Das Beste, was mein Spotify-Algorithmus je für mich getan hat, ist wahrscheinlich, dass er mich in die Welt von Fred again entführt hat. Es ist durch einen zufälligen Shuffle-Vorschlag passiert, weil ich – zu Arbeitszwecken – einen der Songs nachgeschlagen hatte, die er produziert hat. Es kommt wirklich selten vor, dass man zufällig auf etwas stößt und sofort denkt: „Wie kann das genau das sein, was ich jetzt brauche?“
Das erste von Fred agains drei „Actual Life“-Alben wurde im Frühjahr 2021 veröffentlicht, mitten in der Pandemie. Es hat in mir eine Leere augefüllt, die anfing sich in mir auszubreiten, verursacht durch die ständige Wiederholung von abwechselnd gelockerten und wieder verschärften Lockdowns. Da war sie, die druckvolle Energie der elektronischen Musik, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie so lange vermisst hatte. Aber auch die Auseinandersetzung mit grundlegenden, universellen Problemen, mit denen wir alle damals zu kämpfen hatten. Der Verzicht auf gemeinsame Erlebnisse wie Tanzen oder einfach nur mit anderen Menschen zusammen zu sein. Der Verlust eines geliebten Menschen. Aber auch der Gedanke, sich an den kleinen, erbaulichen Momenten zu erfreuen. Wie das Gesicht eines lieben Freundes zu sehen, und wenn nur über Facetime. Und die Musik. Niemand kann dir die Musik wegnehmen, selbst in einer Zeit solch verheerender Stille. Wer zum Teufel ist dieser Fred und warum weiß er genau, was ich gerade durchmache?
Drei Jahre später ist Fred Gibson, der Mann hinter dem Namen Fred again, ein weltweiter Superstar. Es ist ein interessantes Phänomen: Es scheint genauso viele Menschen zu geben, die noch nie von ihm gehört haben, wie solche, die verzweifelt versuchen, Tickets für seine Live-Shows zu bekommen. In diesem Sommer war Fred again der erste Electronic Artist, der als Headliner die Hauptbühne des renommierten britischen Festivals Reading & Leeds gespielt hat. Im Los Angeles Coliseum spielte er seine erste Stadion-Show, die innerhalb von Minuten ausverkauft war. Es scheint keine Grenzen für die Anzahl der Menschen zu geben, die Fred again zu seinen Shows locken kann, weshalb ich ihn kürzlich auch liebevoll „Die Taylor Swift des Techno“ genannt habe.
Aber es geht mir dabei nicht nur um Größe. Ich bin kein Swiftie, aber die Leute, die ich kenne und die Taylor Swift nahezu religiös verehren, sprechen, wenn sie versuchen, ihre Gefühle in Worte zu fassen, davon, dass sie sich gesehen fühlen, dass sie das Gefühl haben, auf eine fast unheimliche Weise direkt angesprochen zu werden. Und genau das ist auch bei Fred again der Fall. Die Themen, die er in seiner Musik aufgreift, sind extrem spezifisch und persönlich. Aber – seltsamerweise – macht sie das umso universeller und leicher, sich mit ihnen zu verbinden.
Interessant ist auch, dass Fred again dies über die drei Alben seines „Actual Life“-Zyklus hinweg zum größten Teil erreicht hat, ohne seine eigenen Worte zu benutzen. Die emotionale Erzählung der Songs entsteht aus Sprachnotizen von Freunden, zufälligen Begegnungen, die er mit seinem Telefon aufgezeichnet hat, oder Samples, die er im Internet gefunden hat. Schon damals war Fred Gibson kein Unbekannter in der Musikindustrie. Tatsächlich hatte er, im Alter von gerade einmal Mitte Zwanzig, bereits Songs für große Namen wie Ed Sheeran, BTS, Ellie Goulding und George Ezra geschrieben und produziert. Trotzdem erinnern sich Künstler*innen wie Dermot Kennedy und Angie McMahon daran, dass sie keine Ahnung hatten, wer dieser mysteriöse Fred war, der sich eines Tages bei ihnen meldete und fragte, ob er ihre Musik samplen dürfe. Sie hatten auch nicht die geringste Ahnung, wie groß die Songs, an denen sie auf diese Weise mitgewirkt hatten, am Ende werden würden.
