Während vor zwei Wochen bei unserem Interview der Eurovision Song Contest für Malik Harris noch ein Traum war, so hat sich dieser am Freitagabend erfüllt. Harris hat sich mit seinem Song „Rockstars“ gegen fünf Konkurrent*innen beim deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contests 2022 durchgesetzt und vertritt Deutschland im Mai in Turin.
Eingebettet in einen Abend, der ganz im Zeichen des Ukrainekriegs stand, eröffnete Barbara Schöneberger um 21 Uhr den deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contests 2022. Neben Malik Harris, der den Auftakt machte, standen die Künstler eros atomus, Wiederholungstäterin Felicia Lu, Maël & Jonas, Singer-Songwriterin Emily Roberts sowieso Rapper Nico Suave mit seinem Team Liebe auf der Bühne – allesamt sympathische Musiker, deren Songs jedoch teilweise nicht aus der Masse herausstachen und es somit nicht geschafft haben, genügend Stimmen für sich zu vereinen. Auch bei den Auftritten während der Liveshow ist durchaus das ein oder andere Malheur passiert: von Texthängern (bei Emily Roberts und Nico Suave) bis hin zu einer nicht zufriedenstellenden Abmischung (bei fast allen Kandidat*innen) und schiefen Tönen war alles dabei. Völlig ohne „Störfaktor“ kamen fast nur eros atomus und eben Malik Harris durch.
Die Hälfte der zu vergebenden Punkte hatten die deutschen Radiohörer in der Hand. Hier lag im Zwischenergebnis das Duo Maël & Jonas mit einer Nummer im Stil einer 2000er Pop-Rock-Band vor Malik Harris. Die zweiten 50% der Stimmen ergaben sich aus dem Televote am Fernsehabend selbst: Hier konnte Malik Harris mit seiner eindrücklichen Performance überzeugen und sich somit noch an die Spitze setzen. Der Song mit dem besten Gesamtpaket und der meiner Meinung nach authentischsten Message hat sich durchgesetzt.
Da ich mit dem Ergebnis hochzufrieden bin und das Pausenprogramm große Klasse war (dazu unten mehr), werde ich in diesem Beitrag nicht weiter auf die weniger gelungenen Seiten dieser Vorentscheidung eingehen und hoffe einfach nur, dass wir im nächsten Jahr ein passendes Konzept gefunden haben, unseren ESC Teilnehmer zu küren und es vor allem im Vorentscheid (sofern es denn einen geben sollte) mehr von der schon in diesem Jahr versprochenen Vielfalt zu hören geben wird.
Wirkliches Highlight der Show waren zweifelsohne die Interval Acts. Zunächst gaben Conchita (Gewinnerin des Eurovision Song Contests 2022), Jane Comerford, der Sängerin der Band Texas Lightning, sowie Gitte Haenning ein Medley aus „No, No Never“, „Rise Like A Phoenix“, „Euphoria“ und „Ein Bisschen Frieden“ zum Besten. Im Anschluss begrüßte Barbara Schöneberger die ukrainische Sängerin und ESC-Gewinnerin von 2016, Jamala, im Studio. Sie performte ihren Songs „1944“, welcher vom Schicksal ihrer Urgroßeltern handelt, die als Krimtataren durch das Stalin-Regime 1944 aus ihrer Heimat deportiert wurden – ein Song, der 2022 angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine noch ein wenig mehr unter die Haut geht. Jamala selbst war erst wenige Tage zuvor mit ihren zwei kleinen Kindern selbst aus der Ukraine geflohen. Sie interpretierte „1944“ mit Ukraineflagge in der Hand eindrücklich und unglaublich emotional. Im Publikum und auch zu Hause auf dem Sofa blieb dabei kein Auge trocken. Ich habe den Song noch nie so gefühlt wie an diesem Abend und ihren Schmerz unmittelbar mitempfunden.
Den Bogen zurück zum diesjährigen deutschen ESC Teilnehmer Malik Harris zu finden, ist nicht leicht. Am ehesten klappt dies, wenn wir uns das Ende seiner Performance ins Gedächtnis rufen: Der Deutsch-Amerikaner hatte auf die Rückseite seiner Gitarre an die Ukraine gerichtet in blau und gelb die folgende Botschaft geschrieben: „I stand with Ukraine“. Ich persönlich mag seinen Song „Rockstars“ sehr gerne und finde, dass wir uns damit auf keinen Fall hinter anderen Nationen verstecken müssen. Ich wünsche Malik alles Gute für die nächsten Monate und hoffe sehr, dass seine Message im Mai beim europäischen Publikum auf fruchtbaren Boden fallen wird. Malik hat sich für Turin so einiges vorgenommen und gab sich in der Siegerpressekonferenz kämpferisch, meiner Meinung nach die richtige Einstellung für einen Wettbewerb wie den Eurovision Song Contest. Denn klar ist es alleine schon toll, dabei zu sein, aber ein wenig gesunder Ehrgeiz kann dennoch nicht schaden.
Wer gerne vorab einen Überblick über die europäische Konkurrenz bekommen möchte, dem sei diese Playlist ans Herz gelegt, die regelmäßig um weitere Beiträge erweitert wird. Nicht dabei sein wird Russland, welches ob der Kriegshandlungen gegen die Ukraine aus der EBU (European Broadcasting Union) ausgeschlossen wurde. Die Ukraine wiederum führt aktuell in der Wetten, gefolgt von Italien und Schweden. Ich wünsche mir, dass sich die politische Lage bis Mai so weit entspannt (gerne auch schon sehr viel eher!), dass wir 2022 einen friedlichen Eurovision Song Contest erleben werden – wurde der Wettbewerb doch 1956 nach dem zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, um die Länder Europas zu einen.
Der Eurovision Song Contest 2022 findet in der zweiten Maiwoche in Turin (Italien) statt.
Erstes Halbfinale: 10.05.2022
Zweites Halbfinale: 12.05.2022
Finale: 14.05.2022