Phoebe Green im Interview: „Zwischenmenschliche Kontakte sind für mich das Allerwichtigste“

Phoebe Green ist zuhause in ihrer Wohnung in Manchester, und es stellt sich heraus, dass sie direkt um die Ecke wohnt von dem letzten Club in dem ich tanzen war, bevor die Pandemie uns alle ereilt hat. Als Musiker*in in Manchester zu leben ist so eine Sache, die Industrie ist ständig auf der Suche nach jemandem, den sie als „Manchester’s Next Big Thing“ bezeichnen kann. Und auch wenn diese Labels ein bisschen albern sind gibt es doch einiges das dafür spricht dass diejenigen, die dieses gerne Phoebe Green verpassen wollen, nicht so ganz falsch liegen.

Phoebe Green ist 23 Jahre alt und hat bereits selbst ein Album veröffentlicht, als sie gerade mal 18 Jahre alt war. Inzwischen hat sie einen Vertrag beim Label Chess Club Records, das zurecht einen gewissen Ruf als Tastemaker genießt. Mit ihren letzten beiden Singles „Reinvent“ und „IDK“ beweist sie, dass sie ein Händchen für kraftvolles, eingängiges Songwriting hat und dass sie, gemeinsam mit ihrer Band, gerade dabei ist, einen sehr eigenständigen Sound zu entwickeln. Sie hat viele kluge, interessante Gedanken dazu was es bedeutet, eine Frau im Musikbusiness zu sein und wie man seine Karriere in Gang bringt, wenn man nicht wie sonst in der Lage ist, eine Show nach der anderen zu spielen. Und außerdem – was kann schon schief gehen bei einer jungen Frau, die ständig in fröhliches Gelächter ausbricht und deren Kopfhörer, ganz lässig, perfekt auf die Farbe ihrer Haare abgestimmt sind.

Wie ist es dir im letzten Jahr ergangen? Du bist ja gerade dabei, dir in dieser schwierigen Zeit eine Karriere aufzubauen.

Es ist hart. Ich glaube aber ich hatte Glück, weil ich immer ein bisschen damit gekämpft habe, Zeit zum Arbeiten zu finden. Jetzt, mit dieser ganzen freien Zeit, gibt es keine Ausreden mehr (lacht). Ich muss einfach. 

Aber ist es wirklich leichter? Ich finde es kann auch schwierig sein, wenn man plötzlich alle Zeit der Welt hat. 

Ja, ich weiß was du meinst. Man hat offensichtlich viel weniger Einflüsse. Es gibt nicht so viel, worüber man schreiben kann. Aber dann wiederum hat man die Zeit, mal in sich selbst hineinzuschauen (lacht). Was nicht besonders schön ist, aber hilft ja nichts.

Aber das ist ein wichtiger Teil des Musikmachens, oder? Sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ich kann mir vorstellen, dass das eine ganz schön intensive Erfahrung ist, vor allem wenn man so früh damit angefangen hat wie du. 

Ja, ich habe angefangen, da war ich um die 19. Jetzt bin ich 23. 

Und was für ein Verhältnis hast du heute zu den Songs, die du damals geschrieben hast?

Ganz ehrlich, ich hasse sie (lacht). Ich hasse sie! Wenn ich sie heute höre denke ich: was habe ich mir bitte dabei gedacht? Was soll das bitte sein? Ein paar gibt es, bei denen ich denke okay, das ist schon ganz gut. Aber der Rest… ich wäre glücklich damit, wenn ich sie nie wieder hören müsste. 

Hast du diese Songs damals veröffentlicht?

Ja! Ich habe mit 18 selbst ein Album raus gebracht. Das hat mir ein bisschen Aufmerksamkeit gebracht. Die Leute mögen es immer noch… neulich hat mir jemand geschickt, dass er sich das Albumcover hat tätowieren lassen! Ich meinte: oh Gott, hör auf dir dieses Album anzuhören! (lacht) Aber das ist großartig! Die Leute lieben es. Und nur weil ich jetzt woanders bin, heißt es ja nicht, dass es allen anderen genauso gehen muss.

Du hast offensichtlich etwas geschaffen, womit die Leute sich identifizieren können. Das ist doch der Inbegriff von Kunst. 

Ja, da hast du recht.

Aber ich kann das nachvollziehen. Mir wäre es sehr peinlich, wenn etwas da draußen wäre, das ich mit 18 gemacht habe. 

Es ist so verrückt wie schnell man sich verändert, ohne dass man es wirklich merkt. Bis man sich anhört, was für eine Perspektive man damals hatte. Es ist verrückt. Aber auch interessant. 

Und was genau hat sich verändert? Erzähl mir, in welche Richtung deine Wahrnehmung sich geändert hat.

