Genau so muss es laufen – Man sitzt abends mit Freuden in der Kneipe, redet über Gott und die Welt, plötzlich sagt einer: „Hey, ich habe letzte Woche diese Platte bekommen, Funeral Suits, die sind voll super.“ Und stopft dir unverblümt den Kopfhörerstöpsel ins Ohr. Keine Frage, so eine gutgemeinte Aktion kann auch furchtbar nach hinten losgehen und dann stehst du da, spürst die bohrenden Blicke, ringst dir ein gequältes Lächeln ab und stammelst: „Oh ja, ganz nett…treibende Beats…ähh…so ‘n bisschen folkig, was?“ Bei den Funeral Suits lief der Hase jedenfalls ganz anders. Die ersten Akkorde von „Mary’s Revenge“ gefielen mir auf Anhieb. Wir reden hier über Indie-Rock mit vielen Synthies und einer Prise Post Punk. Mich erinnerte der verzettelte, komplizierte Aufbau der enormen Klangkulisse an Bloc Party – verkopft, voller Energie, dramatisch. Als nächstes hämmerte mir der Beat von „Colour Fade“ entgegen. Die Stimmung wechselte schlagartig von grau-bewölkt zu sonnig-warm. Der Takt fährt in die Glieder und trotzdem ist sofort klar: das ist kein 08/15-Popsong. Ich hätte beinahe die fröhliche Cocktailrunde am Nebentisch angemault: „Entschuldigung, ich kann die fragile Struktur dieses Synthie-Kunstwerkes nicht ganz verstehen. Könnten Sie vielleicht etwas leiser grölen? Danke.“ Zum wummernden Beat gesellen sich eine sanft angezupfte Gitarrenmelodie, diverse elektronische Soundelemente und die jungenhafte Stimme von Brian James. „Health“ beginnt mit Rauschen oder Atmen oder Aliengeräuschen – Jedenfalls wird die Stimmung wieder finster, Weltuntergang. „Help is on the way…“, intoniert James, verzerrte Gitarren, viel Bass. Der Song erinnert an die dritte Platte der Editors – 80er Post Punk in die Gegenwart geholt. Mittlerweile sitze ich (latent apathisch) vor mich hinstarrend mit Kopfhörern in einer vollen Bar. Um mich herum sind die Gespräche wieder in vollem Gange. Ich werde angerempelt: „Noch ‘n Kölsch?“ „Hä?“ „Willst du noch ‘was trinken? Das ist eine Kneipe!“ „Öh…ja…Gin Tonic…noch fünf Minuten. Dann bin ich wieder da.“ Ich tauche wieder ein in die romantisch-morbide Synthie-Welt, voller Licht und Schatten.
Am Ende des Abends steht fest: ich brauche diese Platte und besorge mir sofort ein Ticket für das Reeperbahn Festival. Dort geben sich die Jungs an gleich zwei Abenden die Ehre. Was für eine Entdeckung! Ich bin so aufgeregt wie ein kleines Schulmädchen. Am folgenden Morgen weiß ich: Die Funeral Suits sind eine sehr junge Band aus Irland. Die vier Jungs haben auf Anhieb den großen Coup geschafft und wurden vom Plattengiganten Rough Trade unter Vertrag genommen. An den Reglern saß Altmeister Stephen Street, welcher schon für Blur und The Smiths arrangieren durfte. Das erklärt die perfekte Produktion vom Debüt „Lily Of The Valley“ (V.Ö. 15. Februar 2013). Die Platte ist ein Wechselbad der Gefühle. Auf bedrückte Psychodelic-Nummern mit kreischenden Gitarren folgen zuckersüße, sehr tanzbare Popsongs. Die Tracks sind vielschichtig und aufwändig komponiert. Gerade junge Bands mit komplexen Sound-Basteleien sind live häufig eher schwach, nicht so die Funeral Suits. Jeder Ton, jedes Rauschen, jeder Akkord sitzt. Sänger Brian James trifft live auch die hohen Töne, der rothaarige Drummer Greg McCarthy schlägt wie besessen auf sein Instrument ein und sowohl Bassist Mik McKeogh als auch Keyboarder Dar Grant steigern sich völlig in ihre Performance rein. Die Atmosphäre tänzelt, genau wie die Platte, zwischen bedrückt und beseelt. Ich bin völlig begeistert und frage mich, wie diese Band mit diesem unfassbar guten Debütalbum bisher an mir vorbei gehen konnte? Schande über mein Haupt! Naja, immerhin weiß ich, mit welcher Platte ich mich trösten kann.
Gemocht von: Julia Floß