6 aufstrebende Singer-Songwriterinnen, die ihr im Auge behalten solltet: Phoebe Green

Phoebe Green – der Name könnte dem einen oder anderen irgendwie bekannt vorkommen. Wer mit der Musik der Britin bisher eher gitarrenlastigen Indie-Pop und entspannte, träumerische Melodien verband, erinnert sich richtig. Seit Phoebe Greens erster Veröffentlichung sind mittlerweile sechs Jahre ins Land gezogen, in denen sich sowohl der Musik- als auch der Kleidungsstil der jungen Musikerin maßgeblich verändert haben. In Kürze werden mit ihrem ersten Studioalbum „Lucky Me“ 13 neue Tracks erscheinen, die Phoebe Green von einer ganz anderen Seite zeigen, als wir sie bisher kannten.

Phoebe Green – Selbstkritische Melancholie an Elektro-Pop

Vor rund drei Jahren präsentierte sich die damals 21-Jährige im Musikvideo zu ihrer Single „Dreaming Of“ mit natürlichen braunen Locken, einem sanften Lächeln auf den Lippen und trotz ihres bereits flippigen Vintage-Styles relativ brav und natürlich. „This wasn’t what I was dreaming of“ sang sie melancholisch und unter Bezugnahme auf eine fehlgegangene Beziehung. Damit weckte sie sogar das Interesse von Billie Eilish, die den Song zu ihrer persönlichen Playlist hinzufügte. Der Superstar sei für Phoebe Green aber trotzdem „unantastbar“, eine Kontaktaufnahme hätte sie daher gar nicht erst versucht.

Der kurz danach im Jahr 2019 erschienene Track „Easy Peeler“ handelt vom Verliebtsein und dem Einfluss, den Soziale Medien auf moderne Beziehungen ausüben. Der Titel klingt schon deutlich düsterer und rockiger, das Musikvideo zeigt die Sängerin sowohl als Femme Fatale der 50er-Jahre, als auch als Dandy-Boy im schicken Anzug. So bewies Phoebe Green, die mittlerweile 24 Jahre alt ist, bereits damals ihre Wandelbarkeit und Experimentierfreude.

Die Sängerin passt sich nicht an

In ihren vor Kurzem erschienen Musikvideos zu den Singles „Sweat“, „So Grown Up“ oder „Make It Easy“, die einen Vorgeschmack auf ihr im August kommendes Album „Lucky Me“ gaben, ist die Singer-Songwriterin aus Manchester kaum wiederzuerkennen. Phoebe Greens bisher braune Locken sind nun knallorange, ihre Augen sind bunt geschminkt und ihr Kleidungsstil rangiert irgendwo zwischen britischem Vintage-Preppy, 2000er Street-Style und Grandma-Chic. Festgelegt ist dabei aber nichts, die Sängerin passt sich an keinen Stil an und bleibt offen für Veränderung.

Und auch musikalisch schlägt sie diesen Weg ein: Ihr Indie/Alternative-Ansatz ist weiterhin zu erkennen, hinzugekommen sind aber mehr Synths und elektronische Elemente, die eine nostalgische Atmosphäre kreieren – gleichsam klingen die Songs poppiger als zuvor, teilweise auch düsterer. Eine DNA ist zu erkennen, trotzdem lässt sich kein Überbegriff finden. Die Lyrics lassen dafür mehr als vorher in die Seele der Musikerin blicken und zeigen – neben ihrem mit der Zeit hinzugewonnenem Selbstbewusstsein – auch ihre Unsicherheiten. „Never know what to make out of something good/Easier to ruin myself”, heißt es so beispielsweise im Text zu “Sweat”.

Songwriting als Selbsttherapie

Während Phoebe Green im dazugehörigen Musikvideo scheinbar fröhlich in unterschiedlichen Outfits auf dem Sofa herumhüpft, singt sie davon, wie sie sich immer wieder selbst sabotiert, sobald etwas in ihrem Leben gut läuft. Ein Mechanismus, den sie einsetze, um nicht von anderen verletzt zu werden. Trotzig hält sie in dem Video mehrfach den Mittelfinger in die Kamera, wirkt dabei aber nicht böswillig oder verbittert, sondern befreit und ehrlich. Die 24-Jährige scheint sich mit ihrer Musik selbst zu therapieren und bietet ihren Zuhörern an, sie auf dieser Reise zu begleiten und auch die eigene Gefühlswelt zu reflektieren. Der Stilwandel Phoebe Greens zeugt von vielen neuen Erfahrungen und Herausforderungen, die das Älterwerden ausmachen: Sie klingt zwar auf ihren neuen Werken erwachsener, man merkt aber auch eine stärker präsente Verletzlichkeit, die vorher nur sanft durchschien, noch nicht ganz greifbar war.

