Malik Harris im Interview: „Egal wie schlecht die Situation gerade ist, man kann immer kleine Wunder entdecken“

Seitdem ich den aufstrebenden, talentierten Malik Harris vor zweieinhalb Jahren beim SWR3 New Pop Festival interviewt habe, ist viel passiert. Der junge Deutsch-Amerikaner hat inmitten der Corona-Pandemie sein lang ersehnte Debütalbum „Anonymous Colonist“ veröffentlicht und auch 2022 geht es für Malik in der Erfolgsspur weiter: Er ist einer von sechs Kandidaten, die Anfang März um Deutschlands Beitrag für den Eurovision Song Contest 2022 wetteifern. Im Interview lassen wir gemeinsam die letzten Jahre Revue passieren und sprechen über die Erfolgsaussichten seines Songs „Rockstars“ sowie die Notwendigkeit, seine Bühne für gesellschaftlich wichtige Messages zu nutzen. 

Fangen wir doch direkt mit den aktuellsten News an. Herzlichen Glückwunsch! Du bist beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest „Germany 12 Points“ dabei. Du hast dich im Auswahlverfahren gegen fast 1000 Kandidaten durchgesetzt und präsentierst deinen Song Anfang März dem deutschen Publikum.  Wie geht es dir denn, seitdem die Katze aus dem Sack ist?  

Ich fühle mich mega. Ich freue mich jetzt schon so krass auf den Vorentscheid. Und es sind dort auch tolle andere Künstler mit dabei. Die habe ich alle bereits auf der Pressekonferenz kennengelernt. Ich hatte erst Angst, dass alle eher so ellenbogenmäßig unterwegs wären. Aber ganz im Gegenteil: Es sind alle superentspannt und nett und ich freue mich darauf, mit ihnen Zeit zu verbringen. Ich bin auch richtig happy mit meinem Song „Rockstars„, der mir sehr viel bedeutet. Auch Aufmerksamkeit zu bekommen und diese Plattform zu haben – möglicherweise dann von ganz Deutschland, und im besten Falle dann sogar beim ESC von ganz Europa, das wäre natürlich ein Traum. Deswegen genieße ich das Ganze gerade total. Denn es war durch Corona in letzter Zeit sehr viel weniger los. Und ich bin eigentlich jemand, da muss immer was passieren. Vor Corona war das der Fall mit Livekonzerten und so weiter und. Daher genieße ich es jetzt total, wieder so viel zu tun zu haben. 

Du hast es gerade schon erwähnt, du trittst mit dem Song Rockstars an. Magst du uns vielleicht ein bisschen was über deinen Beitrag erzählen? Worum geht es denn in dem Song konkret und wie ist er entstanden?

Da kann ich sehr lange darüber sprechen, melde dich einfach, wenn es zu lange wird. (lacht) Entstanden ist der Song letztes Jahr. Ich hatte seit der Coronazeit schon länger teils sehr krasse Stimmungstiefs, da bin ich wahrscheinlich nicht der einzige… Klar, es gibt immer Höhen und Tiefen, aber gerade letztes Jahr war es eine Zeit lang echt heftig. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht herauszufinden, woran das genau liegt, sondern ich habe das einfach stehen lassen: OK, mir geht es gerade nicht so gut und habe das ein wenig von mir weggeschoben. Ich wollte mich eigentlich aufmuntern mit einer Folge von „The Office“, das ist eine Serie aus den USA, die ich jedem nur empfehlen kann. Es ist eigentlich eine Comedy-Serie, aber ab und zu gibt es auch sehr deepe Momente. Und ein solcher Moment war für mich ein Zitat von Andy, einem Charakter in der Serie: „I wish there was a way to know you’re in the good old days before you actually left them.“ Ich kann jedes Mal fast wieder losheulen, weil das so ein krasser Satz ist, der mich so getroffen hat und der mir so viel gezeigt hat. Denn ich habe dadurch erkannt, woher diese schlechte Stimmung kommt und dass ich wahnsinnig viel in die Vergangenheit und in die Kindheit und Jugend schaue, an die Zeit vor Corona und einfach ständig in der Vergangenheit bin und darüber nachdenke, wie gut es mir damals ging. Gerade dieses Unbeschwerte, dieses „nicht wissen, wie gut es einem geht“ und diese Leichtigkeit, die so ein bisschen verloren gegangen war in den letzten Jahren, auch durch das älter werden und erwachsen werden. Ich habe den Song dann relativ schnell geschrieben, nachdem ich mir die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte. Ich möchte mit dem Song versuchen mich selbst, aber auch den ein oder anderen Zuhörer daran zu erinnern, dass wir versuchen sollten ein Leben zu leben, in dem wir nicht ständig nur in die Vergangenheit blicken und sagen: „Ach, damals ging es mir so gut.“ Sondern wir sollten mehr im Hier und Jetzt suchen, denn ich glaube, dass es sehr typisch Mensch ist zu denken: Jetzt ist alles gerade irgendwie schlecht, aber wenn ich dann in 10 Jahren auf die jetzige Zeit zurückblicke, sage ich: „Ach, damals ging es mir so gut.“ Stattdessen sollten wir lieber im Jetzt die guten Dinge suchen. 