Also, erst einmal verändern sich die Erfahrungen, wenn man älter wird. Die Dinge, die einen inspirieren, ändern sich komplett. Mein Stil hat sich auf jeden Fall verfeinert. Als ich jünger war, habe ich versucht die Bands zu imitieren die ich mochte oder das, was ich cool fand. Ich wusste einfach überhaupt nicht wie ich klingen wollte. Jetzt bin ich mir total sicher! Ich weiß genau wie ich klingen möchte. Ich bin so erleichtert, dass ich endlich einen Ort gefunden habe, an dem ich einfach nur glücklich mit meinem ganz eigenen Sound bin.

Ich finde das so beeindruckend! Und dann in dieser Zeit. Durch die Pandemie ist uns ja unser normales Leben doch sehr genommen worden. Ich finde auch, dass es für junge Leute noch viel schlimmer ist. Die Zeit gibt euch niemand mehr zurück.

Ich verstehe was du meinst. Ich muss sagen, dass mir die Generation, die noch etwas jünger ist als ich, noch mehr leid tut als ich mir selbst. Sie wissen ja gar nicht, was sie verpassen. Ich meine, wir können sagen: ich kann es kaum erwarten, bis alles wieder normal ist. Aber viele hatten dieses „Normal“ noch gar nicht. Viele sind vielleicht gerade 18 geworden, können erst jetzt anfangen auszugehen, herausfinden was ihnen Spaß macht und neue Leute treffen. Oder die, die gerade anfangen zu studieren. Sie wissen doch gar nicht, wie das wirklich ist! Und verpassen die Chance, sich dadurch als Mensch zu entwickeln. Das ist so traurig. Zwischenmenschliche Kontakte sind für mich das Allerwichtigste. Alles worüber ich schreibe, alles was mir wichtig ist, ist mein Bedürfnis, mich mit anderen Menschen zu verbinden. Jetzt, da die Dinge endlich wieder normaler werden, habe ich angefangen meine Freunde wiederzusehen, und ich bin sofort so viel glücklicher. Ich wusste gar nicht, wie down ich war, bevor ich meine Freunde wiedergesehen habe. Man sieht erst jetzt, wie sehr wir diese Dinge als selbstverständlich hingenommen haben.

Da wir über „back to normal“ sprechen – wann ist denn deine erste Show geplant?

Meine erste Show soll ungefähr in einem Monat sein. Ich weiß nicht ob es klappen wird, aber ich hoffe es. Ich habe noch nie eine Festival Season mitgemacht, das wird meine erste sein. 

Du fängst direkt mit Festivals an? Keine Warm-Up-Gigs?

Nein, direkt auf die Festival Bühne. Sehr aufregend! Aber ich kann es kaum erwarten.

Gibt es auch etwas, wovon du weißt, dass du es nicht getan hättest, wenn das letzte Jahr nicht so anders gewesen wäre? Etwas, worüber du heute glücklich bist?

Oh, so vieles! Ich habe mich in dieser Zeit total verändert. Ich bin ein ganz neuer Mensch. Ich glaube, ich habe noch nie so viel darüber nachgedacht was ich eigentlich von meinem Leben will, wie in dieser Zeit. Die Selbstentwicklung die ich durchgemacht habe, ist total verrückt. Ich meine wirklich, total verrückt! Ich habe nie wirklich an mir selbst gearbeitet. Und ich wusste gar nicht, wie nötig ich es habe. Ich glaube nicht, dass ich mich so verändert hätte, wenn das hier nicht passiert wäre. Ich hatte wirklich Glück. 

Und auch in kreativer Hinsicht? Hat es dir da neue Perspektiven eröffnet?

Definitiv. Es hat mir geholfen, mich selbst zu hinterfragen. Es hat mir mehr Raum gegeben, kreativ zu sein. Dadurch, dass wir alles aus der Ferne machen müssen, hatte ich viel mehr Freiheit, verschiedene Sounds auszuprobieren. Niemand guckt dir über die Schulter, beobachtet was du machst und gibt dir seinen Input, wenn du ihn gar nicht brauchst (lacht). Du kannst einfach tun was du willst. Es läuft so, dass ich ein Demo aufnehme, dann reichen wir es innerhalb der Band untereinander weiter. Und jeder von uns ist erst einmal komplett frei darin, was er damit machen will. Jeder kann alles mögliche ausprobieren. Das hat für mich ehrlich gesagt super funktioniert.

Das ist eine sehr coole Art, miteinander zu arbeiten. 

