Y’Akoto und der „Mermaid Blues“. So hat die in Hamburg geborene Singer-Songwriterin mit ghanaischen Wurzeln ihr drittes Album getauft, nach dem „Babyblues“ und dem „Moody Blues“. Den Blues scheint Y’Akoto aber nicht zu haben. Sie spricht mit flammender Begeisterung über die Themen, die sie interessieren: musikalische und persönliche Selbstverwirklichung, vorurteilsfreie Begegnungen, Gleichberechtigung, Mut zur Stärke. Die namensgebende Meerjungfrau steht ihr dafür sehr nah: eine mutige Frau mit Liebe zum Meer, die sich fließend zwischen den Polen bewegt. Mit Y’Akoto zu reden ist mindestens so spannend, wie sie singen zu hören.
Du schreibst deine Songs selber, bist als Künstlerin sehr selbstbestimmt. Wie empfindest du das „Frau sein“ in deinem Metier? Ich höre ja immer wieder von Künstlerinnen, dass es nach wie vor nicht so einfach ist.
Ich glaube, dass Frauen von der Gesellschaft viel kritischer beäugt werden. So jemand wie Heidi Klum zum Beispiel wird ja stets sehr genau unter die Lupe genommen. Ich glaube das reflektiert auch ein bisschen, wir wir als Frauen selbst mit uns umgehen, wie wir uns selbst unter die Lupe nehmen, wie kritisch wir Frauen uns gegenseitig sehen. Wir sind sehr streng mit uns selber und auch sehr schnell damit, uns gegenseitig untereinander zu bewerten, uns Noten zu geben. Das muss definitiv aufhören. Zum Glück bin ich in einem Haushalt aufgewachsen, in dem das nicht gefördert wurde. Ich habe gelernt, dass man sich seine Position nicht dadurch erkämpfen muss, dass man die Einzige bleibt, sondern im Gegenteil seine Position noch verstärkt, wenn man andere mit ins Boot holt. Andere Frauen, Menschen mit multikulturellem Hintergrund. Das macht eine Sache immer besser. Nur auf seine eigene Besonderheit zu beharren, bringt einen auf die Dauer nicht weiter.
Ich habe das Gefühl, dass das Thema Feminismus oft gerade bei Frauen negativ besetzt ist.
Meine These ist ja, Männer sind die besseren Feministen. Ich denke es ist unsere Aufgabe, die Männer besonders hervorzuheben, die in Frauen vertrauen. Die sagen, ich möchte daran mit einer Frau arbeiten, ich interessiere mich an dieser Stelle für eine weibliche Perspektive. Dieser Türöffner liegt ganz stark bei Männern. Wir sind nunmal eine patriarchalische Gesellschaft. Wir Frauen wiederum müssen darauf schauen, wie wir uns selbst behandeln und wie wir uns untereinander behandeln, wie wir unsere Töchter und unsere Kolleginnen behandeln. Wie wir unsere Söhne erziehen! Achten wir darauf, dass wir auch Männer zu dezent ausbalanciert egoistischen Menschen erziehen oder behandeln wir sie wie kleine Prinzen? Wie viel erlauben wir Frauen uns und anderen? Man sollte auch keine Angst vor Begrifflichkeiten haben. Alles was zur Entwicklung einer Gesellschaft führt sollte angstbefrei behandelt werden.
Ich habe ja einen Sohn und bin manchmal wirklich schockiert, wie viel bei Kindern oft mit dem Satz „so sind Jungs halt“ entschuldigt wird.
Das ist genau die Verantwortung, von der ich spreche. Wir müssen auch unsere Männer zur Verantwortung ziehen, dass sie einen Anteil in der Erziehung übernehmen und als Vorbild fungieren. Dass wir unsere Söhne nicht zu kleinen Kaisern erziehen, die durch die Welt gehen und wütend werden, wenn ihnen nicht alles zufliegt. Es ist gerade die beste Zeit zu beobachten, wohin das führen kann (lacht). Ich muss manchmal sehr darüber lachen wenn ich höre, Mädchen wären so sensibel. Als Frau, die sich in einer Männerdomäne bewegt, empfinde ich das oft genau anders herum. Es geht nicht darum, wer hier besser oder schlechter ist. Das sind alles Gewohnheiten. Wenn deine Mutter dir immer nur gesagt hat, wie toll und wie süß du bist, in wieweit machst du dich dann zu, wenn du mit einer Frau zusammen arbeitest? Wie gehst du damit um, wenn du von ihr plötzlich kritisiert wirst? Auf meiner zweiten Platte habe ich den Song „Mother and Son“ geschrieben. Ich denke, es beeinflusst Männer schon, wenn sie ohne Vater aufwachsen. Nicht unbedingt ins positive.
