I’m over 20 now but the teenage angst still raise“ – so hallte es heute früh dank Sizarr durch meine Wohnung. So in etwa geht es mir auch vor jedem Interview, die Jungs sprachen mir also aus der Seele. Auf ihrem neuen Album „Nurture“ zeigen sie sich von einer bisher eher ungewohnten Seite, die bei vielen alteingesessenen Hörern Fragezeichen in die Augen zaubert. Dick eingepackt in eine Decke und mit meiner Tasse Tee bewaffnet wartete ich dann auf den Anruf. Am Ende der Leitung war ein gut gelaunter und sehr entspannter Philipp Hülsenbeck. Zusammen mit Fabian Altstötter und Marc Übel bildet er das Trio. Gerade befinden die Jungs sich auf großer Radiotour und Philipp nahm sich – irgendwo auf dem Weg nach Halle – die Zeit, um mir alle die Fragen zu beantworten, die das neue Album so aufwirft.
Bei eurem neuen Album fällt als erstes auf, dass euer Sound sehr gereift und durchdachter ist. Im Vergleich zu „Psycho Boy Happy“, wo ihr viel experimentiert habt, bekommt man jetzt das Gefühl, dass ihr einen einheitlicheren Sound gefunden habt, bei dem ihr angekommen seid. Woher kommt das?
Ich glaube, wir probieren immer noch rum und trotzdem ist dieses Album eine Momentaufnahme für uns. Also, aus unserer Perspektive. Im Unterschied zu „Psycho Boy Happy“ haben wir einfach nicht mehr nur versucht alle möglichen Einflüsse in jeden einzelnen Song zu verpacken. Wir wollten jeden Song einfach so schreiben, dass er funktioniert, auch ohne unglaublich viel Soundgewand oder Überladung.
Eindeutig seid ihr mehr in den Vordergrund gerückt. Bei den Videos zu eurem vergangen Album war es euch beispielsweise wichtig, dass ihr kein bzw. kaum visueller Teil des Ganzen seid. Jetzt, wenn man die Videos zu „Scooter Accident“ oder „Timesick“ betrachtet, seid ihr allerdings eher Mittelpunkt eurer Videos. Ist das auch Teil dieser Entwicklung?
Auf jeden Fall! Am Anfang waren wir alle noch ziemlich jung. Wären wir dort mehr im Mittelpunkt gewesen, dann wäre das bei den Leuten einfach völlig anders angekommen. Jetzt ist es aber trotzdem nicht der Gedanke, uns in den Mittelpunkt zu rücken. Wir hatten einfach schon vorher Ideen für die Videos und diese waren, so wie sie jetzt sind, gut umzusetzen.
Auch in eurem Umfeld hat sich viel verändert. Vor eurem Debütalbum seid ihr beispielsweise noch zur Schule gegangen und habt schon vor der Veröffentlichung auf Festivals gespielt. Dieses mal seid ihr quasi aus eurem „Dorfkäfig“ ausgebrochen und in drei große Städte gezogen (Berlin, Hamburg und Frankfurt). Ihr hattet dieses mal viel mehr Ruhe, weil der Trubel um euch auch ein bisschen kleiner war, als vor eurem Debüt. Wie würdest du die Entstehung der Alben vergleichen?
Ich glaube das, was Du mit Trubel meinst, hat sich für uns nicht groß verändert. Das war ja wirklich von Anfang an da. Deshalb hatten wir fürs erste Album versucht uns davon frei zu machen und sind etwas naiv an die Sache ran gegangen. Wir wollten alles raus holen und alles, was wir an Einflüssen hatten auch einfließen lassen. Im Nachhinein, wenn wir uns „Psycho Boy Happy“ heute anhören, merken wir, dass wir uns da teilweise auch sehr verfahren haben. Der Sound stand damals mehr im Vordergrund als die Songs selbst. Jetzt, beim zweiten Album, hat sich das Ganze gedreht. Es ging einfach mehr um die Songs als darum sich viel auszuprobieren. Für das erste Album haben wir zusammen in Mannheim und Heidelberg gewohnt. Für das zweite Album teilweise auch noch und erst vor einem Jahr sind wir alle in verschiedene Richtungen gezogen. Wir sind viel gependelt und haben vieles über das Internet gemacht. Alles musste dieses mal irgendwie effizienter sein, weil wir eben nicht mehr jeden Tag von morgens bis abends zusammen waren.
