Mit ihrem Roman „Kitchen“ prägte die japanische Schriftstellerin Banana Yoshimoto Anfang der 90er Jahre das Lebensgefühl einer ganzen Generation. „Kitchen“ war eines der ersten Bücher das ich gelesen habe als ich frisch von Zuhause ausgezogen war und die Geschichte von Mikage, ihrem Freund Yuichi und dessen transsexueller Mutter Eriko hat mich damals schwer beeindruckt. Vielleicht auch weil ich mich zu jener Zeit in meiner neuen Situation noch etwas abgeschnitten von meiner Umwelt gefühlt habe. Den Erzählungen von Banana Yoshimoto liegt allesamt eine schwer zu beschreibende, nahezu schweigsame Stimmung zugrunde. Das mag an dem reduzierten, manchmal im positiven Sinne fast schon naiv wirkenden Stil Yoshimotos liegen, dem man sich leicht sehr verbunden fühlen kann. Und vielleicht auch an dem, was fast alle ihre Figuren verbindet: sie erfahren schweres Leid und schaffen es trotzdem, dem Leben positiv ins Auge zu sehen.
Bananas Yoshimotos „Amrita“ habe ich in den ersten Tagen nach der Geburt meiner Tochter gelesen. Ein passender Zeitpunkt für eine Geschichte, in der das Weltliche und das Übersinnliche symbiotisch nebeneinander existieren – was gibt es auf Erden schon Übersinnlicheres als einen wenige Stunden und Tage alten Säugling? In diesen Tagen habe ich Banana Yoshimoto noch einmal neu entdeckt und lieben gelernt, die Art, wie liebevoll sie ihre Figuren behandelt, wie mühelos und natürlich sie Alltägliches mit Mystischem verknüpft. Geister und Menschen leben in ihrer Welt gleichberechtigt miteinander, sie bilden eine Einheit und über allem liegt diese erstaunliche Leichtigkeit, die oberflächlich so ganz im Gegensatz zu den Themen steht, über die sie schreibt.
Auch in ihrem neuesten Roman „Lebensgeister“ muss die junge Sayoko einen harten Verlust erfahren. Bei einem Autounfall wird sie schwer verletzt, ihre große Liebe Yoichi überlebt nicht. Auch wenn sie sich in ihrem kurzen Aufenthalt in der Zwischenwelt, in der sie ihren verstorbenen Großvater und ihren Hund wieder trifft, nichts sehnlicher wünscht als dass Yoichi überlebe und nicht sie. Nach ihrer langsamen Genesung versucht sie ihr Leben neu zu sortieren. Sie kümmert sich um Yoichis künstlerischen Nachlass, hält Kontakt zu dessen Eltern und stellt eines Tages fest, dass sie seit ihrer Nahtoderfahrung Geister sehen kann. So lernt sie den jungen Barbesitzer Ataru kennen, der mit dem Geist seiner Mutter in deren alter Wohnung lebt, in dem Versuch, die Beziehung zu seiner Mutter aufzuholen, die er zu Lebzeiten glaubt versäumt zu haben. Sayoko kann den Geist der Mutter sehen und so finden die beiden auf unschuldige Art zueinander, geben sich Halt und versuchen, das Beste aus ihrer neuen Lebenssituation zu machen.
Was vielleicht traurig und deprimierend klingen mag, ist in Wahrheit eine unglaublich leichte, positive Erzählung. Sayoko leidet natürlich unter dem Verlust, versteht es aber gut und tapfer, ihre Trauer anzunehmen, sie zu leben und mit ihr im Reinen zu sein. Und auch der natürliche Umgang mit dem Übersinnlichen ist es, was „Lebensgeister“ so positiv macht: Sayoko, die Zugang zu den Geistern hat fürchtet sich nicht vor ihnen und schämt sich nicht dafür, Ataru, der sie nicht sieht, zweifelt Sayokos Visionen weder an noch ist er mißgünstig ihr gegenüber, weil sie seine Mutter sehen kann und er nicht. Die beiden gehen ein tröstliches Miteinander ein und jeder hilft dem anderen, die Vergangenheit zu verarbeiten und das Leben im Hier und Jetzt nicht aus den Augen zu verlieren.
Banana Yoshimoto gehört zu den Autoren, die immer wieder aus einem Themenpool schöpfen: Verlust, Tod, Übersinnliches, Homosexualität und geschlechtliche Identifikation finden sich in all ihren Arbeiten zentral wieder. Dadurch wird das Lesen ihrer Erzählungen wie zu einem Wiedersehen mit alten Freunden. Tröstlich ist ihre Welt, nicht verzweifelt und immer von großer erzählerischer Schönheit.
Info: „Lebensgeister“ ist der neueste Roman der japanischen Bestsellerautorin Banana Yoshimoto. Er ist im Diogenes Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Gelesen von: Gabi Rudolph