Tom Michelberger im Interview zum PEOPLE Festival 2018: „Wir sind bereit!“

Nächste Woche schließt das Michelberger Hotel sieben Tage und sieben Nächte lang seine Türen für die Öffentlichkeit. Denn in der Zeit vom 12. bis 20. August findet dort ein Zusammentreffen von über 180 internationalen Künstlern statt, die gemeinsam neue Wege der musikalischen Zusammenarbeit erforschen werden. Die Initiatoren des PEOPLE Kollektivs, Justin Vernon (Bon Iver), Aaron und Bryce Dessner (The National) und vor allem Nadine und Tom Michelberger lassen zum zweiten Mal eine einzigartige Form des kreativen Miteinanders entstehen, dessen Ergebnis der Öffentlichkeit am 18. und 19. August in den Räumen des Funkhaus in der Nalepastraße präsentiert wird. Mit dabei sind unter anderem Feist, Erlend Oye, Richard Reed Parry und Sarah Neufeld (Arcade Fire), Laurel Sprengelmeyer (Little Scream), Kurt Wagner (Lambchop), Zach Condon (Beirut), Andrew Barr von den Barr Brothers, Damien Rice und viele, viele mehr. Wie man es schafft so viele internationale Karrieren eine Woche lang unter einen Hut, bzw ein Dach zu bringen, wie man als Organisator dabei die Nerven behält und was Macaulay Culkin zum PEOPLE Festival beitragen wird, das hat uns Tom Michelberger im herrlich kühlen Hof des Michelberger Hotels beim Interview verraten.

Ist es nicht der absolute Wahnsinn, 150 Acts für ein Festival zu koordinieren?

Es sind ja insgesamt sogar um die 200 Leute. Der Chor Cantus Domus kommt mit 45 Leuten, dazu kommt zum Beispiel das mehrköpfige Stargaze Ensemble. Wenn am Sonntag und Montag alle hier ankommen, dann ist das größte Wunder schon passiert. Das sind ja alles auch nicht irgendwelche Leute, alle stecken in ihren Karrieren und Familien. Und sie sagen trotzdem, wir kommen für eine Woche nach Berlin und lassen uns auf etwas komplett Neues ein. Die damit einhergehende Nervosität von allen allein ist schon toll. 2016 haben uns sehr viele Leute vertraut, weil sie einen Bezug zu uns hatten oder zu den anderen Mitwirkenden. Mittlerweile wissen sie auch etwas mehr davon was sie erwartet. Viele die 2016 noch nicht dabei waren, sind einfach nervös. Weil sie wissen, dass sie aus ihrer Komfortzone raus gehen werden. Gleichzeitig finden sie es einfach nicht vorstellbar, dass so viele Charaktere, so viele Individualisten eine Woche lang unter einem Dach essen, trinken, schlafen und über 30 Studios verteilt Musik machen. Natürlich ist es auch extrem reizvoll, Musiker sind ja untereinander vernetzt und haben gemerkt was mit denen, die 2016 dabei waren, passiert ist. Wie diese Erfahrung sie verändert hat und sie wieder entdeckt haben, warum sie eigentlich Musik machen. Was wir hier machen zeigt den Künstlern, dass es noch viele andere Wege gibt, wie man Dinge machen kann. Zusammen ist das natürlich noch viel kraftvoller. Und das Publikum geht auch mit. Viele sind heutzutage gelangweilt von den immer gleichen Erfahrungen. Man will ja nicht nur stumpf konsumieren. Ich glaube, unser Konzept bringt wieder mehr Farbe ins Spiel. Auch für uns ist das alles neu. Auch das Zerbrechliche, das Risiko das dahinter steckt, ist am Ende hoffentlich das, das in jedem einzelnen Gefühle erzeugt.

Ich glaube, das Publikum ist auf jeden Fall bereit für neue Erfahrungen. Gleichzeitig habe ich im Gespräch mit Leuten oft das Gefühl, dass so ein Konzept auch erst einmal für Verunsicherung sorgt. Da spielt zum Beispiel Feist auf einem Festival und ich kriege vorher nicht gesagt was genau da passieren wird und vor allem wann. Das erfordert schon eine Form von Umdenken.