Ich möchte nicht mehr, dass es sich ändert! Niemand in meiner Band will das. Im Gegensatz zu mir sind die Leute mit denen ich arbeite alle sehr introvertiert. Wir mögen es alle sehr, aus der Ferne miteinander zu arbeiten. Jeder ist dabei total frei, wie er den Sound weiter formen will. Und es ist außerdem viel billiger (lacht). Als wenn man Geld fürs Studio ausgibt. Ich glaube, durch diese ganze Geschichte sind wir viel offener für unterschiedliche Möglichkeiten geworden, miteinander Kontakt zu halten. Ich hoffe, das bleibt auch so, wenn das hier alles vorbei ist. Früher haben wir es irgendwie als selbstverständlich hingenommen, dass wir uns jederzeit sehen und miteinander sprechen können. Aber jetzt sehnen wir uns so danach, dass wir bereit sind uns mehr Mühe zu geben, uns umeinander zu kümmern.

Und wer hat das letzte Wort, nachdem die Demos die Runde gemacht haben?

Ich meine, wir arbeiten mit Produzent*innen zusammen, die uns helfen den Sound so zu feilen, damit alles großartig klingt. Am Ende des Tages bin ich aber diejenige die sagt: das gefällt mir so nicht. Mach das so! Mach das so! (lacht) Ich habe definitiv mehr das Gefühl, die Kontrolle über die Situation zu haben. Ich kann so objektiv wie möglich sein. Wenn mein Gitarrist mir einen Part geschickt hat, den ich scheiße finde, fällt es mir viel leichter zu sagen: sorry Kumpel, können wir das nochmal versuchen? (lacht)

Wie lange lebst du schon in Manchester? Oder bist du dort auch aufgewachsen?

Ich bin eine Stunde entfernt am Meer aufgewachsen. In einer sehr kleinen Stadt. Ich lebe seit ungefähr fünf Jahren hier. Ich habe das Gefühl, wenn du am Meer aufgewachsen bist, dann zieht es dich immer dorthin. Sobald du am Meer bist, spürst du diese Verbindung. 

Beeinflusst es dich als Künstlerin, in einer Kleinstadt aufgewachsen zu sein?

Definitiv. Ich glaube, als du mich vorhin gefragt hast, was sich bei mir verändert hat seit meinen frühen Sachen, dann denke ich jetzt, dass mein erstes Album aus dem Gefühl der Isolation raus entstanden ist, das ich hatte, als ich jung war. Diese Ruhelosigkeit, die man an so einem engen Ort fühlt. Ich bin lieber an großen Orten, zusammen mit vielen Menschen. Der Platz, den ich jetzt für mich selbst habe, hat mich definitiv beeinflusst. Es kann so erdrückend sein, in einer Kleinstadt aufzuwachsen, in der dich die meisten Menschen nicht verstehen.

Das macht total Sinn. Ich habe daran gedacht, wie du in „Reinvent“ darüber singst, wie Leute dich im Gespräch beurteilen. Ich finde, das ist auf dem Land viel härter.

Definitiv. Sie glauben, sie wissen alles. Dabei wissen sie gar nichts (lacht). Und sie ändern sich nie! Ich habe das Gefühl, wenn man dort bleibt, ändert man sich nie. Es ist so lustig, immer wenn ich nach Hause fahre, starren die Leute mich einfach nur an. Sie kennen so etwas nicht, jemanden mit gefärbten Haaren, ohne Augenbrauen. Sie starren mich an und denken: wer zum Teufel ist das…

Es ist für Frauen auch nochmal schwerer, oder?

Oh Gott, ja! Auch als Musikerin. Du musst dich immer doppelt und dreifach beweisen. Dass du mehr drauf hast als das, was die Leute von dir erwarten. Reine Männerbands können es sich leisten total durchschnittlich zu sein, und trotzdem zweifelt niemand ihre Fähigkeiten an. Niemand zweifelt sie an oder bevormundet sie. Aber als Frau musst du ganz, ganz besonders sein, damit man dich ernst nimmt.

Um langsam zum Schluss zu kommen. Gibt es etwas, das du dir für die Zukunft wünschst?

Ohhh. Jetzt muss ich gut überlegen, wie ich das formuliere. Ich wünsche mir, dass weibliche und non binäre Musiker*innen immer in erster Linie für ihre Musik geschätzt werden und nicht dafür, wie sie sich kleiden oder sonst wie präsentieren. Ich wünsche mir, dass die Musik das ist, wonach wir beurteilt werden und nicht das Geschlecht oder was auch immer.

Ich finde es toll, dass du dir etwas so Universelles gewünscht hast. Es hätte ja auch etwas nur für dich sein können.

Oh nein, ich will einfach nur ernst genommen werden! (lacht) Ich habe so ein Problem damit mich zu entscheiden, was ich für eine Show anziehen will. Vielleicht würde ich mich einfach gut damit fühlen, wenn ich mich sehr weiblich kleide. Aber werde ich dann genauso respektiert werden? Ich wünschte, Männer müssten sich um so etwas Gedanken machen!

Unser Interview mit Phoebe Green könnt ihr hier auch im englischen Original lesen.