Ich denke gerade in der Coronazeit hatten viele dieses Gefühl, dass es im Jetzt nicht wirklich viel Schönes zu entdecken gibt. Da ist es natürlich nochmal schwieriger, mehr im Jetzt zu leben… 

Das stimmt. Aber ich glaube, dass das einem immer gelingen kann, auch in einer Pandemie. Auch wenn sich alles scheiße anfühlt, kann man trotzdem immer noch etwas Schönes finden. Ich habe durch meinen Song zu genau diesem Thema sehr viele Gespräche gehabt… Ein klassisches Beispiel ist die Schulzeit. Es gibt so viele aus meinem Umfeld, die sich wünschen, wieder Schüler zu sein. Aber als sie früher tatsächlich Schüler waren, hat es sich ganz anders angefühlt. In der Situation selbst sieht man oft nur die schlechten Dinge und im Nachhinein die guten. Und deswegen bin ich davon überzeugt, egal wie schlecht die Situation gerade ist, man kann immer kleine Wunder entdecken. 

Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, dass du einen Song für den deutschen ESC Vorentscheid eingereicht hast? Hast du beim Schreiben von „Rockstars“ direkt gedacht: Das wäre jetzt ein passender Song für den ESC? 

Tatsächlich hat der ESC hier gar keine Rolle gespielt. Ich war einfach nur happy, diesen Song geschrieben zu haben, der mir selbst so viel bedeutet. Das hat sich dann erst einige Wochen später ergeben, als mein Kumpel Robin, der auch meine Videos produziert, mir erzählte, dass man aktuell Songs für den deutschen ESC Vorentscheid einreichen kann und wissen wollte, ob ich mir das theoretisch vorstellen könnte und ob ich da Lust drauf hätte. Und da musste ich sofort an „Rockstars“ denken, zum einen, weil er so persönlich ist und ich immer das Ziel habe, mit meiner Musik Leute zu erreichen und zu bewirken, dass sich diese ihr identifizieren und sie ihnen weiterhilft. Zum anderen, weil ich finde, dass dieser Song so anders ist als alles, was Deutschland bisher zum ESC geschickt hat…gerade mit diesem Rap-Part. Zudem bin ich bin ganz allein auf der Bühne und spiele mehrere Instrumente. Ich habe das Gefühl, das wäre vielleicht mal ein frischer Wind, also warum nicht? Und als Musiker kommt noch dazu, dass man es in letzter Zeit natürlich sehr vermisst hat, überhaupt auf der Bühne zu stehen. Ich habe mir also gesagt: Weißt du was, mach einfach mal mit und dann schauen wir einfach, was passiert. Deswegen bin ich unsagbar froh, schon so weit gekommen zu sein. Das ist eine schöne Bestätigung. 

Ich bin selbst ein riesen Eurovision Song Contest Fan. Und ich finde, wenn man sich mal so anschaut, wer das die letzten Jahre gewonnen hat, dann erkennt man schnell ein Muster: es waren sehr viele unterschiedliche Stile, aber was die Songs alle verbindet ist, dass es ehrliche Songs waren, man hat den Künstlern ihren Song abgenommen… 

Das ist gut zu hören. „Rockstars“ ist tatsächlich auch der ehrlichste und persönlichste Song, den ich jemals geschrieben habe. 

Wie ist dein Verhältnis zum ESC? Hast du einen persönlichen ESC Lieblingssong? 