Ich finde das spannend. Uns geht es ja allen auf eine Art wahnsinnig gut. Wir wünschen uns neue Dinge, aber die Frage ist, wie bereit sind wir wirklich dafür? Letztendlich ist es aber auch nur Musik, eine musikalische Erfahrung. Ich weiß nicht, ob diese Neugierde dadurch verkümmert ist, dass es so viel gibt, einen ständigen Überfluss an Informationen. Man merkt es ja auch wenn man mit Leuten an einem Tisch sitzt, wie schnell Diskussionen sich im Kreis drehen. Reden wir sowieso nur noch zu denen, die genau die gleiche Meinung haben? Wie sehr traut man sich da raus? Trotzdem ist es unglaublich wichtig, das zu machen. Es gibt genügend Möglichkeiten etwas zu verändern, es ist noch nicht zu spät. Wir sind davon überzeugt, dass man immer noch in allen Bereichen alles machen kann. Als wir vor zehn Jahren das Hotel eröffnet haben, haben wir uns vorher nicht ein anderes Hotel angeguckt, um zu sehen, wie andere es machen. Wir haben uns gesagt, wir waren schon zur Genüge selbst in Hotels – wenn wir ein Hotel machen würden, wie würde das aussehen? Den Spirit haben wir hier rein gebracht. Genauso haben wir uns gedacht: wenn wir die Möglichkeit hätten, in diesen unglaublichen Räumen im Funkhaus etwas zu machen, wie würden wir die nützen? Was ist für uns selber wichtig? Wir wissen, das was wir hier gerade machen, wird es nicht noch einmal geben. Diese schiere Größe, diese Anzahl an Künstlern, das ist absolut absurd. Ich weiß, es werden Explosionen und Grenzüberschreitungen im positiven Sinne stattfinden. Das ist es uns absolut wert, trotzdem ist natürlich, wie du am Anfang gesagt hast, der logistische Aufwand der Wahnsinn. Es geht nicht darum, etwas zu etablieren. Idealerweise inspiriert es alle die dabei sind, Dinge in ihrem Leben neu zu entdecken und zu verändern. Dinge zu kreieren, die einen nachhaltig begeistern, die Erinnerungen schaffen, neue Freundschaften entstehen lassen. Die Freude daran ist das wichtigste. Wir haben immer noch die Möglichkeit, unser Leben selber zu gestalten. Und wenn nicht hier, wo dann sonst auf der Welt? Das ist unser Antrieb. All das ist passiert durch die Freundschaft mit Aaron (Dessner), Bryce (Dessner) und Justin (Vernon). Eigentlich geht es nur darum, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen wollen. Und wie kann man mehr Zeit miteinander verbringen? Indem man zusammen Sachen macht. In Zukunft werden das vielleicht nur 20 oder 30 Künstler sein, die zusammen kommen werden. Für die Musiker ist das eine große Herausforderung, sie sind ja eigentlich das ganze Jahr über verplant.

Wie ist es denn zu dieser riesigen Konstellation von Leuten gekommen? Und wie sind es genau die geworden, die dieses Jahr dabei sein werden?

Alle, die 2016 dabei waren, haben sich sehr gewünscht, dass es noch einmal passiert. Da nicht im Mittelpunkt stand, noch einmal ein Event zu machen, kam die Idee auf, eine digitale Komponente hinzuzufügen, damit man verbunden sein kann und ein Ort entsteht, an dem Künstler sich direkt austauschen und Musik teilen können. Die Erfahrung, die wir 2016 gemacht haben, versuchen wir digital zu übersetzen. Irgendwann war klar, wir möchten das feiern. Wir haben gesagt, lass uns alle von 2016 einladen, die kommen wollen. Dann haben wir jedem gesagt, überlegt euch eine Person, für die es reizvoll sein könnte. So ist das gewachsen. Und natürlich sind einige, die 2016 aus irgendwelchen Gründen nicht dabei sein konnten, jetzt dabei.

Und jetzt verrate mir, wie Macaulay Culkin da mit rein kommt.

Das ist auch eine tolle Geschichte. Vor acht Jahren saß er hier im Hof, es hat geregnet, er saß unter einem Sonnenschirm. Das komplette Hotel war leer, und eine Kollegin kam und meinte: da sitzt Macaulay Culkin im Hof. Er war eine Woche hier und wir haben uns schnell angefreundet. Über die Jahre haben wir uns sporadisch immer mal wieder getroffen. 2016 ist sein Namen immer wieder bei anderen Künstlern aufgetaucht. Wir haben gemerkt, dass einige ihn auch gut kennen, ihn super finden und mit ihm lustige Sachen machen. Wir wollten eigentlich schon, dass er 2016 dabei ist, das hat dann leider nicht geklappt. Jetzt kam es ganz spontan auf. Er kommt mit seinem Partner, mit dem er zusammen einen Podcast macht, in dem er seine Perspektive auf Dinge darstellt. Er hat gefragt, ob er einen Raum einrichten und mit Leuten sprechen darf. Die Gespräche wird man auf People und auf seinem Podcast hören können. Ich glaube, er freut sich sehr, endlich mal wieder hier zu sein und mit diesen Leuten zusammen zu sein. Er ist ein ganz toller, bunter Mensch, der da super rein passt.

Als erstes müssen sich ja die Gruppierungen von Leuten finden, die miteinander arbeiten wollen. Steht das vorher schon, oder ergibt sich das auch alles erst vor Ort?