Das Einzige, was wirklich komplett gleich geblieben ist, ist euer Produzent. Mit Markus Ganter habt ihr ja quasi sein Debüt 2012 gefeiert. Anschließend produzierte er auch das „Hinterland“ Album von Casper und der Vergleich bleibt da natürlich nicht aus. Ihr werdet häufiger verglichen mit deutschen Newcomern wie Casper oder Cro, obwohl ihr immer wieder betont, dass ihr eben diesen Weg an die Spitze der deutschen Charts nicht gehen wollt. Stört es euch, dass ihr verglichen werdet mit Leuten, die musikalisch das absolute Gegenteil sind oder lächelt ihr da eher drüber?
Stören wäre wohl falsch ausgedrückt. Es ist eher absurd für uns. Nachvollziehen können wir diese Vergleiche in gewisser Weise schon, da man ja weiß woher es kommt. Solche Vergleiche passieren nun mal, weil wir auch in Deutschland stattfinden und dort genannt werden. Dann fallen auch die ganzen anderen Namen zusammen mit uns. Außerdem ist unser Umfeld irgendwie miteinander verknüpft. Trotzdem ändert dies nichts daran, dass wir es absurd finden. Musikalisch muss man uns einfach unterscheiden, ohne zu werten. Vergleichen kann man uns mit keinem.
Aber so ein wenig deutsch seid ihr schon geblieben. Ich muss gestehen, als ich euren Sound das erste Mal gehört habe, ging ich davon aus, dass ihr eine britische Band seid. Gerade Fabian bringt diesen typischen native englischen Sound mit sich. Auf diesem Album habt ihr aber zwei Songs versteckt, in denen ihr bewusst deutsche Elemente eingebaut habt („Baggage Man“ und „Slender Gender“). Auf „Psycho Boy Happy“ kam dies zwar auch vor, aber damals nur, weil ihr keine Übersetzung für die Worte gefunden habt, die diesen gerecht geworden wäre – was war diesmal der Grund?
Einfach aus Spaß an der Sache! Als wir „Slender Gender“ aufgenommen hatten fanden wir, es wäre einfach besser, den Text auf dem Level ins Deutsche übersetzt zu lassen. Wir fanden das ziemlich witzig. Wir kannten einfach kein Beispiel, bei dem jemand so etwas schon mal gemacht hat. Da gibt es keine wirklich tiefere Begründung, warum das an dieser Stelle so passiert ist. (lacht)
Also ist es euch gar nicht so wichtig, dass man euren Texten anhört wo ihr herkommt?
Nö. Also, nicht unbedingt. Als wir angefangen haben war es uns ziemlich wichtig, nicht direkt als deutsche Band abgestempelt zu werden. Heute ist uns das irgendwie weniger wichtig. Wir finden immer mehr Sachen an der deutschen Kultur die uns gefallen, sodass wir einfach mittlerweile selbstbewusster damit umgehen können.
Raus in die Welt wollt ihr aber trotzdem. Ihr habt ja auch diesen London-Gig, der gratis stattfinden wird. Wie kam es dazu?
Wir haben eine Agentur dort. Das wird unser erstes Konzert in Großbritannien und deshalb war das ganz praktisch. Außerdem haben wir uns überlegt, dass wir in Zukunft Konzerte ausverkaufen wollen. Die beste Möglichkeit dies zu tun ist es eben kostenlos zu spielen. (lacht)
Bei „Nurture“ hört man dieses mal auch wirklich raus, dass eure Band nur aus drei Mitgliedern besteht. „Psycho Boy Happy“ klang im Vergleich dazu schon sehr nach großer Band mit allem was dazu gehört.