Du bist ja viel unterwegs, hast verschiedene Lebensmittelpunkte. Dein Album hast du in Schweden aufgenommen. Nochmal ein ganz anderer Ort.
Genau. Die Suche nach Menschen und Künstlern, mit denen man zusammen arbeiten möchte, die nimmt schon mal ein halbes Jahr in Anspruch, wenn nicht ein ganzes. Irgendwie bin ich in Stockholm bei meinen sehr feministischen Produzenten hängen geblieben (lacht). Die Schweden haben eine sehr positive Gender Kultur. Es arbeiten dort Frauen als Songwriterinnen und Produzentinnen, ich habe mich sehr wohl gefühlt. Dort ist zum Beispiel meine Single „Fool Me Once“ entstanden. Ich glaube, man kann nur so persönlich schreiben, wenn man sich in seinem Umfeld gut aufgehoben und respektiert fühlt. Es war sehr dunkel, die Sonne schien nicht, alle haben sehr viel getrunken. Ich vertrag ja nicht sehr viel (lacht). Es war eine sehr interessante Zeit.
Ist dieses Phänomen der anhaltenden Dunkelheit etwas, das die Kreativität in Gang setzt?
Ich glaube schon. Ich habe auch lange in L.A. gelebt und geschrieben. Da ist nur Müll herausgekommen. Es ist eine sehr künstliche Umgebung. Jeder ist schön, aber halt gemacht. Zur Rente würde ich da gerne hin gehen (lacht). Oder vielleicht die ersten drei Jahre meine noch nicht geborenen Kinder groß ziehen. Der Pool war direkt vor dem Studio, ich lag gemütlich draußen auf dem Kanapee und mir fiel nichts ein. Ich habe mich dann ein bisschen herausgefordert und bin in den Hills spazieren gegangen. Es hieß dort gibt es Klapperschlangen. Da dachte ich ah gut, jetzt passiert mal was (lacht). Aber ich habe leider keine Klapperschlange getroffen. Dann bin ich alleine als schwarze Frau durch die Straßen von Beverly Hills spaziert, das war auch spannend (lacht). Ein Produzent, mit dem ich gearbeitet habe, hat meinen Track verschlampt, das war auch schön. Ich hab mich eigentlich nur geärgert. Also bin ich lieber nach Stockholm gegangen. Ich liebe Küstenstädte, das ist auch das Thema meines Albums. Und Stockholm liegt auch am Wasser.
Ich finde, „Mermaid Blues“ ist bis jetzt dein vielfältigstes Album geworden. Sowohl von den Tempi her, den Styles bis hin zu wie du deine Stimme einsetzt. Also deine Stimme ist ja sowieso irre.
Haha! Danke. (lacht laut)
Einer meiner Lieblingssongs ist „Maggie“. Den mag ich so gern, weil ich gar nicht sagen könnte, wer das ist, der da singt. Ob du schwarz bist oder weiß, alt oder jung, das ist völlig egal. Die Stimme lebt davon losgelöst. Ich denke nämlich, man muss auch aufpassen, dass man nicht in positiven Rassismus verfällt. Alle Schwarzen haben diese wahnsinnigen Soul Stimmen…
Das ist auch eine Form von Rassismus, absolut. Ich denke, es wird Zeit, dass wir als Musiker genau dort einen Platz finden, wovon du sprichst. Nämlich da, wo man nichts mehr sieht, sich nichts mehr vorstellen kann. Nur so können Vorbilder geschaffen werden, die losgelöst sind von Genre, Hautfarbe und Gender. Ich finde es interessant, dass du mich auf meine Stimme ansprichst. Ich habe drei Monate aufgehört Klavier zu spielen, weil mir das Klavier sehr viel abgenommen hat. Man kann sich mit einem Instrument natürlich wunderbar unterstützen. Es ist eine wunderbare Gehilfe für Singer-Songwriter, was ich ja bin. Ich habe das drei Monate lang weg gelassen. Als ich kein Instrument hatte, war ich gezwungen, mehr zu singen. Und mir wurde bewusst, was ich noch alles mit der Stimme machen kann. Wenn du einem Künstler sein Instrument weg nimmst, muss er gucken wie er sich anderweitig ausdrücken kann. Dadurch ist viel passiert.