Die Musik von Fred again scheint sehr aufrichtig von Herzen zu kommen, und sie verbindet die Menschen auf einer tiefen emotionalen Ebene. Das Gemeinschaftsgefühl, das er damit schafft, spielt dabei eine wichtige Rolle. Während der Pandemie habe ich allein zu seiner Musik in meinem Wohnzimmer getanzt und mir geschworen, ihn live zu sehen, sobald all das hier vorbei ist. Jetzt können wir gemeinsam bei seinen Konzerten tanzen, und ich kann mir nicht helfen. Da ist dieses ganz besonderes Gefühl von Dankbarkeit in der Menge zu spüren, ein außergewöhnliches Maß an Erhabenheit und Euphorie, das ich in diesem Ausmaß noch nie zuvor gespürt habe.
Dieses Gefühl wird noch verstärkt durch die Art und Weise, wie Fred selbst über die sozialen Medien mit seinem Publikum in Kontakt tritt. Es ist sein Tonfall, mit dem er einen direkt anspricht, mit dem er Pop-up-Shows an besonderen Orten veranstaltet, als würde er eine Handvoll Freunde ganz zwanglos zu einer Party einladen. Nicht zu vergessen die regelmäßigen Entschuldigungen, die er an seine Fans richtet, weil es mal wieder viel zu wenig Karten gab, um alle glücklich zu machen.
Ich möchte wirklich nicht naiv wirken. Natürlich steckt hinter all dem eine ausgezeichnete Marketingstrategie. Die Pop-up-Shows, limitierter Merchandise und Vinyl-Veröffentlichungen, die Fred seinen Fans direkt über Community präsentiert, welche er auf Instagram, TikTok, einem Discord-Server und einem Whatsapp-Kanal aufgebaut hat, sind allesamt mächtige Werkzeuge, um den Hype kontinuierlich größer zu machen. Wenn man dazu die sehr persönlichen und emotionalen Botschaften in seiner Musik betrachtet, stellt sich die Frage, wie echt und ehrlich das alles ist, oder ob sich dahinter nicht ein gewisses Kalkül verbirgt. Und diese wird aktuell heiß diskutiert. Teil des Diskurses ist die Tatsache, dass Fred Gibson aus einer britischen Adelsfamilie stammt, eine der teuersten und prestigeträchtigsten Privatschulen Großbritanniens besucht hat und niemand geringeres als Brian Eno seit Teenager-Zeiten sein Mentor ist. Aber all das würde nicht funktionieren, wenn er nicht wirklich gut wäre in dem, was er tut. Wie kann man nicht Teil von etwas sein wollen, das einem ein so gutes Gefühl gibt? Und das einem gleichzeitig ein tieferes Verständnis für Gefühle wie Verlust und Trauer vermittelt und letztlich einen sicheren Raum bietet, in dem man sich mit all dem auseinandersetzen kann?
Es lässt sich nicht leugnen, dass Fred Gibson, was seine Herkunft betrifft, überaus begünstigt ist. Aber jemandem auf der Basis seiner Herkunft die Echtheit seiner Gefühle abzusprechen, erscheint mir unglaublich zynisch. Er hat diese großzügige Art, seine Welt mit uns zu teilen, und das gibt einem das Gefühl, dass man sich an ihn und seine Musik wenden kann, wenn man emotionale Unterstützung braucht. Die Art, wie er uns an seinem eigenem Schmerz teilhaben lässt. Eines der zentralen Themen in seiner Musik ist seine eigene, sehr persönliche Geschichte, wie er sich verliebt hat und mit ansehen musste, wie die Liebe seines Lebens schwer krank wurde. Er spricht viel darüber, dass Trauer nicht linear verläuft, dass sie sich plötzlich wieder anschleichen kann, gerade wenn man denkt, das Schlimmste sei überstanden. Aber er nimmt dich auch an die Hand, wenn das, was du gerade brauchst, einfach nur die beste Party der Welt ist. Dazu kommt die Art und Weise, wie er die Menschen, mit denen er arbeitet, ins Rampenlicht stellt.