Ich muss ehrlich sagen, ich habe den ESC tatsächlich nie wirklich krass verfolgt, aber war natürlich damals extrem geflasht von Lena, wie wir alle wahrscheinlich. Ich habe mir den Auftritt kürzlich erst noch einmal angesehen und muss sagen, das war einfach perfekt, sie hat es genailt. Aber auch wenn ich den Wettbewerb nie wirklich verfolgt habe, fand ich die Sache an sich schon immer sehr schön. Ein musikalisches Event, bei dem der ganze Kontinent zusammenkommt und wo alles nur auf Harmonie abzielt… Und insbesondere heutzutage, wo es so viele miese Schlagzeilen zu Europa gibt, ist es toll, eine Konstante zu haben, wo alles einfach nur schön und friedlich ist. Deshalb halte ich den ESC für eine großartige Sache. Ich war von Anfang an überzeugt, dass ich mit meiner Teilnahme am Vorentscheid nichts zu befürchten habe. Ich bin 100% Livekünstler und auf einer Bühne zu stehen und meine Songs zu präsentieren, gibt mir enorm viel. Wenn ich nun die Chance haben sollte, auf einer so großen Bühne genau das zu machen, was ich liebe, dann ist das doch perfekt. Ich mein, was soll da schief gehen? Außer ich falle von der Bühne und breche mir ein Bein (lacht). Drücken wir mal die Daumen, dass das nicht passiert. 

Wie du gerade erwähnt hast, sind Liveauftritte für dich das Größte. Es war nun längere Zeit nicht mehr möglich…und auch deine eigene Tour wurde einige Male verschoben. 

Ich glaube, vier Mal inzwischen… 

Was bedeutet es dir, deine Songs live zu performen? 

Das ist das Größte für mich. Ich kann es kaum erwarten, wieder auf der Bühne zu stehen. Ich habe gestern in meinem Homestudio wieder ein wenig geübt, da es Anfang März auch schon losgeht als Support für Amy MacDonald (Anm..: Die Tour wurde leider mittlerweile coronabedingt abgesagt) und deswegen nutze ich jede freie Minute zum Üben. Das war ein krasser Moment, weil ich einen Song gespielt habe, bei dem ich immer sehr stark mit den Zuschauern interagiere und die Leute richtig mitsingen müssen, damit er funktioniert. Das war vor Corona immer ein Highlight und gestern musste ich fast ein wenig schluchzen, weil ich mir vorgestellt habe, wie ich diese Power wieder erlebe und habe echt Gänsehaut bekommen, sodass ich den Song sogar abbrechen musste. Ich freue mich einfach nur, dass es bald wieder losgeht. 

Du hast uns erzählt, dass dich ein Serienzitat zu „Rockstars“ inspiriert hat. Wer oder was inspiriert dich sonst beim Songwriting?

Es kann bei mir echt alles sein. Ich habe da nicht diese eine bestimmte Quelle, das ist unterschiedlich. Manchmal ist es eine Serie oder andere Songs, manchmal auch wenn ich mitbekomme, wie andere mit Gefühlen umgehen, wenn ich mir selbst schwer tue und mir dann denke: „Ach krass, so kann man das auch betrachten.“ Ganz viel ist aber auch Persönliches, was sich in meinem Kopf so abspielt und ich versuche zu analysieren: Warum zweifle ich gerade? Warum geht es mir gerade gut? Warum habe ich gerade Bock auf Tanzen? 

Dein Song „Faith“ behandelt ein sehr wichtiges Thema. Mit einem eindrücklichen Video und tiefgehenden Text hast du eine Hymne für die Black Lives Matter Bewegung geschaffen. 

Mein Dad ist ja Schwarz-Amerikaner und ich bin Halb-Schwarz-Amerikaner und habe in den USA den Rest meiner afroamerikanischen Familie. Dementsprechend bin ich von klein auf mit den Themen Black Lives Matter, Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit aufgewachsen und habe auch ein paar Songs über dieses Thema geschrieben. „Faith“ hatte ich schon vor einer Weile geschrieben und dann kam ein Moment, wo ich entschieden habe, den Song rauszubringen. Das war zum einen das George Floyd Tape, was natürlich Wahnsinn war. Ich habe in meiner Vergangenheit schon oft ähnliche Tapes gesehen und man wird irgendwann auch ein bisschen taub. Es gibt einen kurzen Aufschrei, dann verpufft es und nichts passiert… Aber etwas war dieses Mal anders. Ich war ein paar Tage später in München auf einer Black Lives Matter Demo und das war krass für mich, zu sehen, dass auch in Deutschland fernab von Amerika zigtausend Menschen am Start waren. Da habe ich gemerkt, jetzt passiert wirklich etwas, das ist eine Bewegung und einen Schwung, den wir mitnehmen müssen. Und da habe ich beschlossen, diesen Song rauszubringen und damit meinen Teil als Musiker beizutragen. Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe. 