Da ist tatsächlich eine neue charakterliche Schärfe in deine Songs gekommen. Sehr viele Assoziationen tun sich da auf, von Disco-Streichern bis hin zu alten Sade Sachen.
Ich bin wegen meiner Mutter mit Sade aufgewachsen. Sie hat sie immer im Auto gehört, wenn sie mich in Ghana zur Schule gefahren hat. Wir standen immer stundenlang im Stau und im Autoradio lief Sade. Als Künstler muss man ab und zu auch zitieren. Zeigen, wo deine Wurzeln sind. Das habe ich bei „Mermaid Blues“ ganz klar versucht zu channeln. Ich weiß, dass ich hier nichts Neues erfinde. Wir sollten uns als Künstler nicht einbilden, dass wir innovativ sind. Wir verwerten Dinge, die bereits da sind und schaffen etwas Neues daraus. Das einzige, was einzigartig und neu ist, bist du selber! Deshalb kommt es darauf an, wie du deine Persönlichkeit ausfüllst. Daher auch der Titel des Albums. Ich bin diese Frau zwischen Meer und Land, zwischen schwarz und weiß, ich stehe zu meinem polarisierenden Wesen als Frau und möchte andere Frauen dazu ermutigen, es auch zu tun. Unsere Mythologien und Geschichten sind das, was uns vereint, was schon lang vor der Bibel da war.
So eine Meerjungfrau ist ja auch nicht immer nur schön und niedlich.
Absolut! Es geht darum zu sein wie man ist, wie man sein möchte. Es ist ganz wichtig, die Freiheit zu haben, sich ausleben zu können. Erfolg bedeutet nicht, sich männliche Attribute anzueignen, dominanter zu werden. Es gibt eine ganz natürliche Dominanz, die jede Frau hat, vor der viele aber einfach noch Angst haben. Das finde ich sehr schade. Ich bin ja viel mit Männern zusammen und weiß, dass Männer es genießen, eine selbstsichere Frau an ihrer Seite zu haben. Wir Frauen müssten da ab und zu ehrlicher mit uns selbst sein und sagen hey, es ist sexy stark zu sein! Ich kenne viele Mädchen, die das nicht wollen. Ich habe früher Tanz unterrichtet und immer wieder erlebt, dass Mädchen nicht als stark bezeichnet werden wollen. Aber stark zu sein bedeutet nicht, mit einem Muskelprotz Ego durch die Gegend zu laufen. Auch für Männer nicht! Jeder hat seine eigene Definition von Stärke. Es bedeutet vor allem, zu sich selbst zu stehen. Die Fähigkeit zur Empathie, zum 360 Grad Blick. Wir können das und sollten das nicht verstecken!
Zum Thema 360 Grad Blick sind wir wieder bei deinem Song „Fool Me Once“. Ich finde diese klare Ansicht, die du da vertrittst, sehr schön und sehr wichtig. Wenn du mich einmal verletzt, bist du Schuld, wenn du es zweimal tust, trage ich mit Schuld.
Gut übersetzt. Als Künstlerin habe ich die Pflicht, mit mir selbst ehrlich zu sein. Für meine Hörer. Ist das immer toll? Nein. Aber wenn ich an das große Ganze denke, macht es Sinn. Deswegen nehme ich das gerne auf mich. Schuld, Erkenntnis. Erkenntnis ist nicht immer positiv. Mich ärgert es oft, wenn ich zugeben muss, dass ich nicht richtig liege. Aber das gehört zum Leben dazu. Wir können nicht erwarten, dass wir nur Opfer oder Täter sind, wir sind immer beides. Außer wir sind minderjährig oder schutzlos und können uns nicht wehren, wie Kinder. Das ist eine andere Geschichte. Aber wenn wir in einer Beziehung sind, mit Menschen, die wir uns aussuchen, dann haben wir eine Verantwortung, die können wir nicht abgeben.
„Mermaid Blues“ von Y’Akoto erscheint am 31.03.2017 bei Warner Records.
Interview: Gabi Rudolph