Wir hatten damals ja schon sehr tolle Producer, aber jetzt, da wir noch mehr Studios haben, haben wir noch mehr großartige Producer und Engineers dabei, die ihr Leben schon komplett so leben. Howard Bilerman zum Beispiel, der das erste Arcade Fire Album „Funeral“ gemacht hat und mit Leonard Cohen gearbeitet hat. Der besitzt einen Bus, mit dem er auf Festivals fährt, dort Leute in diesen Bus packt und mit ihnen Sachen aufnimmt, anstatt dass sie rum sitzen und auf ihren Auftritt warten. Wir haben also Leute dabei, die das, was wir machen, bereits in ihr Leben integrieren. 2016 war der Fokus ja sehr auf Justin, Aaron, Bryce und uns. Jetzt ist der Druck von dieser Gruppe quasi komplett los gelöst, weil so viele Leute dabei sind, die mit Ideen rein kommen und nur drauf gewartet haben, dass so etwas einmal passiert. Howard hat erst gesagt, er will mit jedem Künstler arbeiten, der dabei ist. Das gestaltet sich praktisch betrachtet ein bisschen schwierig. Dann hat er eine Liste von Leuten gemacht, mit denen er gerne arbeiten würde. Wir bringen die zusammen, jeder formuliert die Ideen, die er hat, Aaron und Bryce bringen ihre neue Ideen für The National mit, Justin bringt neue Ideen mit. Es werden Sachen weiter entwickelt werden, an denen bereits gearbeitet wird, andere kommen einfach mit ihren Instrumenten. Vorab versuchen wir jetzt schon, die Leute miteinander zu verbinden. Dann kriegen sie ihren Raum und können dort machen was sie wollen. So bekommt jeder jeden Tag seine Studiozeiten, und in den Zwischenzeiten, in denen für sie nichts konkretes passiert, können die Künstler herumlaufen und auch in Sessions rein gehen. Wenn die Tür zu ist, ist klar es wird gerade aufgenommen, wenn sie offen ist, kann jeder rein kommen. Es wird eine Mischung werden aus Ideen, die vom Nullpunkt aus entwickelt werden und der Arbeit an konkreten Sachen. Das tolle ist, dass wir die Erfahrung schon einmal gemacht haben und dadurch wissen, worauf wir dieses Jahr achten müssen. Der Fokus liegt vor allem darauf, dass die Woche so schnell wie möglich ins Rollen komm, dass die Musiker einfach das machen, was sie machen wollen. 2016 ist die ersten zwei Tage kaum etwas passiert, weil die Leute mit der Freiheit komplett überfordert waren.

Das wollte ich dich auch fragen. Ob es den Künstlern tatsächlich gelingt, sich so schnell auf dieses andere Konzept einzulassen.

2016 sind wir hin, haben allen die Räume gezeigt und ihnen erzählt was wir uns vorstellen. Und jetzt – viel Spaß! Natürlich waren alle erst einmal total geflasht von diesem Ort. Es hat zwei Tage gedauert, bis die Dynamik entstanden ist, aber am Mittwoch war dann alles klar. Ab da wurde rund um die Uhr gearbeitet. Diese Anlaufzeit wollen wir dieses Jahr versuchen zu umgehen, damit man diese Tage auch noch voll nutzt. Deswegen kommen die meisten auch schon am Sonntag. Ich bin froh, dass wir die Zeit bis dahin noch haben, aber eigentlich sind wir bereit.

Ich wollte es gerade sagen – du wirkst erstaunlich entspannt! Aber das gefällt mir auch so gut daran, dass ihr euch alle darauf freut und nicht in dem Anspruch versinkt, ein Event der Superlative zu stemmen.

Ich glaube, es hilft auch sehr, dass hinter den Kulissen wenige Leute involviert sind. Wenn wir etwas auf Instagram oder Twitter posten oder E-Mails verschicken, hat das alles sehr kurze Wege. Es gibt sehr viel Vertrauen in dieser Gruppe, es steckt nicht so viel Angst dahinter, etwas falsch zu machen. Es ist eine sehr menschliche Erfahrung, keine Infrastruktur, die es am Ende oft schwer macht. Wie ich bereits sagte, es ist so natürlich nicht möglich, so etwas alle drei Monate zu machen. Dadurch, dass wir es schon einmal gemacht haben und uns zwei Jahre darauf vorbereiten konnten, sind die besten Vorraussetzungen gegeben, dass etwas Einzigartiges entsteht. Wir fallen auf unsere Erfahrungen zurück und es sind Leute involviert die wissen, was passiert und einen großen Wunsch haben, es weiter zu entwickeln.

PEOPLE Festival Facts:

Samstag und Sonntag, 18. / 19. August 2018
Funkhaus, Nalepastraße Berlin
Einlass: 12 Uhr
Showtime: 14 Uhr bis Mitternacht (Kein Timetable)
Website: https://www.p-e-o-p-l-e.com
Tickets:  https://tickets.p-e-o-p-l-e.com/produkte