Debüt mit 14: Angestaubte Auto-CDs  

Mit ihrem Debüt „02:00 AM“ wandte sich die Singer-Songwriterin 2016 das erste Mal mit einem ihrer Werke an die breite Öffentlichkeit. In einem Interview verriet die 24-Jährige, dass „02:00 AM“ strenggenommen aber nicht ihre allererste Platte war. Sie hätte bereits im Alter von 14 Jahren ein Mixtape ihrer Songs zusammengestellt, das sie bei Schulkonzerten verkauft habe. Sie vermute, diese CDs würden wohl seither in den Autos diverser Elternteile in ihren Hüllen vor sich hin stauben.

Ihr „richtiger“ Erstling erschien dann pünktlich zu ihrem 19. Geburtstag, geschrieben hatte Phoebe Green die Songs aber schon Jahre vorher – mit 16. Sie wuchs in der Kleinstadt Lytham, nahe Manchester auf, was dazu führte, dass schon ihre frühen Songtexte sich viel damit beschäftigten, sich isoliert und allein zu fühlen.

Da sich der Stil der Musikerin über die Teenager-Jahre hinweg noch stetig änderte und weiterentwickelte, zog sich die Fertigstellung ihres Debüts über mehrere Jahre hin. Während sie also ihren Schulabschluss machte, speicherte sie immer wieder Textideen in ihren Notizen und zeichnete nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, Melodien auf. Sie sei schon immer gerne ausgelastet gewesen, immer beschäftigt oder unter Menschen, betonte sie. Mittlerweile hört Phoebe Green ihre damaligen Songs nur noch ungern: Ihr Musikgeschmack habe sich seither zu sehr verändert, außerdem frage sie sich bei den meisten Songs, was sie sich nur dabei gedacht hätte.

Nachdem sie ihr Debüt-Album unabhängig veröffentlicht hatte, begann die Sängerin an einer Musikschule zu studieren. Dort stellte sie eine Band zusammen, mit der sie künftig regelmäßig auftrat. Auch ihre jüngere Schwester Lucy, mit der sie schon immer gerne gemeinsam Musik gemacht hatte, ist Teil ihrer Band. Sie spielt Klavier und half ihr auch mit dem Greenscreen-Musikvideo zum Song „GRIT“. Es habe viele Vorteile, mit seiner Schwester zusammen auf Tour zu sein, formulierte Phoebe Green einst. Die Tatsache, dass sie so kaum Heimweh habe, sei nur einer davon. Weitere positive Seiten wären, immer jemanden zum Streiten zu haben und, dass ihre Stimmen sehr ähnlich klängen.

Obwohl die Musikerin schon damals in Kontakt mit Plattenlabels stand, wollte sie diesen großen Schritt nicht direkt gehen. Erst Jahre später, die ihr Zeit gaben, zu sich selbst zu finden und sich sicherer über ihre Wünsche und Vorstellungen zu werden, unterschrieb sie einen Vertrag mit dem Indie-Label Chess Club Records, mit dem sie bis heute zusammenarbeitet. Unter Vertrag sind dort unter anderem auch Sundara Karma, Alfie Templeman oder Sinead O’Brien. Obwohl sie sich wünschen würde, alle anfallenden Aufgaben ganz allein bewältigen zu können, sei sie glücklich mit ihrer Entscheidung. Phoebe Green erklärte, ihr gefiele an dem kleinen Label vor allem, dass sie die Personen dahinter persönlich kenne und eine Bindung zu ihnen aufbauen könne. Das sei ihr für die gemeinsame Zusammenarbeit sehr wichtig.

Zwischenmenschliche Beziehungen dienen ihr als Inspiration

Allgemein beschäftigt sich die Singer-Songwriterin gerne mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie beschreibt sich selbst als extrovertiert und erzählte in einem Interview, ihre neuen Texte hätten pandemiebedingt eher sie zum Subjekt. Früher hätte sie aber auch gerne Inspiration aus Verbindungen zu anderen Menschen geschöpft. Obwohl sie naturgemäß immer nur aus ihrer eigenen Perspektive texten könne, schrieb sie daher oft über andere Personen und den Interaktionen mit ihnen – mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass Menschen aus ihrem Umfeld oft wissen wollten, ob ein Song von ihnen handle. Da sie keine gute Lügnerin sei und diesem Problem daher lieber aus dem Weg gehen wolle, hätte sie sich beim Songwriting mehr auf sich selbst fokussiert. So analysiere sie nun auch gerne eigene Wesensveränderungen und deren Auswirkungen auf ihr Umfeld.

