Pop in dem Sinne ist erst so richtig in London zu mir gekommen. Davor habe ich mich mehr für Funk und Soul interessiert.  Seit ich 16 bin schreibe ich meine eigenen Songs. Es ist irrsinnig schwer, einen guten Popsong zu schreiben. Ganz früher habe ich Pop gehasst, ich dachte was für ein Scheiß mit vier Akkorden. Mittlerweile weiß ich wie schwierig es ist, einen guten Song mit nur vier Akkorden zu schreiben.“

Lisa möchte am liebsten auf einer Dachterrasse sitzen, was ihr Team im Handumdrehen löst. So sympathisch und entspannt wie sie ist, muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass wir ja ein Interview machen und nicht nur zum Spaß in der Sonne sitzen und quatschen. Zum Beispiel über ihre Katze der, wie Lisa mir gesteht, sie die ersten Zeilen ihres Songs „Helium“ gewidmet hat. „Ich war am Anfang so überwältigt von der Liebe, die ich für sie empfunden habe. Ich habe sie bekommen als sie ganz klein war und dachte ich brauche erstmal zwei Tage um herauszufinden, wie mein Leben mit ihr jetzt aussieht. Es sind aber nur die ersten zwei Zeilen. Ich dachte dann: Lisa, du kannst jetzt nicht wirklich einen Song über deine Katze schreiben,“ lacht sie. Auf eine sehr angenehme Weise wirkt sie sehr selbstbewusst, weshalb mich auch bei ihr interessiert, wie sie das „Frau sein“ in dieser Branche wahrnimmt, in der Frauen ja zum Teil immer noch, wie in so vielen anderen auch, einen etwas schwereren Stand haben. Lisa hat dazu eine ganz klare Meinung: „Wir Frauen können alles. Wir können alles genauso gut wie die Männer. Aber ich finde, man darf dem auch nicht zu viel Gewicht schenken. Ich werde ja auch oft gefragt wie ich mich fühle meine Songs selbst zu produzieren, weil es ja hauptsächlich männliche Produzenten gibt. Was ist das für eine Frage? Wie soll ich mich fühlen als weibliche Produzentin? Genauso wie ein Typ wahrscheinlich. Ich finde schon, dass man Frauen in solchen Positionen in den Vordergrund rücken sollte, weil es doch meistens die männlichen DJs oder Produzenten sind, die die großen Karrieren machen. Ich finde aber es sollte natürlich passieren. Wenn ich immer betonen muss dass ich eine Frau bin und eine Produzentin, dann kommt das ein bisschen verbittert rüber. Am besten wäre, wir würden alle drauf scheißen und einfach machen. Egal was alle anderen sagen!“

Lisas Katze hat übrigens einen Cameo-Auftritt im Lyric-Video zu „Helium“:

My Ugly Clementine: Verliebt über Skype

Am letzten Tag des Reeperbahn Festivals treffe ich Sophie, Mira und Kathrin von My Ugly Clementine, Barbara kommt etwas später dazu. Die Sonne scheint, die drei sind krachend gut drauf und vermitteln mir schnell und mühelos das Gefühl, dass hier Charaktere zusammen gefunden haben, die ein gutes kreatives Match sind. Dabei sind alle vier Mitglieder von My Ugly Clementine schwer aktiv auch in anderen Projekten. Schlagzeugerin Kathrin zum Beispiel steht zu dem Zeitpunkt kurz vor einer Premiere am Wiener Volkstheater und hat dieses Jahr zwei Singles mit ihrem Solo-Rap-Projekt Kerosin95 herausgebracht. Mira hat als Schmieds Puls bereits drei Alben herausgebracht, Barbara dem Projekt Daffodils ihre Stimme geliehen. Sophie ist Frontfrau der Band Leyya und der Grund dafür, dass die vier heute zusammen hier sitzen. „Ich war irgendwie immer im selben Kreis unterwegs und dachte, ich will jetzt neue Menschen, neue Musik, neue Interessen,“ erzählt sie über die Anfänge von My Ugly Clementine. Also suchte sie neue Mitstreiter, mit denen sie die Songs, die sie geschrieben hatte, umsetzen konnte, unter anderem über Instagram. Anfang dieses Jahres gab es ein erstes Treffen über Skype, bei dem man sich, so Mira, „direkt verliebt“ habe. Noch bevor die erste Single „Never Be Yours“ erschien, kündigten die vier ein gemeinsames Konzert an und stellten fest, dass das Interesse an ihrer Zusammenarbeit tatsächlich groß war.