Also würdest du sagen, dass es dir wichtig ist für die Themen, die dir am Herzen liegen, auch deine Plattform zu nutzen? 

Absolut. Ich sehe das fast schon als meine Pflicht. Dadurch, dass ich diese Plattform habe, finde ich es wahnsinnig wichtig, mich für Themen einzusetzen, weil ich eben viele Menschen damit erreichen kann. Auch wenn es nur kleine Erfolge sind, es lohnt sich 100%. Ich habe erst gestern einen Kommentar von einer Lehrerin bekommen, die darauf eingegangen ist, dass ich im Zusammenhang mit „Faith“ oft das Kinderspiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ erwähnt habe und was das mit mir als Kind gemacht hat. Sie meinte, sie habe das nie so gesehen und meine Erklärung habe ihr total die Augen geöffnet. Sie gebe das jetzt so ihren Schülern weiter. Letztes Jahr habe ich die „Time to Wonder“ Doku gedreht, auf die ich sehr stolz bin. Darin geht es insbesondere um institutionellen und strukturellen Rassismus, also um dieses Unterschwellige, was oft auch in der Sprache verankert ist und wo man gar nicht so drüber nachdenkt, es sei denn, man unterhält sich mit Leuten, die das abbekommen. Daher ist es auch wichtig, dass Dinge adressiert werden, die vielleicht im ersten Moment nicht augenscheinlich sind. 

Ein wichtiges Ereignis im letzten Jahr war auch dein Albumrelease. Weißt du noch, wie du dich gefühlt hast, als du „Anonymous Colonist“ endlich mit der Welt teilen konntest? 

Ja, ich war ultrakrass stolz, weil dieses Album für mich sozusagen das erste richtige Kapitel meines Musiklebens ist. Das ist mein erstes Album und alle meine frühen Songs sind darauf zu hören. Das war eine extrem spannende Zeit und ich weiß noch genau, wie ich damals die ersten Songs geschrieben habe, als ich nebenbei noch Student war und keine Ahnung hatte, was passiert in meinem Leben. Und jetzt steh ich da und bringe ein Album raus und ganz die ganze Welt kann es sich anhören… Besonders krass war für mich, als ich am Releasetag zum Laden gefahren bin und mir dort das Album selbst gekauft habe. Das war so ein geiler Moment, es tatsächlich in der Hand zu halten.

What’s next? Klar, jetzt kommt erstmal der Vorentscheid, hoffentlich dann im Mai der ESC und direkt im Anschluss deine Deutschland Tour. Aber wie sieht es längerfristig aus? Ich weiß, du träumst schon seit langem von einer Welttournee. 

Genau, das war von Anfang an mein Traum, und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. In meiner allerersten Single lautet die erste Zeile witziger Weise „My aim is the top„, also zielt das erste, was die Welt von mir gehört hat, schon darauf ab. Und das ist auch ein bisschen mein Motto, das ich verfolge. Ich habe tatsächlich ein sehr spezifisches Bild im Kopf, wenn ich an meine hoffentlich zukünftigen Konzerte denke: Ich stehe auf einer Open Air Bühne mit hunderttausenden Menschen vor mir – am liebsten in einem Land am anderen Ende der Erde, spiele nur ganz kurz einen Akkord oder eine Melodie und es wissen sofort alle, welcher Song das ist und fangen an zu singen. Ich kenne das von Videos von Auftritten von Coldplay zum Beispiel, und das ist mein großes Ziel, da auch mal hinzukommen. 

Wer gerne mitverfolgen möchte, wer Deutschland 2022 beim Eurovision Song Contest 2022 in Turin vertreten wird, der sollte sich den 4. März 2022 rot im Kalender eintragen. Ab 20:15 Uhr wird der Vorentscheid „Germany 12 Points“ live aus Berlin auf allen dritten Programmen übertragen. 

Foto © Anna Maria Boshnakova