Das war auch genau unser Plan! Für uns war das eine klare Entscheidung nach „Psycho Boy Happy“. Als wir uns das Album im Nachhinein angehört haben, haben wir gemerkt, dass es sehr opulent und sehr dick aufgetragen war. Es war cool, dass wir so etwas machen konnten, aber wir wollten doch lieber zurück zu einem Drei-Mann-Sound. Wir wollten mehr so klingen wie eine Band eben klingt, die nur aus drei Leuten besteht. Deshalb sind die Songs im Endeffekt auch so runter gedreht.
Verändert das Live irgendetwas?
Ich denke schon. Wir hatten für das erste Album schon einen ziemlich heftigen Background-Sound, weil wir viele Sachen einfach nicht live spielen konnten. Jeder von uns hat immerhin nur zwei Hände und Füße. Bei unserem neuen Album werden wir einfach mehr live spielen können. Das gibt uns mehr Freiheit und das sind noch mehr wir. Es klingt zwar bescheuert, aber es ist einfach alles etwas mehr Handwerk. (lacht)
Dieses Album ist irgendwie etwas weniger tanzbar. Der neue Sound ist eingängiger und ruhiger. Sollte das dieses mal so sein?
Ich glaube das ist einfach so passiert. Also, ausgedacht haben wir uns nicht, dass wir weniger tanzbar sein wollen. Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich glaube so etwas merken wir erst, wenn wir die Sachen live spielen und uns dann wundern, wieso niemand sich bewegt. (lacht) Das war keine bewusste Entscheidung. Mal sehen, wie es dann auf Tour ist. Vielleicht können wir ja noch was raus reißen. Hoffentlich. (lacht)
Habt ihr Gefühle, die ihr euch für eure Hörer wünscht?
Oh! Wünsche?
Jeder Künstler möchte doch in seinem Hörer etwas auslösen, oder? Was soll „Nurture“ in den Leuten bewegen?
Ich wünsche mir generell, dass die Leute glücklich sind. Aber vor allem wünsche ich mir auch, dass sie sich darüber Gedanken machen, wenn sie es hören. Nicht so, dass sie sich denken: „ Was denken die Jungs sich?“, sondern dass in ihnen ein Gefühl aufkommt, das bleibt. Man kennt das ja, man hört einen Song hunderte Male und irgendwann gar nicht mehr. Ein paar Jahre später hört man ihn wieder und in einem kommt dieses Gefühl auf, das man zu der Zeit hatte. Wenn wir das schaffen mit unserer Musik, dann ist schon irgendwie viel getan. Wenn Leute auch nach Jahren noch einen guten Moment haben, wenn sie unseren Song hören.
Fabian hatte vor kurzem mal gesagt, dass er die Texte heute komplett anders schreiben würde. Das ist dann wahrscheinlich auch genau das, was du meinst – die Gefühle sind trotzdem immer noch da, wenn man den Song hört..
Genau! Eigentlich ist das genau so. Man schreibt einen Text und ein paar Monate später fühlt man einfach ganz anders gegenüber der geschilderten Sache. So ähnlich kann das auch beim Zuhörer passieren. Wenn sie unsere Sachen hören und ein paar Monate später weiter im Leben sind. Sobald sie unseren Song dann aber wieder hören, werden sie nochmal in die Zeit zurück versetzt.
Ihr würdet also alles genau so machen, wie ihr es jetzt gemacht habt?
Ja, nur eben mit unserem jetzigen Stand der Gefühle.
Das heißt also, eure Songs, egal wie melancholisch, sind immer echt und zu 100% eigene Erfahrung?
Auf jeden Fall, ja. Das ist alles sehr persönlich und nichts ist wirklich fiktiv.
Ihr seid jetzt gerade auch wieder in diesem Veränderungsprozess – das heißt, in zwei Jahren lernen wir euch dann wahrscheinlich nochmal ganz neu kennen? Oder seid ihr musikalisch schon angekommen? Habt ihr euch Ziele gesetzt?
Na, hoffentlich verändert sich noch was. (lacht) Irgendwann kommen wir musikalisch sicher an, aber wir sind jung und haben noch viel zu lernen. Wir sind noch zu nah an diesem Album dran. Jeder wird für sich in nächster Zeit nochmal Musik machen. Konkrete Ziele könnte ich aber aktuell noch nicht auf den Punkt bringen.
Interview: Bella Lacroix