Das neue Album „ten days“ markiert das Ende der „Actual Life“-Ära und damit für Fred again auch den Beginn einer neuen Art, Musik zu machen. Die zehn Songs auf „ten days“ setzen sich nicht mehr hauptsächlich aus Zitaten und Samples zusammen, sondern stehen mehr in der Tradition des klassischen Songwritings. Das Album beinhaltet eine Reihe von Gast Features, die alle wesentlich zum Glanz des Albums beitragen. Da ist der britische R’n’B-Künstler Sampha, der sich mit Fred auf dem gefühlvollen „fear less“ duettiert, das den Teenage-Angst-Sturm-und-Drang-Vibe früher The 1975–Balladen ausstrahlt. Oder der US-Rapper Anderson. Paak, der dem unglaublich aufbauenden „places to be“ seine Vocals leiht.
Der wohl erstaunlichste Moment des Albums ist „just stand there“. Der Song basiert zwar auf einem elektronischen Beat, der fast an einen Herzschlag erinnert, doch die treibende Kraft ist ein scheinbar endloses Klavier-Crescendo, das sich so intensiv aufbaut, dass es einem physisch den Atem raubt. Über allem schwebt der wunderschöne Text von SOAK, der das Gefühl beschreibt, das einen im Anblick unbeschreiblicher Schönheit bekommt: „I felt like all four seasons happened in one day. And I just stand there.“ Das ist die exakte Beschreibung des Gefühls, das dieser Song bei einem hinterlässt.
Da ist der kompromisslose Dancefloor-Knaller „glow“. Oder „where will I be“, die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Country-Rock-Legende Emmylou Harris, die wie eine Einladung zu einem irischen Folk-Tanzkreis klingt. Und da ist der Albumabschluss „backseat“, eine Neubearbeitung des The Japanese House-Tracks „Sunshine Baby“, die beweist, dass etwas bereits Schönes noch schöner werden kann, wenn zwei Gleichgesinnte zusammenkommen. Sogar der leicht kitschige Dance-Pop von „peace you need“ fügt sich organisch in das Gesamtbild. Vor allem, wenn man bei einer Fred again Show schon einmal zum Mitsingen aufgefordert wurde: „I let you take a piece of me. I hope you get the peace you need.“
Letztendlich wird die wahre Qualität von „ten days“ nicht durch technische Aspekte definiert (auch wenn die Produktion teilweise irrwitzig ist und Fred selbst ganz nebenbei einige seiner bisher besten Gesangsleistungen zeigt). Es ist auch keine Frage des Genres. Ist das hier per Definition immer noch eine Electronic Dance Album? Und vor allem: Ist das überhaupt wichtig? Es steckt einfach so viel Leben in dieser Platte, ein Bewusstsein für alle seine Aspekte, das sich unweigerlich auf den Hörer überträgt. Was ist es, das uns als Menschen verbindet, so unterschiedlich wir auch sein mögen? Der Wunsch durchzuhalten, der Wunsch zu überleben, es besser zu machen und besser zu sein. Die Musik von Fred again kann uns das tröstliche und verbindende Gefühl geben, dass wir alle irgendwann einmal an diesem Punkt waren. Glücklicherweise schaffen es die meisten von uns. Und manchmal ist Musik wie diese der Schlüssel dazu.