Gelesen: Ali Hazelwood „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe“

Liebe ist selbst für die klügsten Köpfe die komplizierteste Sache der Welt. 

Ali Hazelwood ist Professorin für Neurobiologie und hat bereits zahlreiche wissenschaftliche Artikel über Hirnforschung veröffentlicht. Ihr Debütroman „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ ist, wie der Titel bereits verrät, ein klassischer Liebesroman. Aufgrund eines Kniffs hebt er sich trotzdem angenehm von der Masse ähnlicher Geschichten ab: er spielt im akademischen Umfeld der Universitäten Stanford und Harvard, zwischen Laboren, Kongressen und Cafeterias. Die Hauptfigur, Doktorandin Olive, könnte man vielleicht als typischen Nerd bezeichnen: sie lebt für ihre Labormäuse, ernährt sich hauptsächlich von zuckerhaltigen Snacks und versucht den Alltag zu bewältigen, indem sie jede Herausforderung auf Formeln und Hypothesen herunter bricht. Das stellt sich als zunehmend schwierig heraus, als unerwartet die Liebe in ihr Leben tritt.

Olive sucht nach einer Möglichkeit, ihre Studien zur Früherkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs fortzusetzen, sie ist an einem Punkt angekommen, an dem die Grundbegebenheiten in ihrem mittelmäßigen Labor in Stanford dafür nicht mehr ausreichen. Damit sie sich voll darauf konzentrieren kann, einen neuen Laborpartner zu finden, ist es für sie von großer Wichtigkeit, dass privat um sie herum alles so glatt wie möglich läuft. Entsprechend möchte sie sich nicht damit auseinandersetzen, dass ihre beste Freundin Anh sich in Jeremy verliebt hat, mit dem Olive kurzzeitig ausgegangen ist. Anh hat nun Angst, Olive zu verletzen, wenn sie sich ihm weiter annähert und Olive gelingt es nicht ihr glaubhaft zu vermitteln, dass ihre Kurbeziehung zu Jeremy sich sowieso, wie die meisten ähnlichen Geschichten in der Vergangenheit, wie ein Fehler angefühlt hat und sie deshalb mehr als glücklich wäre, wenn die beiden ein Paar würden. Also entscheidet sie sich für die, zugegebenermaßen nicht unbedingt nahe liegende Lösung: ein Fake-Date muss her. Gezwungen, schnell zu handeln, küsst sie den erstbesten Mann, der ihr auf dem Universitätsflur begegnet und sorgt dafür, dass Anh es zufällig sieht. Leider handelt es sich hierbei ausgerechnet um Dr. Adam Carlsen, den gefürchtetsten Studienbetreuer der ganzen Fakultät. Adam Carlsen ist allgemein als Arschloch bekannt, ihm scheint es Freude zu machen, seine Doktorand*innen mit übermäßig harscher Kritik einzuschüchtern und sie zu minutiösesten Überarbeitungen zu zwingen. An dem Kussüberfall scheint er sich hingegen überraschend wenig zu stören, noch überraschender ist er dazu bereit, das Fake-Date Spiel mitzuspielen, denn auch für ihn könnte es von Nutzen sein: man hat seine Forschungsgelder eingefroren, weil es Gerüchte gibt er könne planen, die Universität zu verlassen. Eine neue Liebe vor Ort würde den Eindruck von Beständigkeit vermitteln und die Gelder hoffentlich zeitnah wieder fließen lassen. Solang könne man gerne vorgeben, ein Paar zu sein. 

Es ist nicht schwer zu erraten, dass das überaus ungleiche Paar sich nach und nach annähern wird und dass es auf dem Weg zum Happy End so einiges an Fallstricken zu überwinden gilt. Immerhin beginnt alles mit einer Lüge, und wie das mit Lügen so ist, ziehen sie gerne die ein oder andere Folgelüge nach sich. Wenn man dann auch noch so etwas Entscheidendes wie eine Liebesbeziehung vortäuscht, ist automatisch das gesamte Umfeld mit einbezogen und im Fall von Olive und Adam das private gleichermaßen wie das berufliche. Darüber, wie Olive sich immer weiter in immer kompliziertere Situationen und Missverständnisse verstrickt, möchte man irgendwann den Kopf schütteln. Manche Wendung wirkt etwas konstruiert, damit das unweigerliche Happy End so weit wie möglich in die Ferne rückt. 

Dass „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ trotzdem nicht nur eine überaus kurzweilige Lektüre ist sondern auch mit Tiefgang überrascht, ist zum einen der liebenswerten, lockeren Sprache zu verdanken, mit der Ali Hazelwood ihre Figuren untereinander agieren lässt, während sie sich gleichzeitig neurobiologische Vorgänge an den Kopf werfen. Zum anderen ist ihre Geschichte mit einigen aktuellen Bezügen gespickt, die ihr über die offensichtliche Romantik hinaus auch sozial relevante Aspekte verleihen. Es geht auch um das Standing von Frauen (besonders BIPOC Frauen) im wissenschaftlichen Umfeld, um Machtstrukturen und den Missbrauch solcher. Besonders berührend ist es außerdem, Olive dabei zuzusehen, wie sie vor allem die physische Liebe für sich entdeckt. Weitsichtig und mit viel Einfühlungsvermögen zeigt Ali Hazelwood, dass nicht jeder Mensch ein von Natur aus intensives Sexualverlangen hat und die Suche nach dem „Significant Other“ nicht ständig im Vordergrund stehen muss. Und nicht zuletzt ist die Begegnung zwischen der unsicheren aber lebensbejahenden Olive und dem auf den ersten Blick einschüchternden Misanthropen Adam ganz schön sexy. Ali Hazelwood hatte offensichtlich viel Spaß beim Erforschen dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte, und dieser überträgt sich mühelos auf ihre Leser*innen. 

„Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ von Ali Hazelwood ist im Aufbau Verlag erschienen.