In Phoebe Greens Track „Reinvent“ geht es beispielsweise darum, wie sie sich für jede Interaktion neu erfindet und ihrem Gesprächspartner jeweils anpasst, um von ihm gemocht zu werden. In „Lucky Me“ singt sie darüber, sich für ihre psychischen Probleme schuldig zu fühlen. Obwohl ihr Leben nach außen hin einfach aussähe, fühle sie sich nicht psychisch gesund und befürchte, dafür von anderen verurteilt zu werden. Aus diesem Grund verleugne sie sich lieber selbst, bevor andere ihr damit zuvorkommen könnten. Diese Art düsterer Selbstreflexion macht die Lyrics der neuen Phoebe-Green-Ära aus und dürfte damit Unmengen an Generation-Z-Angehörigen ansprechen. Dass die Musikerin sich in ihren Texten offen und verletzlich zeigt und gleichzeitig selbstbewusst, cool und experimentell auftritt, macht ihr Werk besonders.

„Verletzlichkeit ist mein roter Faden“

Dass es Phoebe Green mittlerweile leichter fällt, ihre Gefühlswelt in ihren Songtexten zu offenbaren, hat auch mit ihrer Musikkarriere zu tun. Durch ihre Fans habe sie erkannt, dass sich viele mit ihren Gedanken identifizieren können. Die positiven Rückmeldungen seien für die Sängerin eine Ermutigung, auch, weil sie ihr das Gefühl gäben, nicht allein zu sein. Die Verletzlichkeit, so Green, würde sich „wie ein roter Faden“ durch ihr Werk ziehen, weil sie sich nur mithilfe der Musik wirklich ausdrücken könne. In die Ecke drängen lassen will sich Phoebe Green aber von einem einmal gewählten Genre nicht. Im Gegenteil wolle sie ihren Sound über die Zeit hinweg immer wieder ändern und ihrer Entwicklung als Person entsprechend anpassen. Dass sie sich damit eher gegen die heutige Funktionsweise der Musikindustrie stellt und den Algorithmen von Musikplattformen die kalte Schulter zeigt, ist ein Zeichen ihrer Integrität und spricht für die junge Musikerin.

Doch auch die Singer-Songwriterin musste erst einmal lernen, andere Musikgenres und Stile für sich zu entdecken. Das sei ihr vor allem durch ihren Umzug in die nächstgelegene Großstadt Manchester gelungen. Die florierende, aber doch eng verbundene Musikszene dort bot Phoebe Green die Möglichkeit, über ihren Tellerrand hinauszuschauen. Durch die unterschiedlichen Einflüsse hätte sie verhindern können, selbstgefällig zu werden und konnte so auf neue Ideen kommen. Während sie früher aus Unsicherheit den Stil anderer Künstler, die ihr gefielen, kopiert habe, sei sie nun viel mehr darüber im Klaren, wo sie mit ihrer Kunst hinwolle. Dabei hat ihr überraschenderweise auch Corona geholfen: Die Zeit und die Freiheit, die die Pandemie ihr einräumte, sorgte dafür, dass sich die Sängerin musikalisch austoben konnte – ohne dabei von anderen beobachtet oder bewertet zu werden. Ihre Vorgehensweise bei neuen Songs beschrieb sie zuvor im Interview mit FastForward: „Es läuft so, dass ich ein Demo aufnehme, dann reichen wir es innerhalb der Band untereinander weiter. Und jeder von uns ist erst einmal komplett frei darin, was er damit machen will. Jeder kann alles Mögliche ausprobieren. Das hat für mich ehrlich gesagt super funktioniert.“ Die befreite Arbeitsweise schlägt sich auch auf Phoebe Greens bisher erschienenen Songs wieder. Alle Tracks von „Make It Easy“ über „Sweat“ bilden ihren eigenen kleinen musikalischen Kosmos und zeigen eine andere Seite der 24-Jährigen.

Warum sollten wir Phoebe Green im Blick behalten?

Die Singer-Songwriterin hat es sich zum Ziel gemacht, Musik für sich selbst zu schreiben – solche, die sie sich selbst gern anhöre. So löste sie sich von vermeintlichen Erwartungen von außen und erfand sich neu. Über die Jahre hinweg hat uns Phoebe Green durch ihre Veröffentlichungen mitgenommen auf ihre Selbsterkundung als Künstlerin: Dabei überzeugte sie schon als Teenagerin mit klassischen Indie-Pop und nun mit ihrem neuen, eigeneren Sound, der alte Elemente mit dazugekommenen vereint. Damit erzeugt Phoebe Green nicht nur Spannung hinsichtlich ihrer kommenden Werke, sondern schreitet auch, für ihre Zuhörer vorbildhaft, auf ihrem eigenen Weg voran.

Foto © Chelsea Mulcahy