Tori Amos, Tempodrom Berlin, 10.04.2023

Es gibt diese Konzertmomente, die brennen sich einem auf immer und ewig ein. 1997 zum Beispiel in der Stuttgarter Liederhalle, als Tori Amos zu den Klängen von Dusty Springfields „Son Of A Preacher Man“ die Bühne betrat, in den folgenden anderthalb Stunden ihr Herz ausschüttete und über die Tasten ihres geliebten Bösendorfer Flügels ins Publikum katapultierte. Ich war 22 Jahre alt, mit dem Einstieg ins Erwachsenenleben überfordert, in Phasen depressiv und viel zu oft wütend darüber, dass ich in diesem jungen Alter schon so viel Ballast mit mir herumtragen musste. Tori Amos war zu jener Zeit mein ultimatives musikalisches Sprachrohr, sie schaffte es auszudrücken, was ich fühlte, mutig und stark, ohne dabei hysterisch zu wirken. Als Frau wird man oft und schnell als hysterisch abgestempelt, wenn man wütend ist.

Gleichzeitig machte ich mir, die ich mich zu der Zeit selbst mit darstellender Kunst beschäftigte, fast schon Sorgen um sie. Konnte es emotional nachhaltig sein, sich jeden Abend, ganz alleine mit seiner Stimme und einem Instrument, auf derart intensive Weise dem Publikum zu öffnen? Sie wirkte so ernst, so mitgenommen von ihrer eigenen Kunst. Ein Jahr später, während der Tour zu ihrem Album „From The Choir Girl Hotel“, sah ich Tori Amos noch einmal, diesmal mit voller Band, und tanzte in einer schwitzigen Menge wütender Mädchen, die den Text zum damaligen Hit „Raspberry Swirl“ mitsangen und befreit im Chor „I am not your senorita!“ brüllten. An jenem Abend war Tori Amos die ausgelassene Bandleaderin, am Ende stand sie minutenlang am Rand der Bühne, winkte uns zu, lachte, und ich war erleichtert, sie endlich einmal lachen zu sehen.

Sage und schreibe 13 Alben hat Tori Amos seitdem veröffentlicht, zuletzt 2021 „Ocean to Ocean“, und um damit auf Tour zu gehen, benötigte es aufgrund der Pandemie mehrere Anläufe. Das Publikum im ausverkauften Tempodrom hatte Geduld und ist letztendlich dankbar erschienen. Aus der Ferne könnte man fast glauben, die Zeit sei stehen geblieben. Das rote Haar fällt wie eh und je über ihre Schultern, an der Haltung, mit der Tori Amos an ihrem Flügel sitzt, hat sich ebenfalls kaum etwas verändert. Allein die schwarzumrandete Brille verrät, dass ein paar Jahre vergangen sind, seitdem ich sie zuletzt live gesehen habe. Und vielleicht liegt es auch an den vorbeigezogenen Jahren, dass ich das Gefühl habe, nicht nur ich bin mit dem Alter etwas milder geworden.

Begleitet wird Tori Amos an diesem Abend von Bass und Schlagzeug, neben dem traditionellen Bösendorfer Flügel spielt sie selbst noch zwei Keyboards, die sich in ihrem Rücken befinden. Zusammen mit der zurückhaltenden und trotzdem ungemein stimmungsvollen Lichtgebung, entsteht ein rundum virtuoser Eindruck. Nur liegt in der Virtuosität auch eine leichte Distanz, die sich stellenweise nur schwer überbrücken lässt. Auch wenn es mit „God“ aus ihrem zweiten Album „Under the Pink“ direkt in die Vollen geht, auch wenn sie bei jedem einzelnen Song auf die für sie typische Weise voller Emotion alles gibt, bleibt die Dynamik über den gesamten Abend verteilt doch ein wenig gleich – mehr wie eine durchgängig starke Emotion als eine Gefühlsachterbahn, die zwischen intensiven und ruhigen Momenten schwankt. Der Gänsehaut, wenn als letzter Song vor der Zugabe „Cornflake Girl“ erklingt und es das Publikum wie fast schon verabredet von den Sitzen reißt, tut das dennoch keinen Abbruch. Ganz davon zu schweigen was es in der Magengrube auslöst, wenn sie zum Beginn der Zugabe das Depeche Mode Cover „Personal Jesus“ anstimmt.

Vielleicht ist es mein leicht enttäuschtes Fanherz, das im Zuge der Nostalgie gerne ein paar mehr Songs aus ihrem Debüt „Little Earthquakes“ gehört hätte (was mich umso mehr grämt, da ich sonst gerne Fans verurteile, die am liebsten nur die alten Sachen hören möchten) und das deshalb manchmal ein wenig aus dem Takt schlägt. Aber insgesamt ist die Welt an diesem Abend schon schwer in Ordnung. Tori Amos ist immer noch da, und dass wir beide vielleicht nicht mehr ganz so aufgewühlt sind wie früher, hat schließlich auch etwas Tröstliches.

Fotos © Oliver Look