„Wir haben einfach mal eine Facebook und Instagram Seite gemacht und ein Foto gepostet, ohne irgendwas releast zu haben,“ erzählt Sophie. „Irgendwie war es dann doch so, dass viele uns von irgendwoher schon kannten und neugierig waren, was wir jetzt zusammen machen. Der Song ist erst zwei Wochen später gekommen. Da war dann schon ein bisschen Druck dahinter, von wegen was wenn der Song den Leuten nicht gefällt…“ Die Sorge erwies sich als unbegründet, das angekündigte Konzert war innerhalb von Minuten ausverkauft. Ich frage Sophie, ob ihr von Anfang an klar war, dass sie bei My Ugly Clementine im Gegensatz zu ihrer Band Leyya nicht als Frontfrau auf der Bühne stehen würde. „Ja, aus mehreren Gründen. Erstens weil die Songs, die entstanden sind etwas härter und lauter sind. Ich finde meine Stimme ist eher sanft, ich habe sie in diesen Songs nicht gehört. Die brauchen mehr Energie, und das ist auch okay so. Zweitens habe ich mir gedacht ich möchte auch einmal hinten stehen und Bass spielen.“ Und auch Mira genießt es, zur Abwechslung einmal, wie sie es ausdrückt, „Sidewoman“ zu sein. „Es ist etwas anderes, als wenn ich mich selbst begleite,“ sagt sie. „Man muss ganz anders aufeinander hören. Ich lerne wahnsinnig viel dazu dadurch.“

Dass die Zusammenarbeit als My Ugly Clementine etwas Besonderes ist, merkt man dem  quietschvergnügten Quartett sofort an. Was das Miteinander so besonders macht, fasst Kathrin zusammen: „Wir haben alle schon ein paar Jahre Erfahrungen als Musikerinnen gemacht. Ich zum Beispiel weiß jetzt viel mehr was ich brauche, an Zwischenmenschlichem und an Kommunikation. Wir haben alle einen ähnlichen Anspruch, daran wie wir miteinander umgehen und was wir uns an Respekt geben.“ Und auch Mira stimmt ihr zu: „Diese Band stellt eine besondere persönliche Entwicklung für mich dar. Wenn man gewisse Dinge erreichen und dabei auch Spaß haben möchte, ist ein gesunder, respektvoller Umgang miteinander das Wichtigste.“ Und es stimmt, wie die vier miteinander umgehen, wie sie sich im Gespräch gegenseitig die Bälle zuwerfen und einander auch mal liebevoll auf den Arm nehmen, das hat etwas sehr positives, gesundes. Der Spaß dringt  förmlich aus allen Poren. 

Zum Abschluss gibt Kathrin mir noch etwas mit auf den Weg, das mich noch in diesem Moment beim Schreiben beschäftigt: „Es macht so viel aus, wie in der Presse über Musik geschrieben wird,“ sagt sie. „Wenn von uns ein Foto erscheint und man schreibt dazu ‚Frauenband‘, das bleibt sofort hängen. Ich fände es angenehm, wenn Leute das noch viel mehr weg lassen würden. Wie über Kunst geschrieben wird macht so viel aus. Und wenn bestimmte Beschreibungen immer weiter verwendet werden, dann zeichnet das die Band. Es tut sich aber auf jeden Fall etwas. Viel zu langsam, meiner Meinung nach, aber es ändert sich in eine coole Richtung, wo der Fokus mehr auf die wirklich interessanten Dinge gelegt wird.“

Meine drei Begegnungen haben mich auf sehr positive Weise dazu angeregt darüber nachzudenken, an welcher Stelle eine Betonung des „Frauenthemas“ angebracht ist. Was alle Musikerinnen, mit denen ich das Vergnügen hatte eindeutig verbindet ist mehr der Wunsch nach einer Natürlichkeit im Umgang miteinander als nach irgendeiner Form von bevorzugter Behandlung. Um dies zu erreichen, denke ich werden Frauen nicht immer darum herum kommen, hier und da verstärkt auf ihre Rechte zu pochen. Die Frauen, die ich beim Reeperbahn Festival kennenlernen durfte, scheinen dies aber auf eine angenehm unverkrampfte Art zu tun. Und was die Gespräche mit ihnen so besonders inspirierend gemacht hat: Sie sind ehrgeizig, sie haben eine Vision, und sie haben vor alle sehr viel Spaß an dem was sie tun. Deshalb dürfen wir, da bin ich mir sicher, in Zukunft noch viel von ihnen hören. 

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