Zu Besuch bei Kid Simius

Kid SimiusEinen Musiker in seinen eigenen vier Wänden zu besuchen macht immer besonders viel Spaß. Nirgendwo erfährt man mehr über die Musik und denjenigen der sie macht als unmittelbar dort, wo sie entsteht. Umso mehr habe ich mich gefreut dass José García Soler, wie Kid Simius mit bürgerlichem Namen heißt, mich in sein Studio eingeladen hat um bei Apfelschorle und Cola (hat er selber im Rucksack mitgebracht) über seine neue EP „Jirafa Waves“ und was er sonst noch so treibt zu plaudern.
Inzwischen hat der Wahl-Berliner, der vor sechs Jahren aus seiner Heimat Granda nach Deutschland gekommen ist, ein eigenes Studio in Lichtenberg. Es ist nicht groß, dafür bis unter die Decke vollgestopft mit Instrumenten, Computern, Synthesizern und Schallplatten. Es ist sein eigenes Reich und er genießt es, dort nach Lust und Laune, wann immer er will, Musik hören und machen zu können. Gerade arbeitet er an einem Mixtape für einen spanischen Radiosender, er spielt mir das bisherige Ergebnis vor. Plötzlich springt er auf, schnappt sich eine Platte und legt sie auf den Plattenteller. „Ich habe gerade einen Schwung uralter House-Platten gekauft,“ erzählt er begeistert. „Richtig alter Scheiß, aber so cool. Heute kann man mein Produzieren ja alles machen, fette Streicher, fette Bläser. Das verpufft fast schon. Bei den alten Sachen war man ein bisschen limitierter von der Technik her. Da ging es mehr darum, dass man geile Ideen hatte.“ Ein Track aus „Larry Levan’s Paradise Garage“ rumst durch den Raum. José strahlt begeistert. „Diese Kick und diese Snare, das sollte man eigentlich13214396_10153447041290800_413007781_o sampeln“, schwärmt er. Die Technik ist natürlich so miteinander verbunden, dass ein Stück von Vinyl aus in Windeseile im Computer ankommt. Die nächste Platte wird gezückt. „Copacabana Disco Style, hör dir mal den Anfang an. So würde ich am liebsten meine nächste Platte anfangen lassen.“ José groovt auf seinem Drehstuhl. Ist das die Art von Initialzündung, wie seine Songs anfangen, möchte ich wissen. Ein Songfragment, ein Sample, das eine Idee auslöst? „Eigentlich vermeide ich so etwas,“ meint er. „Früher fand ich das gar nicht cool. Aber wenn man richtig recherchiert, in einen Plattenladen geht und Sachen rauf und runter hört, vor allem Sachen die niemand kennt, das finde ich in Ordnung. Trotzdem versuche ich es nicht so oft zu machen. Es muss dann schon etwas Besonderes sein. Man kann nicht jeden Scheiß samplen, das ist nicht sexy.“ Er lacht laut. Wie ein Song bei ihm seinen Anfang findet, das kann sehr unterschiedlich sein. Mal ist es ein Beat, den er plötzlich im Kopf hat, mal ein Melodiefragment oder die Lust, ein bestimmtes Instrument zu benutzen. Zu meinen Füßen liegt die Melodica, die oft bei Kid Simius Live-Auftritten zum Einsatz kommt. Ringsherum und in den Sofaritzen Reste von silbernem Glitter. „Ich habe keine Ahnung wo das herkommt!“ ruft José aus und legt die nächste Platte auf.
„Das mit der Kreativität ist so eine Sache,“ erzählt er. „Ganz früher galt es als etwas, das Besonderen Menschen vorenthalten war. Wenn die Muse dich geküsst hat, dann hattest du bestimmte Qualitäten die niemand anders hatte. Das hat diese Menschen natürlich in den Kopf gefickt. Die hatten wahnsinnigen Druck! Wenn du immer abliefern musst weil die Leute es von dir erwarten, das ist nicht gut für deine Kreativität. Dann gab es Zeiten, da wurde Kreativität als etwas Externes gesehen, das kam entweder zu dir oder nicht. Ich glaube, wenn man es so sieht, das ist gesünder für einen als Mensch. Wenn die Leute dir immer sagen du bist der Geilste und du gehst ins Studio, dann denkst du auch du musst jetzt das Allergeilste machen. Das ist totale No-Go-Area. Erst wenn du dich von allem um dich herum befreist, dann passieren gute Sachen.“
13112684_10153447041310800_263272853_oAn der Wand hängen goldene Schallplatten, unter anderem von Marterias Alter Ego Marsimoto. Kid Simius ist gut vernetzt, seine Zusammenarbeit mit Kollegen wie Marteria und Miss Platnum ermöglicht ihm, zusammen mit den zahlreichen Live-Shows die er übers Jahr verteilt spielt, von seiner Musik zu leben. Für den Mega-Hit „Lila Wolken“ bastelte er damals den Beat – ein Werk, auf das er durchaus mit gemischten Gefühlen zurückschaut. „Ich dachte damals ich hatte einen schlechten Tag“, lacht er. „Nach langem Überlegen habe ich es doch weiter gegeben und dann wurde es ein Riesen Hit.“ Wenn es um seine eigene Musik geht, ist er eher weniger auf der Jagd nach Hits. „Im Gegenteil, man kann auch richtig die Arschkarte haben, wenn man einmal einen großen Hit hatte. Wer weiß ob sich dann noch jemand für das interessiert, was man danach macht. Wenn es passiert, gut. Aber das Wichtigste ist, dass man an das glaubt was man macht und sich selber treu bleibt.“
Tanzbare Tracks zu bauen sieht er dabei nicht als die größte Herausforderung. Auf der aktuellen Kid Simius EP „Jirava Waves“ gibt es mittendrin einen Bruch. Der Song „Berlin Flamenco Ensemble“ kommt fast ohne treibenden Beat aus, ein sanfter Bass und einzelne Claps untermalen Fado Gesang und die titelgebenden spanischen Gitarren. „Sowas macht mir Spaß im Moment,“ strahlt José. Er setzt sich an den Computer und spielt mir eine Reihe frisch aufgenommener Tracks vor, die alle in diese Richtung gehen, irgendwo zwischen spanischer Folklore und italienischem Sommer-Pop. Ich möchte mir sofort einen Grace Kelly Schal um den Kopf wickeln und im Cabriolet die Küste entlang fahren. Aber hat das jetzt Hit-Potential? José ist sich nicht sicher. „Das ist ein bisschen ein Problem, das ich habe, die Richtung in die ich gehen soll“, erklärt er. „Irgendwie ist es mir auch egal ob das, was ich veröffentliche zusammen passt. Ich sehe mich eigentlich auch gar nicht wirklich als Musiker. Mehr als Musik-Fan. Musiker sind für mich Leute die Ahnung haben von Harmonien und so. Für mich ist das alles immer noch eine große Überraschung. Aber das finde ich gut! Ich möchte, dass es immer so bleibt.“
Nach über einer Stunde verabschieden wir uns. Das Wochenende ruft. José hat eine kleine Tochter, die seine Aufmerksamkeit fordert, aber ein paar Stunden sollen auch am Wochenende für die Arbeit im Studio abfallen. „Jetzt haben wir nur gequatscht und Musik gehört, bist du sicher dass du alles hast, was du brauchst?“ fragt er mich besorgt, als er mich noch zur U-Bahn begleitet. Ich bin vollauf zufrieden. Für eine Stunde war ich zu Gast in der Welt von Kid Simius. Es war spannend, inspirierend und überaus freundlich dort.

Fotos und Gespräch: Gabi Rudolph