Unsere Filmtipps für das Berlinale Summer Special

Was haben wir gezittert, ob die Sommerausgabe der Berlinale 2021 auch wirklich wird stattfinden können. In den letzten Monaten sah es ja nicht besonders rosig aus um die Wiederaufnahme der Kunst-, Kultur- und Kinolandschaft. Aber nun ist der Sommer da, und mit ihm glücklicherweise auch das Berlinale Summer Special, für dessen Durchführung die Genehmigung kurz for knapp erfolgte. Es könnte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen, denn inzwischen lechzen wir alle danach, Filme wieder auf der großen Leinwand erleben zu können.

Vom 9. bis 21. Juni 2021 stehen die Berliner Freiluftkinos ganz im Zeichen der Berlinale. Viele Vorstellungen sind aufgrund der entsprechend großen Nachfrage und dem begrenzten Kontingent bereits ausverkauft, aber wer sich die Mühe macht ein wenig zu recherchieren oder sich einfach mal in ein komplett unbekanntes Filmabenteuer stürzen möchte, dem stehen auch kurzfristig noch einige Möglichkeiten offen. Und selbst wer bereits Karten für die ein oder andere Vorstellung hat, erfreut sich vielleicht trotzdem an unseren Filmtipps, um die Vorfreude weiter zu steigern.

Anfang März fand bereits ausschließlich online die Industry-Ausgabe der diesjährigen Berlinale statt, in derem Rahmen wir einige der Beiträge sehen konnten. Es fühlte sich ein wenig gespenstisch an, Zuhause auf dem eigenen Laptop Filme zu sehen, in deren Genuss bis dato kaum einer kommen konnte. Umso mehr freuen wir uns, dass das Berlinale Summer Special nun tatsächlich stattfinden kann und die nun folgenden (und weitere) Filmperlen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden können. Hier kommen also ein paar Empfehlungen von unserer Seite aus dem Programm der Sommer Berlinale 2021.

Bad Luck Banging or Loony Porn

Gut, um den Gewinner des Goldenen Bären kommt man nicht herum, in diesem Jahr vielleicht noch weniger als sonst. Der neue Film des rumänischen Regisseurs wird bei seinen Screenings garantiert für viel Gesprächsstoff und gespaltene Meinungen sorgen. Wer ihm über die ersten Minuten hinaus eine Chance gibt, der wird aber schnell feststellen, was für ein intelligentes, zeitgemäßes und vor allem urkomisches Experiment „Bad Luck Banging or Loony Porn“ ist. Eine Lehrerin muss sich vor einer Elternkonferenz für ein Video rechtfertigen, das sie mit ihrem Ehemann beim Sex zeigt. Daraus entspinnt sich eine absurde Diskussion voller Sexismus, Rassismus, Kriegsverherrlichung, Holocaust-Relativierung und persönlichen Beleidigungen. Radu Jude lässt alle seine ausgelegten Fährten nach und nach geschickt zusammenlaufen und krönt das Ganze mit einem absurden, brüllend komischen Ende.

Ninjababy

Die norwegische Coming of Age Komödie von Yngvild Sve Flikke gewann in der Sektion Generation zwar keinen Bären, heimste aber eine lobende Erwähnung in der Kategorie 14plus ein. Die Geschichte der 24 jährigen Rakel gewinnt dem Thema ungewollte Schwangerschaft viele neue Aspekte ab. Er enttabuisiert das Gefühl, nicht Mutter werden zu wollen, definiert die Rolle des werdenden Vaters neu und besticht im gesamten mit einer vielschichtigen Hauptfigur und einer überzeugenden feministischen Message. Und auch das „Ninjababy“ selbst hat hier ein Wörtchen mitzureden, in Gestalt einer Comicfigur, die Rakel geschaffen hat, die sich mehr und mehr verselbständigt und alles andere als auf den Mund gefallen ist. Der Film zeichnet das Bild einer Generation, die das Leben in all seinen Facetten spüren möchte und gleichzeitig bereit ist, sich den damit einhergehenden Verantwortungen zu stellen.

Glück

In „Glück“ von Henrika Kull lernen sich zwei Sexarbeiterinnen in einem Berliner Bordell kennen und lieben. Die Italienerin Maria ist neu im Geschäft, während Sascha schon lange in ihrem Beruf tätig ist. Beide haben auf unterschiedliche Art ihr altes Leben hinter sich gelassen. Sascha hat ihren Mann verlassen, mit ihrem früheren Leben in der brandenburgischen Provinz verbindet sie noch ihr 11-jähriger Sohn. Maria telefoniert regelmäßig mit ihrem Vater in Italien, dem sie versichert, dass es ihr gut geht und sie viel Geld verdient. An einem Ort, wo weibliche Körper als Ware zum Verkauf stehen, entsteht Liebe und ehrliche Zuneigung. Der Film bietet einen entromantisierten, gleichzeitig aber auch vorurteilslosen Blick auf das Gewerbe und lässt seinen Protagonistinnen Raum, sich als Persönlichkeiten zu entfalten. Er zeigt zwei Frauen die sich weigern, sich klein machen zu lassen und die zu ihren Lebensentwürfen stehen.

Herr Bachmann und seine Klasse

Satte dreieinhalb Stunden dauert Maria Speths Dokumentarfilm über den Lehrer Dieter Bachmann, der im hessischen Stadtallendorf Schüler*innen zwischen 12 und 14 Jahren unterrichtet, die aus verschiedenen Ländern kommen und zum Teil noch kein Deutsch sprechen. Der Film begleitet die Klassen 6b und 6f in einem der wichtigsten Schuljahre, das über den weiteren Bildungsweg entscheidet und zeigt einen Lehrer, der mit Herz, Verstand und viel Engagement versucht, das Leben seiner Schüler*innen wirklich positiv zu beeinflussen. Fast schon schmerzhaft macht die Dokumentation deutlich, wie wichtig es ist, dass Lehrer*innen ein ernsthaftes Interesse an ihren Schüler*innen haben und dass jeder Mensch nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch auf einen Platz in der Welt hat. Die Überlänge fällt dabei kaum auf, das Material hätte gefühlt auch genug für eine mehrteilige Serie hergegeben.

Genderation

Ein weiterer sehenswerter Dokumentarfilm ist „Genderation“ von Monika Treut. 1999 lief bereits ihre Dokumenation „Gendernauts“ im Panorama der Berlinale, in der sie die Trans*-Community in San Francisco portraitierte. Für „Genderation“ hat sie ihre Protagonist*innen erneut besucht und zeigt eindringlich, wie sie in ihre neuen Identitäten hinein gewachsen sind und in welche Richtungen Sorgen und Probleme sich geändert haben. Die Trump-Regierung setzte vieles daran, Transgender-Recht wieder zurückzunehmen, die Stadt San Francisco hat sich aufgrund aggressiver Gentrifizierung massiv verändert und die Lebensumstände für marginalisierte Bevölkerungsgruppen erneut erschwert. Trotzdem zeichnet „Genderation“ auch ein hoffnungsvolles Bild von Familie, Zusammenhalt und dem essenziellen Glück das es bedeutet, als die Person leben zu können, die man sein möchte.

Das Mädchen und die Spinne

Die Brüder Ramon und Silvan Zürcher waren 2013 bereits mit ihrem Debütfilm „Das merkwürdige Kätzchen“ zu Gast bei der Berlinale. Die für sie so typische optische und erzählerische Handschrift entwickeln sie in ihrem neuen Werk „Das Mädchen und die Spinne“ konsequent weiter. Lisa zieht aus der WG mit Mara aus, Mara bleibt verletzt und grollend zurück. Während die neue Wohnung renoviert wird, gehen in der alten Dinge kaputt. Menschen treffen, verbinden und trennen sich, eine Party wird gefeiert, absurde, manchmal fast magische Begebenheiten reihen sich aneinander. Ein feines cineastisches Kunstwerk, berauschend wie ein Gewitter nach einem heißen Sommerabend. 

Weitere Informationen zum Programm und zu Tickets gibt es unter www.berlinale.de.